Goethes Leben mit Weichspüler

Werbung
Werbung
Werbung

Der erste Eindruck ist zwiespältig: Braucht die Lesewelt eine neue, weitere Biographie über den bekanntesten deutschsprachigen Autor aller Zeiten? Die zweite Signatur nach dem Autornamen ist der Name des Verfassers, die dritte der Name des Verlags; Rüdiger Safranski gilt als großer Erzähler unter den Biographen und Hanser als seit vielen Jahren bedeutendster deutschsprachiger Literaturverlag.

Dabei sind Biographien eine problematische Gattung. Es ist ihre Aufgabe, meist abgeschlossenen Lebensgeschichten einen tieferen Sinn zu unterlegen. In den letzten Jahrzehnten hat es zwei gegensätzliche Entwicklungen gegeben. Einerseits ist immer deutlicher geworden, dass nicht alles Gold ist, was glänzt. Unter dem Titel "Außen Marmor, innen Gips“ hat 1996 Karl Corino, indem er ihm seine gesammelten Lebenslügen vorgehalten hat, den DDR-Granden Stephan Hermlin vom geistigen Thron gestoßen. Biographien entsprechen oft mehr der Dichtung als der Wahrheit, die Biographen leben vom Bekanntheitsgrad des Porträtierten, und ihre Bücher bedienen die Bedürfnisse des Publikums. Andererseits sind die Bedürfnisse des Publikums nach Sinnstiftung in Zeiten der allgemeinen Ungewissheit und Orientierungslosigkeit offenbar noch gewachsen, sodass man wenigstens einige große Menschen als Ankerpunkte im unüberschaubaren Meer der (Literatur- und Kultur-)Geschichte benötigt.

Alle profitieren davon, wenn eine Biographie über jemanden erscheint, der als besonders wichtig gilt: Der Verlag und der Autor, weil sie Ansehen gewinnen und Bücher verkaufen; die Leserinnen und Leser, weil sie sich mit einem geglückten Leben identifizieren können, auch wenn es dafür nötig ist, das eher Zufällige in etwas Schicksalhaftes, scheinbar Absichtsvolles umzumünzen.

Andererseits muss man schon vor der Leistung den Hut ziehen, die Lebensgeschichte eines Autors geschrieben zu haben, der so unglaublich viel selbst verfasst hat, und über den bereits so viel geschrieben wurde, dass man ganze Bibliotheken damit füllen kann. Welche Quellen Safranski benutzt hat, legt er im Literaturverzeichnis offen, das den Band ebenso benutzerfreundlich macht wie das ausführliche Register. Doch haben er und der Verlag sich dafür entschieden, Quellen nicht unmittelbar nachzuweisen, etwa durch Anmerkungen. Das macht die Studie vielleicht leichter lesbar. Allerdings dürfte nun nur wenigen ausgewiesenen Goethe-Forschern deutlich werden, auf welche Forschungen sich Safranski jeweils bezieht, wenn er nicht selbst, was manchmal vorkommt, explizit darauf hinweist.

Biographie als Sinnstiftung

Zu welcher der beiden Gruppen von Biographen er gehört, zu den wohltuenden Sinnstiftern oder zu den beunruhigenden Zweiflern an Menschen und Quellen, legt Safranski bereits durch den Untertitel seiner Studie offen, der auch zu einem Film im Abendprogramm zur besten Sendezeit passen würde: "Kunstwerk des Lebens“. Dabei erwähnt er immer wieder und manchmal mit kritischem Unterton das übergroße Selbstbewusstsein und die günstigen äußeren Umstände, die zu Goethes Erfolg beigetragen oder ihn sogar ermöglicht haben. Bei solchen "Kontingenzen des Lebens“ hält sich Safranski aber nicht lange auf, um einen Lebensfaden zu spinnen, der vom jungen Frankfurter Bürgerssohn zum berühmtesten und hofiertesten Autor der westlichen Lesewelt führt.

