Golden flackert die Flamme

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Deutschlands Einheit und Freiheit, Demokratie und Sozialismus trieben ihn um: Zum 200. Geburtstag des politischen Dichters Ferdinand Freiligrath.

Wer kennt noch ein Gedicht, eine Zeile von Ferdinand Freiligrath, dem am 17. Juni 1810 in Detmold geborenen, in protestantischem Lehrer-, Pastoren- und Kaufmannsmilieu aufgewachsenen „Trompeter der Revolution“? Antwort erwarte ich nur von älteren Lesern, denen die prächtige Ballade „Prinz Eugen, der edle Ritter“ in den Sinn kommen wird: „Zelte, Posten, Werda-Rufer! / Lust’ge Nacht am Donauufer!“ Aus der Erinnerung steigen vielleicht noch die Strophen „Aus dem schlesischen Gebirge“, die so frühlingshaft anheben: „Nun werden grün die Brombeerhecken; / Hier schon ein Veilchen – welch ein Fest!“ Der Hilferuf des Sohnes des Leinenwebers, „matt und bleich“, nach „ – Rübezahl?!“ verhallt im Leeren. Im Nachlass Freiligraths fand sich eine Fortsetzung über den von Gerhart Hauptmanns Drama bekannten Protest der hungernden Weber und ihre Niederwerfung durch preußisches Militär (1844). Der „dreifache Fluch“, den Heinrich Heine aus Paris mit seinem „Weber“-Gedicht gegen „Gott, König und Vaterland“ schleuderte, enthüllt die politische Misere „Alt-Deutschlands“ ebenso wie die brennende soziale Frage des frühen Kapitalismus.

Heines Invektive der Verssatire „Atta Troll“ galt nicht zuletzt der „Wüsten- und Löwenpoesie“ des jungen Freiligrath mit seinen populären Balladen von „Löwenritt“ und „Mohrenfürst“, der vor dem Zirkuszelt die Trommel schlägt („Sein Auge ward naß, mit dumpfem Klang / schlug er das Fell, daß es rasselnd zersprang“). Ironisch rechnete Heine Freiligrath zu den „Tendenzbären“ der deutschen Vormärzliteratur und zu „des Völkerfrühlings kolossalen Maienkäfern“.

Revolutionspathos und Reformpraxis

Mit der Sammlung „Ein Glaubensbekenntnis“ trat Freiligrath im Wendejahr 1844 entschlossen in die Reihe der politischen Vormärzdichter. Er revidierte seine Haltung in der Kontroverse mit Georg Herwegh, in der er 1841 das Wort geprägt hatte: „Der Dichter steht auf einer höhern Warte, / Als auf den Zinnen der Partei!“ Nun wurde das Exil sein mit so vielen Dichtern geteiltes Schicksal. In Brüssel wurde Karl Marx, in der Schweiz der damals radikale Gottfried Keller zum Freund. Wohl „zitterten die Weinstuben bis nach Mitternacht vom Rezitieren meiner Verse“, doch konnte Freiligrath vom Ertrag seiner Dichtung nicht leben. So ging er nach London und diente, „Tagelöhner und Poet“, seiner kaufmännischen Ausbildung in Amsterdam entsprechend, im Kontor von Großhandelshäusern und Banken. Seine eminente Sprachbegabung ermöglichte eine fruchtbare Übersetzungsarbeit (Byron, Burns, Coleridge, Hugo, Lamartine, Longfellows Indianerepos „Hiawatha“, Walt Whitman).

Mit der Sammlung „Ça ira!“ (1846) bekannte er sich zur Französischen Revolution und sagte eine nahe Revolution in Deutschland und eine weltweite Erhebung aller „Unterjochten“ voraus. Solche Manifeste klangen in der Arbeiterbewegung lange nach: 1906 widmete die österreichische Sozialdemokratie ihre Märzfestschrift ganz dem Andenken Freiligraths. Stärke und Schwäche dieser politischen Poesie offenbaren sich hier: Der Widerspruch von Revolutionspathos und Reformpraxis prägte den Austromarxismus.

