Musik-Sommer und Musik-Festival in Grafenegg bieten mehr als Konzerte. Was das ist, schildert Heinz Karl Gruber im FURCHE-Interview. Das Gespräch führte Walter Dobner
Heinz Karl, genannt "Nali“, Gruber zählt zu den weltweit erfolgreichsten Komponisten. Der gebürtige Wiener war Kontrabassist bei der "reihe“, den Niederösterreichischen Tonkünstlern und dem RSO Wien. Er ist nicht nur als Komponist über Jahre hinaus ausgebucht, sondern auch ein gesuchter Dirigent und Chansonnier. Zudem war Gruber maßgeblich an der Neugestaltung des Grafenegger Musikfestivals beteiligt. Hier ist er diesen Sommer nicht nur mit mehreren Werken vertreten, sondern auch als Leiter eines Kompositionsworkshops für Menschen von drei bis 99 Jahren und eines Composer-Conductor-Workshops.
DIE FURCHE: Nali Gruber, woran arbeiten Sie gerade?
Heinz Karl Gruber: Im Moment ist es die Oper "G’schichten aus dem Wienerwald“, original Horvath, aber genialst zusammengestrichen von Michael Sturminger. Er wird auch Regie führen bei diesem Auftrag der Bregenzer Festspiele. Die Oper soll 2003 uraufgeführt werden, 2005 ist eine Aufführungsserie im Theater an der Wien vorgesehen.
DIE FURCHE: Bleiben wir in Grafenegg, das Musikfest wurde ja von Ihnen wesentlich mitkonzipiert?
Gruber: Zu Grafenegg habe ich eine besondere Beziehung, es ist das Resultat eines mehrstündigen brainstormings zwischen Johannes Neubert, dem früheren Manager des Tonkünstler Orchesters Niederösterreich, der mittlerweile zu den Wiener Symphonikern gewechselt ist, und mir. 1980 war ich über Einladung von Leonard Bernstein zum ersten Mal in Tanglewood. Die Gegend von Grafenegg, das ich noch aus meiner Zeit als Musiker kenne, erinnert mich sehr an Berkshire: ebene Gegend, Sommerfrische, große Chancen für Tourismus. Meine Überlegung war, hier ein niederösterreichisches Festival mit einem Campus zu machen, damit dort auch ein Studentenorchester arbeiten kann, mit den Niederösterreichischen Tonkünstlern als Residenzorchester, die gleichzeitig mit den besten Orchestern der Welt konfrontiert werden.
DIE FURCHE: Was von diesen Ideen ist schon verwirklicht?
Gruber: Erstaunlich viel, auch der Composer in Residence. Ich wollte verhindern, dass das Publikum nur attraktive Musik hört, sondern es sollte eine enge Verbindung zur Gegenwartsmusik erzwungen werden. Einerseits durch den Composer in Residence, andrerseits dadurch, dass man auch die übrigen Programme - vor allem die der Tonkünstler - innovativer gestaltet. Meine Idee war, dass der Composer in Residence nicht nur kommt und einmal dirigiert, sondern auch Fußspuren hinterlässt, indem er unterrichtet, Kurse hält, wie in Tanglewood mit jungen Leuten arbeitet. Bis jetzt ist das nur bei Tan Dun gelungen.
DIE FURCHE: Was haben Sie sich als Composer in Residence für heuer vorgenommen?
Gruber: Was ich diesen Sommer als Composer in Residence mache, entspricht meinen eigenen Forderungen, etwa Workshops für Komponisten, die ihre Werke dirigieren sollen. Wir haben zehn Teilnehmer, darunter zwei aus London. Mit dem European Youth Orchestra mache ich meinen "Frankenstein!!“. Das hat Tradition, mein Amerikadebüt fand in Tanglewood mit "Frankenstein!!““ ebenfalls mit einem Jugendorchester statt, dem Berkshire Music Center Orchestra, dessen Chef damals Bernstein war. Die Stimmführer von Boston Symphony sind Dozenten beim Jugendorchester, das ist in Grafenegg noch nicht der Fall. Ich hoffe, dass sich mit dem European Youth Orchestra eine Tradition entwickelt. Auch die Idee, ein Orchester in mehrere Kammerorchester zu teilen, dafür Auftragswerke zu erteilen und diese dann im Rahmen einer Woche der Neuen Musik uraufzuführen, ist noch nicht realisiert.