Auch Safranskis eigener Werdegang ließe sich im Lichte einer geglückten Entwicklung beschreiben. 1984 erschien seine noch stark von psychoanalytischen Interessen geprägte Biographie über E. T. A. Hoffmann, es folgten weitere umfangreiche Arbeiten zu besonders bekannten Philosophen und Schriftstellern, zu Schopenhauer und Nietzsche, zu Schiller und nun zu dem bekanntesten aller bekannten deutschen Dichter und Denker. Bereits 2009 hat Safranski die Beziehung von Schiller und Goethe als "Geschichte einer Freundschaft“ nachgezeichnet. Ohne den Biographen näher zu kennen, verwundert es aber, dass er in seiner Studienzeit, die auch die Zeit der Studentenbewegung war, radikal linken politischen Gruppierungen nahestand und nun an den problematischen sozialen und politischen Verhältnissen der Goethezeit so uninteressiert vorüberstreift.

Keine Frage: Safranski kann erzählen, er schreibt flüssig und variantenreich, er hat einen Blick für die Interessen seiner Leserinnen und Leser. So werden die Freundschaften und Liebschaften Goethes stets besonders genau geschildert und mögliche Spuren im Werk gesucht. Bereits Safranskis erste Biographie, jene über E. T. A. Hoffmann, hat sich durch einen biographistischen Ansatz hervorgetan. Dagegen bevorzugt man es in der Literatur- und Kulturwissenschaft seit langem schon, den Autor nicht zu wichtig zu nehmen und eher die Kontexte der Entstehung wie auch der Rezeption in Interpretationsversuche mit einzubeziehen. Aber das ist auch nicht das Publikum, für das Safranski, selbst promovierter Germanist, schreibt.

Schon die ersten Sätze des Buches zeigen nicht nur durch ihre Kürze, dass es dem Leser leicht gemacht werden soll, sich mit diesem größten aller Geistesheroen zu beschäftigen: "Goethe ist ein Ereignis in der Geschichte des deutschen Geistes - Nietzsche meinte, ein folgenloses. Doch Goethe war nicht folgenlos.“ Mit Verlaub: Solche Formulierungen passen eher zu einem Schulaufsatz in der Unterstufe. Wer wollte bezweifeln, dass der Weltautor Goethe einer der bedeutendsten Köpfe der Kultur der Neuzeit ist? Wenn Nietzsche Zweifel anmeldet, dann liegt das daran, dass Nietzsche an der ganzen damaligen bürgerlichen Welt und ihrem Wertesystem Zweifel angemeldet hat, und das sollte der Nietzsche-Experte Safranski doch eigentlich wissen. Nur passt es ihm hier nicht zu seiner Pointe, zuerst einmal die Bedeutung Goethes zu betonen und damit die Erwartungen seiner Leserinnen und Leser zu erfüllen, das bekannte Goethe-Bild auf zeitgemäße Weise bestätigt zu finden. "Goethe war voller Ideen“, heißt es in einem vorläufigen Fazit nach knapp 200 Seiten - wie schön.

Kein Blick in die Abgründe

Noch problematischer wird es, wenn Safranski sein Studienobjekt auch als "Meister des Lebens“ tituliert. Seit Celan hat der "Meister aus Deutschland“ keinen guten Klang, und das sollte man, im Lichte der Kontingenzen der Geschichte, besser nicht vergessen. Wirklich neu wäre es gewesen, Goethe nicht nur zum Kunstwerk seiner selbst zu stilisieren, sondern seinen Lebensweg mit allen Brüchen und Zufälligkeiten nachzuzeichnen, die nun einmal jeden Lebensweg kennzeichnen, auch wenn das niemand so gern wahrhaben möchte.

Safranski hat es vorgezogen, seinen Leserinnen und Lesern ein Goethe-Bild zu vermitteln, an dem sie sich aufrichten und über das sie sich sagen können: Mit Geld und Begabung kann doch alles gut gehen. Der alte US-amerikanische Mythos "vom Tellerwäscher zum Millionär“, der im 20. Jahrhundert die Welt erobert hat, durchweht in einer eigentümlich deutschen, verbürgerlichten Variante selbst dieses Buch über einen Autor, der nicht nur wohlhabend und begabt war, sondern außerordentlich rücksichtslos sein konnte und viele der Abgründe kannte, in die er seine Leserinnen und Leser blicken ließ. Weder der "Faust“ noch die "Wahlverwandtschaften“ sind Lektüren zum Kuscheln. Safranskis Buch aber ist genau das, und es empfiehlt sich daher als ideales Geschenkbuch der gehobenen Art für Weihnachten.

Goethe

Kunstwerk des Lebens

Von Rüdiger Safranski, Hanser 2013.

752 Seiten, gebunden, e 28,70

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung