Richard Wagner: Gott mit einem Gehstock betrügen

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Drei Dutzend Bücher hat der im rumänischen Banat geborene Schriftsteller Richard Wagner bereits veröffentlicht. Sein jüngstes Werk "Herr Parkinson" ist kein Ratgeber, sondern ein literarischer Kraftakt von schier unerträglicher Leichtigkeit über die letzten Fragen.

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Drei Dutzend Bücher hat der im rumänischen Banat geborene Schriftsteller Richard Wagner bereits veröffentlicht. Sein jüngstes Werk "Herr Parkinson" ist kein Ratgeber, sondern ein literarischer Kraftakt von schier unerträglicher Leichtigkeit über die letzten Fragen.

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Im Grunde war es mein rechtes Bein, das mich ins Unglück gestürzt hat. Ohne dieses Bein wäre mein Leben anders verlaufen. Ich hätte einen Hut getragen, wenn mein rechtes Bein mir nicht ständig an die Krempe getippt hätte." Richard Wagner beginnt die Beschreibung seiner Parkinson-Erkrankung voller Sarkasmus und entfaltet - unter Zuhilfenahme aller ästhetischen Mittel, die dem Romancier, Essayisten und Lyriker noch zur Verfügung stehen -schrittweise eine Art literarischer Theodizee in Fragmenten. Diese Mittel sind Gedankenschärfe und höchster Sprachwitz, Eigenschaften, die sämtliche Bücher von Richard Wagner auszeichnen.

Zur Erinnerung: Richard Wagner wurde 1952 im rumänischen Banat geboren, seit den frühen 1970er-Jahren hat der heute in Berlin lebende Autor drei Dutzend Bücher veröffentlicht. Galt der Mitgründer der "Aktionsgruppe Banat" bei deutschsprachigen Lesern bis zu seiner Ausreise aus Ceausescus Diktatur im Jahre 1987 als Geheimtipp, zählen seine Bücher "Ausreiseantrag" (1988) und "Begrüßungsgeld" (1989) mittlerweile zu den Klassikern der Wendeliteratur über das Ende des Kommunismus. Die Analyse der Jugoslawienkriege in "Der leere Himmel. Reise in das Innere des Balkan" (2003) gehört noch immer zum Besten, was über Südosteuropa auf Deutsch zu lesen ist. Mit "Habseligkeiten"(2004) verabschiedete sich der Kulturkritiker Wagner in Romanform von seiner "alten Heimat", dem Banat, der Roman "Belüge mich" (2011) handelte später noch einmal ein ganzes Jahrhundert rumänischer Geschichte ab. Das gemeinsam mit der Kritikerin Thea Dorn verfasste essayistische Hausbuch "Die deutsche Seele" (2011) wurde zum Spiegel-Bestseller, "Habsburg. Bibliothek einer verlorenen Welt" (2014) ist Richard Wagners hierzulande leider kaum rezipiertes Resümee des kakanischen Erbes. "Habsburg ist das Markenzeichen der Republik", betonte Richard Wagner mehrfach, nur werde das alte Österreich von der Republik in seiner auch politisch aktuellen Bedeutung nach wie vor leider unterschätzt.

"Herr Parkinson" ist kein Ratgeber, sondern ein literarischer Kraftakt von schier unerträglicher Leichtigkeit über die letzten Fragen. Richard Wagner nannte das Buch selbst einmal einen "existenzialistischen Sachbuchroman", der Erzählung und Analyse seiner Krankheit in spannungsvoller Schwebe belässt. "Ich befand mich mitten im Leben und dachte mir Erklärungen für den Zustand der Welt aus. Damit war viel Zeit zu verbringen, denn mit dem Zustand der Welt stand es schlecht. Nun war ich zwar weder ein Weltverbesserer noch ein Weltretter, aber auch das bloße Zuschauen war nicht meine Sache." Auch gegen Parkinson gilt es zu kämpfen, selbst wenn dieser Kampf aussichtslos ist.

