Golgotha neu schreiben

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Im Tiroler Ort Grinzens wird die Tradition der Passionsspiele aktualisiert.

Ekkehard Schönwiese ist ein ausgewiesener Kenner des Theaters im Alpenraum und speziell der Passionsspieltradition. Diese reicht in Tirol ins 14. Jahrhundert zurück und stellt das Heilsgeschehen dar, im Gegensatz zu "Leiden Christi Spielen", in denen es um die historischen Ereignisse geht. Schönwiese sieht in der Vermischung von Heils-und politischer Geschichte ein Problem, also auch in der Vermischung von der Idee des Gottesstaates und des Reiches, das eben nicht von dieser Welt ist. In seiner Passion, die er für die Volksbühne von Grinzens, die "Sendersbühne", geschrieben hat, trennt Schönwiese die beiden Sichtweisen zunächst, um sie dann logisch zu verknüpfen.

Neu ist eine Vermenschlichung der Personen, die kein abstraktes Volk bilden, sondern Staunen, Begeisterung, Zweifel und Angst leben; neu ist, dass Frauen ins Blickfeld rücken. Die Gattin von Simon Petrus tritt mit den Nöten einer Verlassenen auf, die Mutter Jesu darf eine Mutter sein, die um ihr Kind kämpft. Tempel, Palast und Brunnen wurden gebaut, Straßenkinder tollen durchs Bild, der Hohe Rat, Pilatus und Herodes mit Familie haben ihre Auftritte. Die Männer verstecken sich nicht hinter Rauschebärten, es gibt einen Alltag mit Arm und Reich, Politik und Ideologie, die sich aneinander reiben.

Der Spielort ist in eine hügelig aufsteigende Wiesenlandschaft gebaut, die die vertrauten Bilder von Golgotha, Ölberg und Kreuzweg bestätigt - oder neu schreibt, wenn hoch oben das Kreuz mit dem Gekreuzigten von hinten gezeigt wird.

Neu ist die politische Annäherung. Die Rolle des Pilatus wird hinterfragt, der in seiner Meinung gespaltene Hohe Rat, dem Pilatus die Schuld am Tod Jesu zuschiebt, trägt endlich seine Debatten öffentlich aus. Jesus handelt in äußerster Konsequenz seines Sendungsbewusstseins. Dazwischen Judas, ein kluger Kopf, der sich auf der Basis der neuen Glaubensbotschaft umstürzlerisch durchsetzen und ein Gottesreich auf Erden verwirklichen will. Sein Verrat wird zum Scheitern einer Mission.

Schönwieses Passion verringert die Distanz vom Glauben zum Verstehen. "Das System der Macht", sagt er, "scheiterte an der Botschaft der Liebe, die viel radikaler und nachhaltiger ist als politischer Widerstand".

Die vielen Darsteller mit den Spielern der Sendersbühne Grinzens im Zentrum, die in Schönwieses Regie mit der Kraft und Schlichtheit guter Volksschauspieler agieren, Singkreis und Bläsergruppe des Dorfes widmen diesen Sommer bis in den September hinein "ihrer" Passion, und die Menschen kommen in Scharen.

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