Glücklicher Ödipus und Poster-Boy in Comicsocken

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"Es sind Stil und Geschichte, nicht Inhalt und Tatsache, die die Massenpolitik beeinflussen. Politiker haben gelernt, dass sie, um Stimmen zu erhalten, die zwischen Prominenten und der Öffentlichkeit bestehende Faux Intimität replizieren müssen. Durch kunstvolle Theaterinszenierungen und Dreharbeiten, durch politische Spin-Maschinen muss das Gefühl entstehen, dass der Politiker 'einer von uns' ist." Dieses Zitat des amerikanischen Pulitzer-Preisträgers Chris Hedges sorgte in den USA für viel Furore. Es stammt aus seinem Buch "Empire of Illusion. The End of Literacy and the Triumph of Spectacle", in dem sich der Autor kritisch mit der Obama-Ära und dessen groß aufgezogenen Image-Kampagnen auseinandersetzt. Ein Diskurs, der bis heute nichts an Gültigkeit verloren hat.

Zwischen Vorder-und Hinterbühne

Dass die Auftritte von Politikern Theaterinszenierungen gleichen, hatte bereits der Soziologe Erving Goffman in den 1950er-Jahren hinlänglich beschrieben. Der kanadische Sozialforscher verglich sogar jede menschliche Interaktion, für die er die gleichzeitige, örtliche Anwesenheit sowie ein gemeinsames Aufmerksamkeitszentrum als Voraussetzungen definiert, mit dem Schauspiel. Laut Goffman spielt jeder Mensch eine Rolle, die er auf der Hinterbühne (ein Ort, der den restlichen Interaktionsteilnehmern nicht zugänglich ist) einübt und auf der Vorderbühne präsentiert.

In der aktuellen Weltpolitik gibt es einige Kandidaten, die ihr Image so perfektioniert haben und ihr Narrativ so glaubhaft erzählen, dass dessen Wahrheitsgehalt immer weniger hinterfragt wird. Sie inszenieren ihr Privatleben, ihren Wertekanon, ihre Volksnähe, ihren Modegeschmack, ihre Bildung, ihre "Männlichkeit", ihren Reichtum oder ihre Bescheidenheit. Das gelingt mittels Fotos, einer bestimmten Wortwahl, Körpersprache oder auch durch das Zelebrieren von bestimmten Teilrollen wie der "des liebevollen Vaters","des fürsorglichen Gattens", oder "des knallharten Geschäftsmannes".

Wenn sie etwas über sich preisgeben, dann geschieht das über ihre individuelle Erzählperspektive und wird zu einer subjektiven Wahrheit verdichtet. Im für sie besten Fall wirkt das bei ihren Anhängern identitätsstiftend.

Eines der plakativsten Beispiele für diese Methode ist Wladimir Putin. Wenn er in seiner Freizeit in die Wildnis zieht, hat es Tradition, dass er die Weltöffentlichkeit an seinen Abenteuern teilhaben lässt. Anhand von (vermeintlichen) Schnappschüssen. Nach einem seiner Trips ist etwa auf einer der Aufnahmen zu sehen, wie der russische Präsident mit ausgebreiteten Armen auf einem Floss in der Sonne steht und in der linken Hand einen dicken Fisch hält. Selbstverständlich posiert Putin mit nacktem Oberkörper. Das hat er zu seinem Markenzeichen gemacht. Unvergessen sind seine Fotos als Reiter, barbrüstig, unterwegs in den Weiten Sibiriens.

Mit "Star Wars" zum Staatsempfang

Für einen Mann, der im kommenden Oktober 67 Jahre alt wird, sieht Putin topfit aus. Niemand soll glauben, er wäre zu alt für sein Amt. Der Langzeit-Präsident liebt die Inszenierung seines Körpers und seiner Männlichkeit. Sein Narrativ: Seht her, hier ist ein echter Kerl, naturverbunden, sportlich und vital, jederzeit bereit, sich in die Dienste des Vaterlandes zu stellen.

Und die Dramaturgie von Putin soll uns noch weit mehr sagen: "Das ist der russische Staat, buchstäblich verkörpert von Putin, der stark ist und alles und alle im Griff hat", übersetzt etwa der russische Politikwissenschaftler und Publizist Sergei Medwejew die ambitionierte Botschaft seines Staatschefs. Und Putins Masche funktioniert. Seine Beliebtheitswerte innerhalb der russischen Bevölkerung belegen das.