DIE FURCHE: In der allgemeinen öffentlichen Wahrnehmung bilden Grafenegg und das Tonkünstlerorchester noch nicht diese von Ihnen angestrebte Einheit, zur Zeit schielt man doch noch mehr auf die internationalen Gastorchester?
Gruber: Auch in Tanglewood spielt nicht nur Boston Symphony, es spielen auch andere Orchester, vor allem die großen amerikanischen. Die Tonkünstler spielen in Grafenegg aber ziemlich viel, sie treten nicht nur im Rahmen des Musikfestivals auf, sondern schon beim vorangehenden Musiksommer auf, und das immer mit sehr ernst zu nehmenden Programmen. Aber es ist toll, dass die Gastorchester, von den Wiener Philharmonikern abwärts, sehr viel Publikum bringen und Grafenegg damit etwas anbietet, was auch für Wien-Touristen interessant ist. Ich habe ja fast daran gezweifelt, dass der Saal gebaut wird, glücklicherweise ist die niederösterreichische Kulturpolitik sehr abenteuerlustig. Es wurde in diesen fünf Jahren in Grafenegg mehr verwirklicht als anderswo bei ähnlichen Projekten in zehn oder fünfzehn Jahren.
DIE FURCHE: Sie sind seit der Saison 2009/10 Composer Conductor beim BBC Philharmonic in Manchester. Was ist darunter zu verstehen?
Gruber: Bei vielen englischen und amerikanischen Komponisten gibt es permanent einen Composer in Residence, in meinem Fall gibt es einen Composer Conductor. Das BBC Philharmonic koexistiert mit dem ebenfalls in Manchester ansässigen Hallé Orchestra. Voriges Jahr haben wir einen gemeinsamen Gustav Mahler-Zyklus gemacht. Aufgabe des Composer Conductor ist es, sich um die Neue Musik zu kümmern, der Composer in Residence macht die Programme, schreibt dazu Artikel. Das BBC Philharmonic kooperiert auch mit dem Royal Northern College, das heißt, der Composer Conductor muss auch unterrichten, kümmert sich um die Präsentation von Komponisten - unbekannte, weniger aufgeführte, in England nicht bekannte.
DIE FURCHE: Welche Ideen haben Sie schon verwirklicht?
Gruber: Im Februar habe ich einen Gottfried von Einem-Abend gestaltet, ich sorge dafür, dass Einem in Augenhöhe mit anderen Komponisten präsentiert wird, und zwar als Komponist des 20. Jahrhundert. Für mich ist Einem, der auch mein Lehrer war, einer der sechs wichtigen österreichischen Klassiker des 20. Jahrhunderts: Schönberg, Berg, Webern, Eisler, Krenek, Einem. Dabei habe ich Schreker vergessen, dass ist eher ungerecht, man müsste ihn noch dazu nehmen. Im Rahmen einwöchiger Festivals habe ich Porträts von Cerha, Schwertsik oder Alexander Goehr gestaltet. Ich bin nicht dazu da, um mich um mich selbst zu kümmern. Ich weiß aus Erfahrung, wie wichtig es ist, glückliche Komponistengesichter zu produzieren. Wir schaffen die besten Bedingungen für gute Aufführungen, das Orchester ist ein Spitzenorchester, wir nehmen auch CDs auf - zuletzt eine mit Werken von Kurt Schwertsik, sie wird im Herbst herauskommen. Geplant ist ein Porträt von Johannes Staud, eine Cerha-CD, aber auch Projekte mit englischen Komponisten, etwa Julian Anderson oder Robin Holloway.
Der Intendant greift in die Tasten
Zu den Höhepunkten des vom 19. August bis 7. September laufenden Musikfestivals Grafenegg zählen Gastspiele des Philadelphia Orchestra, des Pittsburg Symphony Orchestra, des Orchestre de Paris, des Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam, des Israel Philharmonic Orchestra, der Wiener Philharmoniker sowie mehrere Auftritte seines Intendanten, Rudolf Buchbinder, unter anderem mit einem Beethoven-Schumann-Programm. (dob)