"Gott selbst ist Fleisch geworden"

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Mit ihren Forschungen über das Verhältnis von Körper,

Sexualität und Religion hat sich Regina Ammicht-Quinn im Vatikan nicht nur Freunde gemacht. Im Interview spricht die feministische Theologin über die Vorfälle in St. Pölten - und die körperfeindliche Tradition der katholischen Kirche.

Die Furche: Österreichs Kirche wird vom "Sexskandal" im St. Pöltener Priesterseminar erschüttert. Sie haben sich intensiv mit dem Verhältnis von Körper, Religion und Sexualität beschäftigt. Sind Sie über Vorkommnisse wie jene in St. Pölten überrascht?

Regina Ammicht-Quinn: Wir sind immer überrascht und entsetzt, wenn Menschen, die durch ihr Amt oder durch ihre christliche Identifikation einen Vertrauensvorschuss haben, dieses Vertrauen eklatant missbrauchen. Unter diesem Entsetzen wächst aber die Erkenntnis, dass die christliche Botschaft auch menschliche und demokratische Strukturen braucht, damit sie in unsere Welt glaubwürdig hineingesagt werden kann.

Die Furche: Sind Priesterseminare Ihrer Meinung nach Biotope, die sexuell unreife Menschen anziehen?

Ammicht-Quinn: So pauschal kann man das nicht sagen, weil die Priesterseminare sehr unterschiedlich sind. Was man aber an dieser Krise erkennen kann, ist, wie wichtig es ist, Sexualität zum Thema zu machen und eine Sprache zu finden, in der über Sexualität gesprochen werden kann. Das ist schon in der Familie schwierig, in der Gesellschaft noch schwieriger - und in der Kirche erst recht, weil es eine lange Tradition des Zusammenhangs von Sexualität und Sünde gibt.

Die Furche: Glauben Sie, dass es im Zuge der Priesterausbildung tatsächlich möglich ist, die sexuelle Reife und Eignung des Kandidaten zum Zölibat festzustellen?

Ammicht-Quinn: Das ist sicher ein langer Prozess, aber es gibt gute Beispiel. Die Arbeitsgemeinschaft Jugendpastoral der Orden in Deutschland hat sich vor einigen Jahren auf den Weg gemacht, um darüber nachzudenken, was dieses Thema für die Orden bedeutet. Hier wurde ganz schnell klar, dass Sexualität nicht etwas ist, was jemand "hat" oder "nicht hat". Sexualität ist nicht einfach Geschlechtsverkehr, sondern das bewusste und reflektierte Gestalten meiner eigenen Geschlechtlichkeit. Das heißt, dass Sexualität auch für zölibatär lebende Menschen eine äußerst wichtige Frage ist. Wie lebe und gestalte ich meine Geschlechtlichkeit, die ich ja nicht einfach hinter der Tür abgeben kann? Da braucht es noch viel Nachdenken und lange Begleitungsprozesse. Vor allem deshalb, weil wir in einer Gesellschaft leben, in der man dem Sexualitätsthema nicht ausweichen kann.

Die Furche: Können Sie dem zölibatären Leben auch etwas Positives abgewinnen?

Ammicht-Quinn: Es gibt natürlich eine funktionale Ebene: Dass durch die Nichtbindung an andere Menschen diese Bindungsstellen frei sind für Gott und eine Gemeinde. Zugleich ist es wichtig, Menschen, die in Beziehungen leben, nicht die Fähigkeit einer intensiven Gottes-Bindung abzusprechen. Aber die eigentliche Frage ist jene nach einer spirituellen Qualität des Zölibats, in der tatsächlich Verzicht geübt wird - in einer Zeichenhandlung, in der sich eine neue Welt- und Lebensordnung ankündigt. Zugleich müsste deutlich werden, dass der Zölibat keine Abwertung anderer Lebensformen beinhaltet, ebenso wenig wie eine Abwertung der eigenen Körperlichkeit und Sexualität. Der Zölibat könnte vielleicht auf den wichtigen Ort der Askese in unserer Überflussgesellschaft hindeuten; es ist ein Ort, der nicht nur mit Selbstqual zu tun hat, sondern mit unseren Sehnsüchten und deren Notwendigkeit, zu wachsen und nicht vorschnell befriedigt zu werden...

Die Furche: Ist es Ihrer Meinung nach überhaupt möglich, sexuelle Energie zu sublimieren - sei es in der Arbeit oder in der Spiritualität?

Ammicht-Quinn: Das ist eine psychologische Frage: Freud war der Ansicht, dass es natürlich möglich sei, sexuelle Energie zu sublimieren - und dass unsere Gesellschaften ohne eine solche Sublimation nicht funktionieren. Die Frage ist: Kann der Pflichtzölibat einen so starken Sinn in der heutigen industrialisierten und sexualisierten Gesellschaft hervorbringen, dass eine solche Sublimation gelingen kann? Sie kann ja nur gelingen, wenn mein Herz, meine ganze Person - inklusive meines Körpers - an dieser Sache hängt.

Die Furche: Würden Sie für einen freiwilligen Zölibat für katholische Priester plädieren?

Ammicht-Quinn: Ja, weil es die Sache des Zölibats stärker und nicht schwächer macht.

