Glück besteht nur aus MoMenten

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Mit 83 Jahren ist Armin Mueller-Stahl noch immer ein passionierter Autofahrer. "Das gibt mir Freiheit", erzählt er im Gespräch am Rande des Filmfestivals von Locarno, wo er dieser Tage einen Goldenen Leoparden für sein Lebenswerk erhielt. Mueller-Stahl war einst der beliebteste Schauspieler der DDR, ehe er ab 1980 seine zweite Karriere im Westen machte. Wieder zehn Jahre später wurde Hollywood auf ihn aufmerksam. 2006 verabschiedete sich Mueller-Stahl vom Schauspielen. Er widmet sich heute der Malerei.

Die Furche: Sie sind 83 und die 1200 Kilometer von Berlin bis ins Tessin mit dem Auto gefahren. Strengt Sie das nicht an?

Armin Mueller-Stahl: Ich fahre ganz gerne mit dem Auto, weil ich unterwegs Freunde besuche und es auch genieße. Erst kürzlich bin ich mit meiner Frau in Amerika von Key West die "Number 10" bis Los Angeles gefahren. Die Schnelllebigkeit unserer Zeit lehne ich ab: Rein in die Maschine, abheben, landen. Das ist sehr langweilig.

Die Furche: Gibt Ihnen das ein Gefühl von Freiheit und Selbstbestimmung?

Mueller-Stahl: Ja. Das ist Freiheit und die Möglichkeit, ein bisschen die Gegend kennen zu lernen. Und ich genieße es, dass meine Frau mit dabei ist, denn dann muss ich ihr nicht erklären, was ich alles gesehen habe, sondern sie erlebt es mit mir.

Die Furche: Im Alter häufen sich für Schauspieler oft die Ehrenpreise.

Mueller-Stahl: Ich habe schon sehr viele Ehrenpreise bekommen, das stimmt. Das macht mich ein bisschen nachdenklich, denn ich bin ja noch immer unterwegs. Aber man kriegt so einen Preis und weiß, dass man etwas im Leben gemacht hat, das nicht ganz verkehrt war. Wenn Sie mein Alter haben, ich werde 84, dann wissen Sie: Die Zukunft ist nicht mehr unendlich.

Die Furche: Haben Sie Angst vor der Zukunft?

Mueller-Stahl: Nein, ich spüre Angst in Bezug auf andere Dinge. Ich weiß, wie mein Ende aussehen wird: so wie Ihres. Das ist die einzige wirkliche Gerechtigkeit auf diesem Planeten. Angst spüre ich bei Vorgängen, die in die Nähe von Krieg führen. Die Unsicherheiten, die es derzeit auf der Welt gibt. Die Technik und die Computer, das sind die Geister, die wir riefen, die wir aber nicht in den Griff kriegen. Der Irak, Syrien, die Ukraine. Es ist in der Welt scheußlich wie schon lange nicht.

Die Furche: Was braucht der Mensch zum Glücklichsein?

Mueller-Stahl: Was ist Glück? Das Gefühl von Zusammengehörigkeit? Diese kleine Familie aus Ehefrau, Sohn, Enkelkind? Das ist letztlich der Sinn des Lebens. Es gibt ja nicht so viele verlässliche Partner im Leben.

Die Furche: Hat Ihnen der Beruf Glücksmomente beschert?

Mueller-Stahl: Ich war fünf Mal beliebtester Schauspieler der DDR, aber das hat mit Glücksgefühl nichts zu tun. Damals war ich noch ein junger, hübscher Junge. Das ist lange her, damals war ich sozusagen der Brad Pitt der DDR. Glück ist kein Dauerzustand, sondern besteht nur aus Momenten. Die Furche: Was motiviert Sie?

Mueller-Stahl: Das Filmedrehen ist in meinem Fall ein Auslaufmodell. Das habe ich übermäßig lange getan, und es hat mein Leben dominiert. Andere Talente, die mir ermöglicht hätten, kreativ zu sein, blieben immer außen vor. Und die mache ich eben jetzt: Musik und vor allem Malerei.

Die Furche: Was ist für Sie der Unterschied zwischen Film und Malerei?

Mueller-Stahl: Bei der Malerei bin ich endlich die Fesseln des Films los. Beim Film ist man abhängig, vom Drehbuch, vom Partner, vom Wetter, vom Regisseur, vom Kameramann und so weiter. Die Malerei ist der einzige Moment, wo ich wirklich fliege. Ich bin frei. Gelingt es mir nicht, übermale ich es. Ich habe bemerkt: Alles, was mich bewegt oder berührt im Leben, will Wort oder Bild werden. Mehr und mehr will es Bild werden. Das kreative Moment übernimmt manchmal die Führung und ist stärker als das Talent. Das Talent läuft sozusagen ein bisschen hinterher.

Die Furche: Wer hat Sie als Schauspieler am meisten geprägt?

Mueller-Stahl: Einen starken Einfluss auf meine Karriere hatte Rainer Werner Fassbinder. Wir beide waren nicht wie Brüder zueinander, sondern eher wie Vater und Sohn, und ich war der Vater. Ich habe mit Fassbinder sehr gerne gearbeitet, weil er mir alle Freiheit der Welt gab.

Die Furche: Film ist für Sie definitiv passé?

Mueller-Stahl: Ich habe sehr viele Pläne, was meine Malerei betrifft. Es sind Ausstellungen geplant. Ich habe allerdings keine weiteren Filmpläne, obwohl gerade ein Angebot auf meinem Tisch liegt, eine Auschwitz-Geschichte. Aber ich habe abgesagt. Die amerikanischen Produzenten versuchten mich zu locken und verdoppelten meine Gage.

Die Furche: Interessiert Sie Geld nicht?

Mueller-Stahl: Doch -aber nicht so, dass ich plötzlich meine Contenance verliere. Ich habe in meinem Leben immer etwas mehr verdient, als ich brauchte.

Die Furche: Sind Schauspieler überbezahlt?

Mueller-Stahl: 100-prozentig, wenn Sie die Stars ansehen. Die Unteren sind dramatisch unterbezahlt, die Oberen überbezahlt. Zehn oder 20 Millionen für einen Film zu bekommen, das ist doch idiotisch.

Die Furche: Sie haben einmal gesagt, die wahre Berufung ist das, was einem leicht fällt.

Mueller-Stahl: Ich dachte immer, was mir leicht fällt, ist nichts wert - das ist verkehrt. Das Zeichnen fällt mir wirklich sehr leicht. Schauspielerei ist viel komplizierter: Sie müssen vor der Kamera ein anderes Instrument spielen als der Partner. Spielt der Geige, spielen Sie Cello. Ist der Partner ganz schnell, dann machen Sie die Pausen. Der Beruf kann anstrengend sein: Ich habe in Amerika mit knapp 60 meine dritte Karriere begonnen, ohne ein Wort Englisch zu beherrschen. Ich spreche es heute noch miserabel. Das hat damit zu tun, dass ich immer nur Ausländer gespielt habe, die gebrochenes Englisch sprachen, entweder jiddisch gefärbt oder russisch.

Die Furche: Haben Sie also in der Malerei nun endgültig Ihre Berufung gefunden?

Mueller-Stahl: Das hoffe ich. Es wird ja langsam Zeit.

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