Gott – unser Verhängnis?

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Wir alle kennen das: Irgendwo hakt sich ein Satz im Gedächtnis fest – und will sich partout nicht der Vergesslichkeit beugen. Ein solcher Satz steht derzeit groß am Salzburger Festspielhaus – und ärgert mich. Es ist das Motto zum 90-Jahr-Jubiläum der Festspiele: „Wo Gott und Mensch zusammenstoßen, entsteht Tragödie“.

Nun weiß ich schon: „Tragödie“ – das ist nicht nur Trauerspiel, sondern das Kernthema großer Dichtung; ist die unausweichliche Kollision von Menschen, Göttern und Normen. Also der Stoff, aus dem die antiken Dramen sind. In Salzburg dominieren sie heuer das Festspielprogramm: „Elektra“, „Dionysos“, „Phädra“, „Ödipus“ … Die gesammelte Familiensaga des Olymp. Alles Geschichten um Macht und Verrat, um Gier und Perversion der antiken Götterwelt – samt Durchgriff zu denen, die sterblich waren.

Provokantes Festspielmotto

Nur: Im Festspielmotto von heuer ist nicht von „den Göttern“ und der Antike die Rede, sondern von „Gott“. „Wo Gott und Mensch zusammenstoßen, entsteht Tragödie.“ Das signalisiert den Menschen unserer Zeit: Der Umgang mit Gott ist zu vermeiden – heute und immer. Er schafft nur Unglück.

Ein provokantes Motto – bewusst hineingestellt in das geistig-geistliche Salzburg: Dom und Kirchen, Glockengeläut, „Deutsches Rom“. Und gleich um die Ecke das älteste Stück Christentum nördlich der Alpen: St. Peter und Nonnberg, das Erbe von Rupertus, Virgil und Erentrudis. Ein merkwürdiges Leitwort gerade im Jubiläumsjahr eines Festspiels, das seinen Gründungsauftrag sicher nicht im Konflikt zwischen Gott und Mensch verstanden hat. Eher im Gegenteil.

Es ist schon wahr: Kunst lebt (auch) vom Widerstand, hinterfragt Etabliertes, weckt und zerstört Mythen, spielt mit doppeltem Boden. Auch in Salzburg, wo es heuer offenbar nicht nur um Zeus und die Seinen geht, sondern auch um das jüdisch-christliche Gottesbild: „Es wird … lange dauern“, schreibt Michael Köhlmeier dazu im Festprogramm, „bis die Menschen einsehen, dass die Liebe eines einzigen Gottes ein Höchstmaß an Unfreiheit bedeutet …“ Also: Auch er – der eine Gott – steht uns demnach im Weg, unvermeidlich und tragisch.

„Jedermann“ als Antithese

Man muss es noch einmal nachwirken lassen: „Wo Gott und Mensch zusammenstoßen, entsteht Tragödie.“ Das klingt nach ewigem Unheil. Ganz aktuell: Wo war Gott in Haiti? Nur im Wunder der Überlebenden? Oder auch im Beben? Die Antwort ist schwierig.

Und doch sind Christen – bei allem Schrecken – nie in die Hoffnungslosigkeit gestürzt. Ihr Gott – Rudolf Mitlöhner hat es zu Weihnachten in der FURCHE so wunderbar formuliert – steht nicht in machtvoller Konkurrenz und Kollision, sondern an der Seite des Menschen, gerade in Schwäche und Elend. Und ist auch selbst Mensch geworden. Aus diesem Paradoxon wächst Hoffnung, nicht Grauen. Und: Hinter Golgatha leuchtet immer Ostern. Also: Tragödien entstehen wohl eher dort, wo Gottlosigkeit und Unmenschlichkeit aufeinanderstoßen.

Hofmannsthals „Jedermann“ am Salzburger Domplatz wird heuer das eigene Festspielmotto dementieren: Denn auch da wird im Tod nicht gerichtet, sondern gerettet.

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