Glauben - zwischen Gehirn und Mysterium

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Religion • Das Interesse am Religiösen hat manche Neurowissenschafter in Sackgassen geführt. Die Erforschung von Glaubensprozessen verspricht einen neuen Weg.

Neurowissenschaftliche Forschungen sind interessant, was ihre Erkenntnisse betrifft. Aber insbesondere sind sie trendy! Sehr trendy sogar, was ihre gesellschaftliche Rezeption betrifft. Bisweilen könnte man fast den Eindruck bekommen: Hat man erst ein buntes Bild vom Gehirn, generiert durch ein High-Tech-Gerät wie etwa einen fMRI-Scanner - siehe da: jetzt endlich versteht man den Menschen. Der Mensch - das unbekannte Wesen? Das war einmal. Wir sind auf dem Weg zum gescreenten Menschen: total durchschaut, Transparenz auf der ganzen Linie. Und in Folge praktischerweise absolut vorhersagbar!

Eine solche Auffassung vom Menschen als einem durch und durch neuronalen, über Gehirnscreenings durchschaubaren Wesen hat im Handumdrehen "positive“ Auswirkungen auf das Verständnis anderer Lebensbereiche wie der Wirtschaft (Neuro-Ökonomie), des Bildungswesens (Neuro-Didaktik), selbst der Kriminalistik und Rechtsprechung (Neuro-Kriminalistik). Dies kritisch vorauszuschicken ist erforderlich, damit jenes relativ junge, als "Credition Research“ bezeichnete Forschungsgebiet nicht fälschlicherweise mit dem aktuellen "Neuro-Hype“ in Verbindung gebracht wird, nur weil die Neurowissenschaft an den Forschungen beteiligt ist.

Religiöser und profaner Glauben

Credition Research nennt sich ein Wissensgebiet, das sich in einem Netzwerk unterschiedlicher Disziplinen mit der Erforschung von Glaubensabläufen beschäftigt. Dabei öffnen sich zahlreiche "Anwendungsfelder“, von der Schule über Unternehmen bis hin zur Politik. Die angewandte Forschung zielt auch darauf ab, die Rolle von Glaubensprozessen in konfliktträchtigen Situationen in Übergangsgesellschaften - etwa auf dem Balkan oder in der arabischen Welt - besser zu verstehen und für eine Konfliktreduzierung fruchtbar zu machen.

Obwohl es um Glauben geht, ist Credition (lat. credere: glauben) kein theologischer, sondern ein kognitionswissenschaftlicher Begriff. Im Zentrum stehen weder theologisch-dogmatische Themen noch überhaupt "religiöse“ Erfahrungen, was immer man mit dieser Chiffre meinen mag. Credition Research geht es um den "Ablauf“ von Glauben, um den Prozesscharakter des Glaubens.

Dies ist nicht davon abhängig, ob "religiöse“ bzw. "profane“ Inhalte eine Rolle spielen. Es gibt - so wie es bis jetzt aussieht - keinen Umschalthebel für den "mentalen“ Ablauf von Glaubensprozessen, je nachdem, ob diese gerade von religiöser oder profaner Art sind. Wo wäre denn auch die Epochen und Kulturen übergreifende Grenzlinie, die genau festlegen würde, wann genau eine Erfahrung religiös war und wann nicht. Dieser Aspekt muss ausdrücklich betont werden, da er im ersten Moment christliche Vorstellungen irritieren könnte, die gerade den "Glauben“ als eine der wesentlichen Stützen religiösen Lebens sehen. "Mein Glauben trägt mich“ - für wie viele Christen ist diese Vorstellung grundlegend. Zu Recht, und nicht wenige haben gerade in schwierigsten Zeiten diese Erfahrung machen dürfen. Doch man kann nicht übersehen, dass auch nicht-religiöser Glauben tragen, Halt geben und dabei sogar in den Bannkreis tödlicher und fanatischer Ideologien geraten kann.

Was ist Religiosität?

