Goethe, die EZB und das Geld

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Auf ein Wort

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Zu Lebzeiten Johann Wolfgang von Goethes gab es noch keine deutsche Notenbank, geschweige denn eine Europäische Zentralbank mit Sitz in Frankfurt. Zwei Ausstellungen in seiner Geburtsstadt beleuchten nun "Goethe und das Geld“ - und werfen zugleich ein ungewöhnliches Licht auf aktuelle Fragen zur Politik der EZB: Im Geburtshaus des Dichterfürsten ist ein Panorama jener frühindustriellen Zeit zu besichtigen, in der Mensch, Technik und Geld zum faustischen Bündnis der Moderne fanden. Parallel dazu zeigt die Bundesbank Motive Goethes und seiner Werke auf Münzen und Banknoten - darunter Notgeldscheine mit in die Milliarden gehenden Nominalwerten aus der Inflationsperiode der 1920er-Jahre.

Uferlose Schaffung von Papiergeld

Bundesbankpräsident Jens Weidmann begründete anlässlich der Ausstellungseröffnung seine Gegnerschaft zum unlimitierten - wenn auch an strenge Bedingungen gebundenen - Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB mit Goethes "Faust“: Die uferlose Schaffung von Papiergeld trage offensichtlich immer nur einen kurzen Aufschwung, bevor es zur inflationären Entwertung komme. Eben deshalb hätten Notenbanken auf die direkte Finanzierung von Staatsschulden zu verzichten.

Die Rede Weidmanns erregte beträchtliches internationales Aufsehen. In der Financial Times des darauffolgenden Tages fand sich nicht nur eine Abbildung des der ungedeckten Geldvermehrung überführten Mephistopheles, sondern auch geharnischte Kritik am obersten deutschen Währungshüter: Mit seiner Bezugnahme auf Goethes "Faust“ wecke er nationaltypische Ängste, nachdem er die geldpolitische Auseinandersetzung gegen seine europäischen Kollegen verloren habe.

Der Schweizer Ökonom Hans Christoph Binswanger erinnert im Ausstellungskatalog an das historische Vorbild jenes Johann Georg Faust, der im frühen 16. Jahrhundert in Süddeutschland als Wunderheiler und Alchemist lebte - und bei der Herstellung von künstlichem Gold umgekommen sein soll. Im zweiten Teil von Goethes Drama wird nun die Schöpfung von Papiergeld zur Alchemie der Moderne: Auf Mephistopheles Rat versieht der Kaiser einen Zettel mit seinem Namenszug und macht ihn damit zu Papiergeld.

Überdehnte Bilanzen

Heute wissen wir, dass Vertrauen in Geld solange besteht, als Geldschöpfung und reale Wertschöpfung im Einklang stehen. Nur dann bleibt der Geldwert stabil. Noch nicht gelöst ist damit allerdings das Problem einer Inflationierung von Vermögenswerten, wie wir sie seit dem Auftreten der aktuellen Finanzkrise erleben. In den Jahren vor dem Ausbruch der Finanzkrise wurden nämlich den internationalen Großbanken fälschlicherweise extensive Möglichkeiten zur Geldschöpfung gegeben. Um das Gesamtsystem nicht durch abrupten Geldentzug zu gefährden, muss man nun dem unvermeidbaren Abbau der überdehnten Bilanzen ("Deleveraging“) noch mehrere Jahre Zeit geben.

Goethe liefert zwar keine Rezepte für den Umgang mit der aktuellen Krise - möglicherweise schützt aber die Auseinandersetzung mit seiner prophetischen Dichtung vor geldtechnokratischem Übermut.

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