Gitarre, Rollstuhl und Rollator

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Unkonventionell, aber in sich logisch inszenierte Peter Konwitschny Verdis frühen "Attila" im Theater an der Wien. Nicht alle goutierten das und äußerten während der Vorstellung ihren Unmut.

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Unkonventionell, aber in sich logisch inszenierte Peter Konwitschny Verdis frühen "Attila" im Theater an der Wien. Nicht alle goutierten das und äußerten während der Vorstellung ihren Unmut.

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Am Schluss kommen die Protagonisten mit Krücken, Rollator und im Rollstuhl. Aus diesem tötet mit letzter Kraft Odabella Attila. Der Tod ihres Vaters ist gesühnt. Ein packendes, bewegendes Finale, das sich Peter Konwitschny für seine Deutung von Verdis "Attila" zurecht gelegt hat. Eine bis ins kleinste Detail überlegte Inszenierung, die alles Geschichtliche als Ballast sieht, vielmehr versucht, diese unterschiedlich logische Story über Liebe, Hass, Intrige und Rache aus der Perspektive einer ironisch gedachten Musik zu erklären.

Ihr scheinbar unbeschwerter Duktus hat den Regisseur dazu verführt, am Beginn die Hunnen als unreife Jugendliche auftreten zu lassen, mit aus Kochgeschirr verfertigten Waffen. Auch dem Bühnenbild (Johannes Leiacker) - ein weiß ausgelegter Halbrund mit Löchern, davor einige Baumattrappen - eignet etwas Naives, zuweilen Scherenschnitthaftes an. Eine, wie sich bald zeigt, ideale Bühnenarchitektur für die gesamte, knapp über zwei Stunden dauernde Aufführung. Denn mit einigen wenigen, punktgenau eingesetzten Lichteffekten (Manfred Voss) werden die Szenarien dieses Dramma lirico prägnant suggeriert.

Lebendige Schicksale

Konwitschny beschreitet unerwartete Wege. Papst Leo erscheint im schmucklosen grauen Anzug mit violetter Krawatte, der Attilas Mantel in einen Korb steckt, ihm jene Smoking-Jacke anzieht, die dieser später bei seinem Gastmahl trägt. Dieses wird hier zu einem ausgelassenen Saufgelage mit zahlreichen Toten. Plötzlich auf die Bühne fahrende Rollstühle und Rollatoren werden von den Protagonisten als willkommene Requisiten für einen makabren Totentanz genutzt. Dazu passend die vom Schnürboden als quasi Comic-Blasen herunterhängenden Schilder mit Aufschriften wie: "Attila, mein Angebot steht noch". "Niemals, elender Römer" oder "Mein Gift soll ihm schmecken".

Schließlich sieht Konwitschny in Verdis neunter Oper nicht das gewohnte Plädoyer für Freiheit, sondern einen von Ironie nur so triefenden Comic, den er vor allem nach der Pause bewusst ins Groteske überzeichnet. Nicht zuletzt, um die Struktur der wesentlichen Personen nochmals zu verdeutlichen. Am meisten kommt das dem Titelhelden zugute: Attila wird nicht in ein Schwarz-Weiß-Schema gepresst, sondern als Mensch gezeichnet, der eine Entwicklung durchmacht und am Schluss seine frühere Brutalität beinahe vergessen lässt. Ebenso konturenscharf erscheint Ezio als stets auf den eigenen Vorteil bedachter Intrigant, der in Foresto einen gleich hinterhältigen Handlanger besitzt. Aus diesem Blickwinkel entlarvt sich dessen scheinbar innige Liebe zu Odabella, die als Symbol der Stärke die Bühne dominiert, kaum mehr als Zweckgemeinschaft.

Gewiss, Verdis "Attila" lässt sich auch als Historiendrama lesen, mit Personen, denen mehr Figurenhaftes als Menschliches anhaftet. Ob sich das die zum Teil schon während der Premiere lautstark auf sich aufmerksam machenden Buh-Rufer gewünscht, gar erwartet hätten? Konwitschnys radikale, aus der Struktur von Verdis Musik durchaus erklärbare Sicht muss nicht gefallen, aber es ist eine in sich schlüssige Arbeit, deren virile Kraft sich zudem in der musikalischen Realisierung widerspiegelt. Voran in der kraftvoll-agilen, stets mit Gitarre auftretenden Odabella von Lucrecia Garcia, dem beredt phrasierenden, untadeligen Attila von Dmitry Belosselsky, dem schließlich ebenso makellosen Ezio von George Petean und dem souveränen Leone von Stefan Cerny. Farblos Andrew Owens als Uldino und nicht nur in den Höhen angestrengt Nikolai Schukoff als enttäuschender Foresto.

Exzellent präsentierte sich der auch schauspielerisch vielfach geforderte Arnold Schoenberg Chor, gut studiert die Gumpoldskirchner Spatzen. Riccardo Frizza am Pult des wiederum seine Klasse als Opernorchester zeigenden ORF Radio-Symphonieorchester Wien legte mit temperamentvoller Attitüde die Basis für einen von mitreißendem Schwung bestimmten, zuweilen lautstarken Abend.

Attila

Theater an der Wien

13., 16., 18. Juli

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