Goethes "Clavigo" korrigiert

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Mehr Farce als Tragödie ist Kimmigs "Clavigo" bei den Salzburger Festspielen, eine Koproduktion mit dem Deutschen Theater Berlin.

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Mehr Farce als Tragödie ist Kimmigs "Clavigo" bei den Salzburger Festspielen, eine Koproduktion mit dem Deutschen Theater Berlin.

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Goethe, ein begieriger Leser auf Lebenszeit, war 24 Jahre alt, als er auf die gerade erschienenen Erinnerungen des französischen Barons de Beaumarchais stieß. Großartig, dachte er sich, entnahm ein Kapitel, das von der Unvereinbarkeit von Liebe und Karriere erzählt, um es zu einer Tragödie umzuformen. Das passte gut, kannte er doch das Problem aus eigener Erfahrung. Was von Beumarchais übrig bleibt, ist nicht so wichtig. Das Junggenie liefert einen Beweis seiner Fähigkeiten. Auch wenn er Passagen wortwörtlich in eigener Übersetzung übernommen hat, das Werk ist ein Original Goethes.

Diese Vorgangsweise leuchtet dem Regisseur Stephan Kimmig ein. Er las "Clavigo", für welches sich Goethe alle Freiheiten der Gestaltung genommen hatte, um sich für seine Inszenierung selbst alle Freiheiten zu nehmen. Großartig, dachte er sich, die Geschichte eines Charakterschweins, das seine Liebe verrät, um unbehelligt an seinem Aufstieg zu arbeiten, ist der Stoff, der in unsere Gegenwart passt. Auch wenn er Passagen aus dem Drama wortwörtlich in die Aufführung übernimmt, das Werk ist ein Original Kimmigs. Das erkennt man schon daran, dass uns das Programmheft darüber aufklärt, nicht Goethes "Clavigo" erwarten zu dürfen, sondern "Clavigo nach Johann Wolfgang Goethe".

Wortartist Goethe

Eine Tragödie geht für Kimmig gar nicht. Er macht eine schrille, schnelle Farce daraus, die er zeitweise abbremst zu einem Drama von Einflussnahme, Zweifel und Selbstverwirklichung. Immer dann, wenn jemand ins Grübeln gerät, wenn er ahnt, dass er drauf und dran ist, andere zu verletzen, wenn Momente der Zurücknahme des Ichs der Unaufhaltsamkeit des Aufstiegs entgegenarbeiten, zitieren die Darsteller Goethe im Original. Dann zeigen sie, welch großartige Sprechkünstler sie sind, wie sie Gefühl und Reflexion in einer Figur zusammenbringen. Und plötzlich ist der Wortartist Goethe hautnah zu spüren, der keines circensischen Aufwands bedarf, weil die Sprache selbst genügend Wucht entfaltet, um den Einzelnen in seiner Not zu charakterisieren.

Kimmig, weit mehr als doppelt so alt als Goethe bei der Niederschrift des Stücks, zeigt uns, dass der damalige jugendliche Trotzkopf ein ganz schöner Racker sein konnte. Daraus erklärt sich all das Alberne, welches einem zugemutet wird. Jeder Darsteller hat nicht nur eine Rolle als Liebhaber, Verräter oder Einflüsterer zu erfüllen, er muss auch Clown mit roter Pappnase staunende Naivität verkörpern. Wenn Passagen aus dem derben, zu Recht vergessenen Stück "Hanswursts Hochzeit" eingeschoben werden, werden wir unmittelbar mit der Nase darauf gestoßen, dass es einen wüsten, ungepflegten, unehrenhaften Goethe auch gab. Kimmig packt alles zusammen in eine Figur, die edle Seele und den grobschlächtigen Charakter. In gewisser Weise macht er das, was Goethe auch gemacht hat. Er übertreibt maßlos. Als Meisterwerk dramaturgischer Gestaltung und feinfühliger Ausführung werden wir "Clavigo" nicht auffassen wollen. Wenn sich am Ende die so schnöde verlassene Marie etwas gar vorschnell in den Tod fügt, Clavigo vom rächenden Bruder hingemetzelt wird und auch noch Dankbarkeit dafür empfindet, kommt das der Trivialisierung eines bedrängenden Stoffes recht nahe.

Mit dem Tod der Hauptfiguren erzielt Goethe die höchstmögliche Wirkung - auf Biegen und Brechen. Hier will ihm der sonst sehr auf Effekte achtende Kimmig nicht mehr folgen, auf stimmungsvolles, spektakuläres Sterben verzichtet er. Seine Mittel in der Überzeichnung findet er anderswo. Zu einer Balance zwischen Klamauk und Ernsthaftigkeit gelangt er schwer. Er zeigt entweder überdrehte Kaspergestalten, berechnende Karrieristen oder Selbstzerfleischungsgiganten. Dass eine Figur für eine bestimmte, klar definierte Haltung steht, ist vorbei. Der Widerspruch ist Kimmigs Sache, Charaktere von überschaubarer Gesinnung sind seine Sache nicht.

Überhaupt kippt Kimmig gängige Rollenbilder. Clavigo, so sehr mit dem eigenen Aufstieg beschäftigt, dass er dafür leichtfertig Verrat an der Liebe begeht, wird bei ihm zur Frau. Die arme Dulderin Marie verwandelt er zum ängstlichen Mann. Der Ansatz, Geschlechterrollen zu überdenken ist nicht überraschend, verstehen kann man ihn schon. Susanne Wolff als Clavigo imponiert durch ihre gewaltige Bühnenpräsenz, Marcel Kohler als Marie, in den defensiven Part gezwungen, hält ihr prächtig stand.

Hauptsache es geht rund

Pollyester, für Musik zuständig, macht sich durch besondere Aufdringlichkeit bemerkbar. Musik? Sie liefert eine Soundcollage, was Kimmigs Idee, Goethes Stück als Material für etwas Eigenes zu benützen, um es mit anderen Text-Fundstücken aus der unmittelbaren Gegenwart zu kombinieren, unterstützt. Im Bestreben, uns an den Puls der Zeit zu führen, führt Kimmig die Inszenierung an den Pop heran. Es muss ständig etwas los sein, auch wenn hektische Bewegungsabläufe reinem Selbstzweck genügen. Hauptsache, es geht rund. Von einigen schönen Passagen muss dennoch die Rede sein. Julian Krubasik und Lambert Strehlke stellen in Videoeinspielungen Szenen aus der Frühzeit der Liebe zwischen Clavigo und Marie her, die von Heiterkeit und Unbeschwertheit zeugen, Momente des Einverständnisses, flüchtig und verwegen.

Die Bühne ist sparsam ausgestattet. Eva Maria Bauer legt einen Fesselballon in den Raum, der sich bläht, um dann in sich zusammenzufallen. Wenn ihn Clavigo betritt, um in ihm zu verschwinden, sehen wir, wie sich jemand eigentlich in sich selbst verkriecht. Das Premierenpublikum reagierte verhalten. Applaus und Buh-Rufe ergaben ein ausgewogenes Mischungsverhältnis.

Clavigo

Salzburger Landestheater, 31. Juli, 2., 4. August

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