Doch er ist bei Weitem nicht der einzige Inszenierungs-König. Einer seiner schärfsten Konkurrenten auf der Vorderbühne im Polit-Pop heißt Justin Trudeau. Der kanadische Premier gibt sich als Poster-Boy aller Liberalen. Er bezeichnet sich als Feminist und mimt den passionierten Vater. Regelmäßig veröffentlicht er Fotos von seinen Kindern, die er mit ins Büro nimmt. Die drei dürfen auf den langen Marmor-Gängen um die Wette rennen, turnen bei Konferenzen auf Sesseln herum und machen ihre Hausaufgaben zwischen Aktenordnern auf dem Schreibtisch ihres berühmten Vaters. Die Erzählung: Hier ist ein Premier, der seinen Lebenssinn nicht nur aus der Politik zieht, ein mustergültiger Papa, dessen Work-Life-Balance funktioniert. Ansonsten inszeniert sich Trudeau als "coolster Regierungschef der Welt" (Daily Mirror). Am 4. Mai, der Fans als inoffizieller "Star-Wars"-Tag gilt, erschien der 48-Jährige mit Fan-Socken der Weltraumsaga bei einem Staatsempfang.

Wie ein Monarchie-Gemälde

Die Intention von Trudeaus hochprofessioneller PR-Maschinerie ist es zudem, einen "Anti-Trump" zu kreieren. Als Bannerträger ihrer Hoffnungen und Inbegriff ihrer Sehnsüchte feiern ihn deshalb auch Millionen frustrierte US-Amerikaner aus dem Lager der Demokraten. Trudeau erscheint ihnen als strahlende Kontrastfigur zu ihrem düster zeternden und bösartig twitternden Präsidenten. Der smarte 48-Jährige tritt auf wie der personifizierte Optimismus, stets freundlich und bescheiden.

Und dabei ist die Symbolik nicht zu unterschätzen, derer er sich innerhalb seines Narrativs bedient. Während sich Trump in Protz und Prunk gefällt -das Weiße Haus ließ er gleich nach Amtsantritt mit goldfarbenen Vorhängen dekorieren -, inszeniert sich Trudeau lieber in spartanischer Umgebung. Sein Schreibtisch im dritten Stock des kanadischen Parlaments in Ottawa ist Standardware, Stil "Executive", der Teppich ausgetreten. Seine Couchgarnituren könnten auch vom Möbeldiscounter stammen.

Ein symbolisch hoch aufgeladenes Narrativ erzählt auch einer seiner Amtskollegen auf der anderen Seite des Atlantiks: Emmanuel Macron. Wenn der Präsident beide Kammern des Parlaments in Versailles zusammenruft, ist das nicht nur ein höchst kostspieliges, sondern auch hoch metaphorisches Ereignis. Und Macron zieht seine majestätische Inszenierung seit Tag eins seiner Amtsübernahme durch. Das offizielle Foto des Präsidenten, das in jedem französischen Rathaus hängt, ließ Macron gestalten wie ein Gemälde aus Monarchie-Zeiten. Er steht mit dem Rücken zu seinem Schreibtisch, dahinter das offene Fenster, zu sehen ist die üppige Natur. Die Memoiren Charles de Gaulles liegen aufgeschlagen hinter ihm. Die Skulptur eines Hahnes, Symbol für das stolze Frankreich, steht da. Und eine goldene Uhr -Insignien der Kontrolle über die Zeit, aber auch der Anbindung an die Gegenwart. Flankiert wird Macron von der europäischen und der französischen Flagge, er hat die Hände hinter sich abgestützt. Ein Signal, das im Werkzeugkasten der politischen Stilmittel bedeutet: Ich kann jederzeit abspringen und loslaufen.

Auch Macrons Ehe mit seiner ehemaligen Lehrerin, die fast 25 Jahre älter ist als er, ist dramaturgisch griffig und hat ihm den Spitznamen "Der glückliche Ödipus" eingebracht. "Damit ist gemeint, dass er bewusst zeigt, dass er es nicht wie viele seiner Kollegen nötig hat, mit einem jungen Trophäenweibchen aufzulaufen, sondern keine Angst vor starken Frauen hat", erklärt die Münchner Kulturwissenschaftlerin Barbara Vinken.

Die Weltpolitik ist bühnenreif, keine Frage. Und wenn es nach Erving Goffmans Selbstdarstellungstheorie geht, ist das auch nicht weiter verwunderlich. Ein Narrativ hält ja auch politische Formationen zusammen. Allerdings kann es auch verblenden und den Blick auf die Realität trüben -und das ist eben auch das Argument von Kritikern wie Hedges. Experten sehen übrigens vor allem zwei Möglichkeiten, den politischen Inszenierungs-Künstlern Einhalt zu gebieten: Qualitätsjournalismus und kritische Medienanalyse als Korrektiv.

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