Spott und Selbstironie

Die "Urszene" seiner Erkrankung erlebt Richard Wagner in aller Öffentlichkeit während eines Konzertes, "als ich im Konzertsaal im Französischen Dom, ohne es zu wissen, den Takt schlug, mit dem Absatz aufs Parkett, und dabei dem Dirigenten ins Gehege kam." Das Publikum reagiert pikiert, doch Richard Wagner eröffnet sogleich ohne alles Selbstmitleid eine furiose Polemik gegen die Neue Musik; der Spott steigert sich zu Selbstironie und beruhigt sich schließlich lakonisch: "Es war mein letzer Konzertbesuch." Zu diesem Zeitpunkt hat Wagner noch keine Ahnung von seiner Erkrankung. Es folgt der Besuch bei der Hausärztin, ein Neurologe befindet schließlich: "Also doch Parkinson." Die folgenden, knappen hundertvierzig Seiten beschreiben den persönlichen Zerfall und Widerstand gegen eine Krankheit, über die es sich erst einmal zu erkundigen gilt.

Störungen und Schwindelgefühl

Die Informantin darüber ist eine nicht namentlich genannte Partnerin, die dem Erzähler im Verlauf seiner Krankheit abhanden kommen wird. Parkinson wurde 1817 von James Parkinson erstmals beschrieben, seit 1895 trägt die "Schüttellähmung" offiziell den Namen des britischen Arztes. Bei Parkinson sterben im Gehirn jene Nervenzellen ab, die Dopamin produzieren und die Großhirnrinde aktivieren. Mangelt es an diesem Stoff, kommt es zu Störungen wie Zittern, Nicht-von-der-Stelle-Kommen, Versteifung, Verkrampfung und Überbewegungen. Bei Richard Wagner wird anfänglich das rechte Bein "regelmäßig laut", es bringt beim Sprechen aus dem Takt. Es folgen weitere Arztbesuche, Kliniken. Noch hofft der Erzähler auf eine falsche Diagnose, beginnt aber auch jene Momente zu rekonstruieren, da ihn in einer Bar erstmals ein unbekanntes Schwindelgefühl erfasste, als er in der U-Bahn unvermittelt stockte und nicht mehr von der Stelle kam. Er übernimmt die Ausdrücke der Ärzte wie "Tremor" und "Rigor" und "Freezing" und befindet sogleich trocken: "Wer sich als Betroffener die Fachsprache aneignet, kann damit bestenfalls renommieren."

Den Verlust des Geruchsinns kompensiert Wagner mit Kindheitserinnerungen daran. Er findet sich mit der vorgeschriebenen Medikation ab, doch auch hier erfolgt bald die bittere Einsicht: "Nichts von dem, was zurückkehrt, ist ein Beweis. An die Heilbarkeit lässt sich nur glauben, und wer an sie glaubt, ist ein Verschwörer." Die beschwichtigenden Erklärungen eines Arztes quittiert der Autor einmal höhnisch mit: "Ein Kunstfehler? In der Kunst gibt es keine Fehler! Ich hatte die Lacher auf meiner Seite." Dass über die Parkinson-Krankheit auch zweihundert Jahre nach ihrer Entdeckung von Expertenseite kaum mehr als Name und Symptome mitzuteilen sind, erfüllt ihn mit merklichem Spott, und der wird verallgemeinert, da es um die öffentliche Rede über Krankheiten geht: "O Gott, sagt da auch schon mal der Atheist."

Auch Richard Wagner erlebt jenen "Honeymoon", der sich bei Parkinson-Kranken üblicherweise nach der ersten medikamentösen Behandlung einstellt. Den Ausdruck haben "Scherzkekse aus der Ärzteschaft beigesteuert". Der Zustand verbessert sich, es folgen eine Tanztherapie, Tiraden gegen die Alternativmedizin, bei der auch Wagner, wie der Großteil der Parkinson-Patienten, Zuflucht sucht. Mit einem bizarren Auftritt vor Prostituierten auf dem Potsdamer Platz, vor deren Augen er einen großen Geldschein anzündet, demonstriert er auf rabiate Weise, dass es im Leben nicht nur um Geld gehe. Schließlich folgt die beklemmende Szene, als Richard Wagner unmittelbar vor dem Besteigen des Flugzeugs eine Reise nach Wien abbricht. Er kann sich jetzt nicht mehr bewegen.