Wie es scheint, lässt die Erforschung seines Ablaufs erkennen, dass beim Glauben das "Übergangsfeld“ von "religiös“ und "profan“ neu zu buchstabieren sein wird. Da bei der Erforschung von Glaubensprozessen gleichfalls "Neurowissenschaft“ und "Glaube“ zusammentreffen, ist es erforderlich, Credition Research auch von der Neurotheologie abzugrenzen - jene kühne und bisweilen reichlich abstruse wissenschaftliche Konstruktion, die vor einiger Zeit von sich reden machte und von den Medien begierig aufgegriffen wurde. Ein großer Teil der dadurch ausgelösten Diskussionen könnte beendet werden, wollte man sich darauf verständigen, dass der unglückliche Begriff der Neurotheologie schlicht meint: Neurobiologie der Religiosität.

Ausgangspunkt für Credition Research war die Frage: "Was ist Religiosität?“ Während der "Regensburger Symposien“ (2001-2006), in denen es um die Erforschung von Religiosität ging, wurde erstmals postuliert, dass es zum Verständnis menschlicher Religiosität eines Konzepts bedürfe, das Glauben mit Emotionen und Kognitionen in Beziehung setzen kann.

An der Karl-Franzens-Universität Graz finden schon seit 2011 Grundlagenforschungs-Kongresse statt. Zunächst wurde die Beziehung von Glaubensprozessen zu Emotionen und Kognitionen thematisiert. Interessanterweise rückte dabei vor allem aus neurowissenschaftlicher Sicht gerade die Bedeutung von Bewertungsprozessen ins Licht. Auch wurde erkennbar, wie sehr Emotionen Einfluss auf Glaubensprozesse haben und auch Auswirkung auf Entstehung oder Vermeidung von aggressivem Verhalten oder Fundamentalismus haben können.

Eine weitere Fragestellung zielte darauf ab, die Rolle von Glaubensprozessen an der Schnittstelle zwischen Gedächtnis, Handlungsvorbereitung und sozialer Bindung zu erhellen. "Wir sind nicht, wer wir sind, einfach deshalb, weil wir denken können. Wir sind, wer wir sind, weil wir uns an das erinnern können, was wir gedacht haben“. Mit dieser Äußerung hatten Eric Kandel, einer der weltweit führenden Gedächtnisforscher, und Larry Squire die Auffassung von Descartes ("Cogito ergo sum - ich denke, also bin ich“) kritisiert.

Effekte des Glaubens

Der aktuelle Kongress im November 2013 wird sich mit der "Wirkung“ von Glaubensprozessen befassen. Was immer man glaubt - es hat Auswirkungen. Für viele von uns eine alltägliche Erfahrung, manchmal bis hin zu den negativen Ergebnissen, die man auch als Ergebnis einer "Self-fulfilling-prophecy“ bezeichnen könnte. Fragen der Wirkung von Glaubensprozessen öffnet den Horizont zu jenem breit gefächerten Forschungsbereich, der sich mit "Placebo-“ und "Nocebo“-Effekten beschäftigt.

Die Bedeutung von Glauben wird in unserer sich rationalistisch gebenden Gesellschaft hochgradig unterschätzt. Die meist abschätzig gemeinte Aussage, der Placebo-Effekt beruhe "nur“ auf Glauben, ist irreführend. Eher scheint das Gegenteil der Fall zu sein: Sogar Heilungsprozesse stehen mit Glauben in Beziehung.

Nach ersten Einblicken in die Komplexität von Glauben ist festzustellen, dass unser Verständnis für jene Prozesse, die "beim Glauben“ ablaufen, in erschreckendem Maße unterentwickelt ist. Dabei scheinen erste Einsichten in den Ablauf von Glaubensprozessen unter anderem darauf hinzudeuten, dass "glauben“ nicht ausschließlich rational ist - und dass es damit immer auch in die Sphäre des Mysteriums ragt.

Möglicherweise werden sich Glaubensprozesse nie völlig erschließen - theologisch eine Anknüpfung an die Gnadentheologie. Andererseits scheinen Glaubens-prozesse zu jenen "Orten“ zu gehören, die gerade "religiöse“ Erfahrungen verarbeiten können. Vielleicht scheinen in der Struktur von Glaubensprozessen jene Möglichkeiten durch, die uns als körperlichen Wesen Zugang zum Transzendenten eröffnen.

Der Autor ist Professor am Institut für Katechetik und Religionspädagogik der Universität Graz

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