Die Furche: In St. Pölten haben nicht nur (strafbare) Kinderpornos für Aufsehen gesorgt, sondern auch Fotos von homoerotischen Handlungen. Vor allem Homosexuelle haben Sorge, dass diese Dinge vermischt werden...

Ammicht-Quinn: Diese Gefahr ist tatsächlich groß. Ich habe in den USA beobachtet, dass in der populären Kultur die Überzeugung im Raum steht, alle Homosexuellen seien Kinderschänder - und eine gesellschaftlich vorhandene Homophobie damit dramatisch verstärkt wird. Hier haben wir alle, auch die Kirche, die Verantwortung, klar zu trennen und nicht alte Vorurteile zu nähren.

Die Furche: Sie orten in der katholischen Kirche eine lange Tradition der Körperfeindlichkeit - und betonen gleichzeitig, dass es auch andere Traditionen gibt...

Ammicht-Quinn: Ja. Wir müssen öfter davon sprechen, dass die christliche Botschaft auf der Inkarnationsidee aufbaut, also auf der Idee, dass Gott selbst Fleisch wird. Wir haben in der katholischen Kirche auch die Sakramente, bei denen gesalbt und gewaschen und genährt wird. Auf der anderen Seite haben wir natürlich eine klare körperfeindliche Tradition, die aus der griechischen und römischen Antike in das sich konstituierende Christentum hineingewandert ist und dort dankbar aufgenommen wurde. Das ist eine Tradition, die einhergeht mit einer Spaltung von Leib und Seele. Mit der Konsequenz, dass die Seele im Körper gefangen ist und man, um die Seele zu befreien, den Körper schrittweise abtöten muss.

Die Furche: Hier sehen Sie Parallelen zum modernen Körperkult...

Ammicht-Quinn: Richtig. Hier wie dort gilt der Körper als schlecht und muss schrittweise abgetötet werden - um eines höheren Zieles willen. In der christlichen Tradition ist das Ziel die Befreiung der Seele, heute ist das Ziel der neue schöne, fitte Körper, der aber nie kommt. Insofern gibt es in beiden Traditionen eine unendliche Geschichte von Reue, Buße und Neuanfang.

Die Furche: Manche meinen, die katholische Kirche hätte weniger ein Problem mit der Körperlichkeit als eines mit den Frauen. Wird sich am verkrampften Umgang mit dem Leib etwas ändern, so lange nicht mehr Frauen im "Männerbund" Kirche sichtbar sind?

Ammicht-Quinn: Die Frauenfrage halte ich für ganz schwierig. Was uns fehlt, sind Autoritätszuschreibungen an Frauen. Ich würde mir wünschen, dass eine größere Sichtbarkeit von Frauen auf den Entscheidungsebenen in Theologie und Kirche etwas verändert, aber per se sind Frauen natürlich nicht die besseren Menschen. Ich werde zunehmend vorsichtig, was solche Heilsvorstellungen durch Frauen anbelangt. Letztendlich wünsche ich mir eine Kirche und eine Theologie, die keine Angst vor der Körperlichkeit hat - und keine Angst vor Frauen, die ja in unserem Bewusstsein noch sehr viel stärker mit dieser Körperlichkeit identifiziert sind als Männer.

Die Furche: Sie selber sind ein Beispiel dafür, dass die Angst der Kirche vor Frauen noch immer groß ist: Zweimal hat Ihnen der Vatikan bei Berufungsverfahren sein "Nihil Obstat" verweigert. Haben Sie noch Hoffnung, je Theologie-Professorin zu werden?

Ammicht-Quinn: Das ist von Tag zu Tag anders, aber ich wünsche mir, dass ich die Hoffnung noch eine Weile behalte.

Das Gespräch führte Doris Helmberger.

Querdenkerin mit langem Atem

Sie weiß, was es heißt, an der Kirche zu leiden - und ihr dennoch verbunden zu bleiben: Zweimal (2000 in Augsburg und 2003 in Saarbrücken) wurde Regina Ammicht-Quinn im Zuge von Berufungen auf einen theologischen Lehrstuhl die dafür erforderliche kirchliche Lehrerlaubnis, das "Nihil Obstat", verweigert.

Eindeutige Gründe dafür hat ihr der Vatikan nie

mitgeteilt, erklärt die katholische Theologin gegenüber der Furche: "Die Vorwürfe bewegen sich eher auf der Ebene, dass man befürchtet, ich sei zu offen', spreche zu wenig über das Lehramt etc. Vielleicht befürchtet man aber auch, ich sei eine Frau..." Und so lehrt die

Theologin und verheiratete Mutter zweier Kinder bis heute nicht als ordentliche Professorin, sondern als

Privatdozentin für Theologische Ethik an der

Katholisch-Theologischen Fakultät und am

Interfakultären Zentrum für Ethik in den Wissenschaften der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Geschlecht und Körper standen stets im Zentrum von Ammicht-Quinns Forschungen: Auch in ihrer Habilitation hat sie sich dem Dreigestirn "Körper -

Religion - Sexualität" gewidmet ("Theologische

Reflexionen zur Ethik der Geschlechter"). Im Rahmen der 6. Ökumenischen Sommerakademie in Kremsmünster (siehe Seite 4) nahm sie ebenfalls die alten und neuen Körperbilder ins Visier - und diagnostizierte paradoxe Ähnlichkeiten zwischen der kirchlichen Körperfeindlichkeit und dem modernen Fitnesskult.

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