Gott, Godot, Otto und viel Zitat

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Mit "Geronnene Interessenslage" hatte am 13. Februar ein weiteres Stück Gegenwartsdramatik im Wiener Schauspielhaus Premiere -in einer rätselhaften Inszenierung von Robert Borgmann.

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Mit "Geronnene Interessenslage" hatte am 13. Februar ein weiteres Stück Gegenwartsdramatik im Wiener Schauspielhaus Premiere -in einer rätselhaften Inszenierung von Robert Borgmann.

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Gott, Godot, Otto. Alle drei Wörter beinhalten kreisrunde O -rund wie die Erde, die Sonne, das Universum, die Unendlichkeit -und spitze T -geformt wie ein Kreuz, auf dem Gottes Sohn getötet wurde. Anfang und Ende, Zufall und göttlicher Wille: Das sind Überlegungen in der jüngsten Uraufführung am Schauspielhaus. Clemens Mädge ist der Autor des Stücks mit dem Titel "Geronnene Interessenslage", wofür er das Hans-Gratzer-Stipendium erhielt. Regisseur Robert Borgmann hat dafür eine höchst manierierte szenische Lösung gefunden.

Sinn des Lebens?

Worum geht es in dieser Produktion? Um die Quadratur des Kreises? Handelt es sich um reine Hirnwichserei? Oder zeigen Mädge/Borgmann die subversive Kraft des Unsinns? Wie etwa Loriot, der einen Sketch dem sprechenden Hund Bodo gewidmet hat, der nichts als ein jämmerliches O jault.

Die Antwort muss man schuldig bleiben, bis zum Schluss ist unklar, was Mädge/Borgmann zu sagen haben. Vermutlich ist vom Sinn des Lebens die Rede. Darauf lassen die vielen Zitate schließen: Vor allem Samuel Becketts "Warten auf Godot", Herman Melvilles "Bartleby der Schreiber", Jean-Paul Sartre und Bertolt Brecht werden herangezogen. Auch die Bühne ist voller Zitate: Leuchtstoffröhren lassen an den amerikanischen Künstler Dan Flavin denken, der sich -"religiös erzogen und Religionsverächter" - thematisch geradezu ideal in die Inszenierung fügt. Drei "icons" strukturieren den Bühnenraum, ein quadratisches Gemälde, ein Dreieck und ein Kreuz. Vor diesem kniet Schauspielerin Nicola Kirsch und geißelt sich mit einer Zopf-Perücke: Ulrich Seidls "Paradies: Glaube" lässt grüßen.

Das göttliche Licht erleuchtet zwar die Bühne, aber keineswegs die Frage nach dem Konzept dieses Abends. Wenn sich der Mensch selbst zur Ware und gleichzeitig zum Schöpfer erklärt, welche Rolle spielt dann Gott? Bei Mädge heißt er Otto. Sein Name ergibt von vorn und von hinten gelesen denselben Namen. Auch für den Namen von Gottes Ehefrau wählte Mädge ein Palindrom: Anna. Margarethe Tiesel sieht wie ein verwahrloster Clown aus; weiß geschminkt täuscht ein übergroßer roter Mund über ihren traurigen Gesichtsausdruck hinweg. Anna kümmert sich um die täglichen Geschäfte von Otto, der die Geschehen auf der Bühne laut schnarchend verschläft.

Göttlichkeit und Konsumismus

Gott/Otto/Godot ist hier ein mit schwarzen Kunststoffplanen überzogener Quader, der über der Bühne hängt. Er ist das Damoklesschwert in neuer Form, das nur darauf wartet, die Bühnenfiguren zu erdrücken. Diese wiederum erklären sich zugleich zu Puppenspielern und ihren eigenen Marionetten. Einmal mit schwarzen Strumpfmasken über dem Gesicht, dann wieder mit offenem "Visier" wechseln die Charaktere zwischen Individualität und maskenhafter Austauschbarkeit. Am Ende bewegen sie ein Miniatur-Gerippe. Ist die Welt ein riesiges "Puppet Motel", wie die amerikanische Performance-Künstlerin Laurie Anderson singt? Oder eine einzige Fernsehshow, in der wir nur mit göttlichem Beistand reüssieren können? Myriam Schröder spielt die Musikerin Gratsche, die vortrefflich Kate Bush singt: "If I only could /I'd make a deal with God". Welche Erfahrungen von Göttlichkeit bringt der Konsumismus?

Viele Fragen und vor allem die großen nach dem Sinn variieren Mädge/Borgmann mit einer Aneinanderreihung von Zitaten. Das bietet nach der eineinhalbstündigen, zähen Inszenierung ein interessantes Quiz-Raten für das gebildete Publikum, frei nach dem Motto: "Wer erkennt mehr Zitate aus Literatur, Film und Musik?" Nach erfolgtem Rätseln und lustigem "name dropping" bleibt jedoch die Frage nach der Qualität der Gegenwartsdramatik neu zu stellen. Schließlich hat sich das Schauspielhaus der Entdeckung von Nachwuchs-Dramatikern und Jung-Regisseuren verschrieben. Es gibt ausgezeichnete Dramatiker und Regisseure, das Zusammenspiel zeigt sich jedoch am Schauspielhaus oft als allzu riskant. Auf jeden Fall gilt der selbstkritische Satz: "Das war ästhetisch unausgegoren" als Resümee für diesen äußerst mühsamen Abend.

Geronnene Interessenslage Schauspielhaus, 22. Feb., 12., 25. März

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