Das Panorama berühmter Parkinson- Kranker von Johannes Paul II. über den Boxer Mohamed Ali und den Schauspieler Ottfried Fischer bis zu Leonardo da Vinci und den Universitätsgründer Humboldt führt zu einem doppelten Schluss: "So wird der aufrechte Gang zum aufrechten Gang aufs Klo." Und: Während der Papst selbst seine Krankheit zur Botschaft Gottes umformulieren konnte, hatte der Berliner Uni-Reformer mit Ausgrenzung zu kämpfen; Zeitgenossen verlangten seine Entfernung aus dem Staatsdienst. Der freie Schriftsteller Richard Wagner ist mittlerweile aus dem System der Krankenversorgung herausgefallen. "Ich war krank, ohne krankgeschrieben zu sein."

Aphorismen und Bonmots

Richard Wagner entfaltet seine Krankengeschichte bisweilen als regelrechtes Feuerwerk an Aphorismen und Bonmots (so frivol der Ausdruck hier auch klingen mag), wenn es über das Verhältnis des Kranken zu seiner Umgebung einmal heißt: "Geht es nach ihm, so ist Mutter Teresa bald seine Sozialarbeiterin und er der Betreuer von Machiavelli." Vor allem gelingt es Wagner aber, ein imposantes System innerer Dialoge zu errichten, in denen Elemente aufgeklärter Reflexion mit erzählerischen Momenten scharf miteinander kontrastiert werden. Es ist dann, als käme das ganze Leben zu Wort. Ein Freund fragt etwa: "Wo willst du eigentlich begraben werden?" Die Antwort ist die Beschreibung eines Kinderbegräbnisses in Lovrin, bei dem der jugendliche Wagner als Sargträger fungierte. "Es war unser erster Dienst am Tod, das erste Praktikum. Mit ihm begann das wirkliche Leben. Wir sahen die Eidechsen unter dem Lorbeer und hörten die Stimmen der Vögel."

Daran schließen sich Überlegungen über den "Dorfgott" und den "Stadtgott" an, der von ersterem abstamme. Und weiter: "Ist es nicht ein Skandal, der vielleicht größte von allen, dass die Humanität die Aufklärung nicht mit dem Mandat versehen hat, die Identität des Bürgers Gott festzustellen, vor allem anderen zu ergründen, welches seine Rolle in unserer Republik wäre". Richard Wagner hält auch an dieser Stelle nicht inne und scherzt: "Wollte Habermas, als er mit Ratzinger sprach, etwa einen Fototermin bei Gott erreichen?" Der Paukenschlag zum Schluss: "Gott ist der Einzige, der nicht beten muss."

Damit endet auch der letzte Teil des Buches mit der Überschrift "Im schwarzen Quadrat" - sprachlich ekstatische Vignetten über Momente des Kontrollverlustes, in denen Körper und Welt des Erzählers gleichsam in Einzelteile zerfallen: "Der Tisch, auf dem die Gläser rücken. Seit du weg bist, habe ich schon wieder zwei zerbrochen. Meine Hand fiel ihnen nach." Das spielerische Gespräch mit "Herrn Parkinson", der externalisierten Form der Krankheit, verstummt erst, als der Erzähler im Badezimmer stürzt und im Glauben, sein Kopf sei abgesprungen, eine Stunde lang alleine liegen bleibt. "Ich hatte eine Träne in den Augen. Eine festgefügte Träne. Ich will jetzt nicht mehr glauben, man könne Gott mit einem Gehstock betrügen."

Herr Parkinson
Von Richard Wagner
Knaus 2015
144 S., geb., € 17,50

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