In London erreichte Freiligrath die Nachricht von der Pariser Februarrevolution, die er jubelnd begrüßte und deren Fortsetzung er für Deutschland und die Habsburgermonarchie forderte. Am 17. März, einen Tag vor den Berliner Barrikadenkämpfen, schrieb er das dann von Robert Schumann vertonte schwarz-rot-goldene Fahnenlied für Deutschlands Freiheit: „Pulver ist schwarz, / Blut ist rot, / Golden flackert die Flamme!“ Und schon am 25. März 1848 sprach er im Namen der Berliner Barrikadenkämpfer zu König Friedrich Wilhelm IV.: „Wir rücken an in kalter Ruh’, / Wir beißen die Patrone, / Wir sagen kurz: Wir oder du! / Volk heißt es oder Krone!“ („Berlin. Lied der Amnestierten im Auslande“)

Im Mai des Sturmjahres kehrte Freiligrath zurück in die Heimat. Sein Gedicht „Die Toten an die Lebenden“ galt den Märzgefallenen, vor denen der preußische König hatte den Hut ziehen müssen. Der Dichter rief auf, „die halbe Revolution zur ganzen“ zu machen. Angeklagt wegen dieses Gedichts, wurde er vom ersten Geschworenengericht freigesprochen und trat mit dem Nimbus des Revolutionsdichters im Oktober in die Redaktion der in Köln erscheinenden Neuen Rheinischen Zeitung ein – unter der Chefredaktion von Karl Marx. Seine Revolutionsgedichte „Wien“ und „Blum“ appellierten vergeblich an eine neue Erhebung: „O Deutschland, ein Erheben! O Deutschland, eine Tat!“ Die Reaktion triumphierte: Mit ihrer letzten rot gedruckten Nummer vom 19. Mai 1849 sprach Freiligrath das „Abschiedswort der Neuen Rheinischen Zeitung“. Seine „Neueren politischen und sozialen Gedichte“ (1851) wurden zum Abgesang der tragisch gescheiterten demokratischen Revolution. „Die Revolution“ hat das letzte, in der Erinnerung an die Bibellektüre der Jugend gesprochene Wort: „Ich war, ich bin, ich werde sein! / Ich werde sein, und wiederum voran den Völkern werd ich gehen! / Auf eurem Nacken, eurem Haupt; auf euren Kronen werd ich stehn!“

In der Londoner Emigration verstummte seine politische Dichtung; er ging auf Distanz zur „Partei Marx“. Dennoch sandte Marx ihm, den er intern als „alten Philister“ titulierte, ein Exemplar seines „Kapital“ zu.

Von Bismarcks Politik fasziniert

„Die Erfolge der preußischen Waffen rissen“ Freiligrath „nicht fort“ (1866). Dennoch überwältigte den 1868 nach Deutschland Zurückgekehrten Bismarcks erfolgreiche „Eisen- und Blut“-Politik, mit dem „Hurra, Germania!“ vom 25. Juni 1870. Trotzdem war er nicht zum Hurra-Patriotismus übergelaufen. „An Wolfgang im Felde“, seinen Sohn, der freiwillig beim Roten Kreuz diente, richtete der fortan vielfach von falscher Seite zitierte und gefeierte Dichter die Worte: „Lern’ du zu dieser Frist, / Daß Wunden heilen besser / Als Wunden schlagen ist!“

Am 18. März 1876, dem Jahrestag der Berliner Märzrevolution 1848 und der Pariser Commune von 1871, starb Ferdinand Freiligrath in Bad Cannstatt. Auf dem alten Friedhof an der Uffkirche steht seine Büste, gewidmet „vom deutschen Volke“, mit merkwürdiger Ähnlichkeit zu Marx’ Grabdenkmal auf dem Friedhof von Highgate. Was „Die Toten an die Lebenden“ zu sagen hatten, bleibt als Vermächtnis Freiligraths Wort von den „Siegenden Geschlagenen“ der demokratischen Revolution. Am 15. Jänner 1919, dem Tag seiner Ermordung, erschien in der Roten Fahne der letzte Artikel Karl Liebknechts unter dem Titel „Trotz alledem!“ – die Übersetzung Freiligraths des Wortes „For a’that“ des schottischen Freiheitsdichter Robert Burns: „Trotz alledem und alledem! / So kommt denn an, trotz alledem! / Ihr hemmt uns, doch ihr zwingt uns nicht! / Unser die Welt trotz alledem!“

In derselben Gedichtstrophe steht auch das Wort „Wir sind das Volk, die Menschheit wir …“ – wir erinnern uns der Sprechchöre „Wir sind das Volk / ein Volk!“ der Protestbewegung, die 1989 das Ende der DDR einleitete. Am 18. März 1990 wurde die Volkskammer der DDR zum letzten Mal gewählt. Deutschlands Einheit und Freiheit, bürgerliche Revolution, Demokratie und Sozialismus, das war das große, widerspruchsvolle Thema der politischen Poesie des 19. Jahrhunderts, und ist es noch in den Widersprüchen unserer Zeit.

* Der Autor ist em. Univ.-Prof. für Österreichische Geschichte und arbeitet am Institut für Österreichische Geschichtsforschung über Literatur- und Bildungsgeschichte

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