Gott sieht jeden SchmutzTitel

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Brigitte Schwaigers Kindheitserinnerungen wurden neu aufgelegt und berühren noch immer.

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Brigitte Schwaigers Kindheitserinnerungen wurden neu aufgelegt und berühren noch immer.

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Mit dem Roman "Wie kommt das Salz ins Meer" schrieb Brigitte Schwaiger einst ein Kultbuch für eine ganze Generation von Frauen auf der Flucht vor der Doppelmoral der Nachkriegszeit. Ferne Länder, Hippie-Parolen und Kommuneleben waren Durchgangsstationen zu wiederum ziemlich bürgerlichen Beziehungen mit Einfamilienhaus und Kindern. Im jetzt neu aufgelegten Roman "Der Himmel ist süß" blickt die Autorin, die jüngst beim Fuchs-Prozeß keinen sehr geglückten Auftritt hatte, noch weiter zurück. Vom Ausbruch aus der familiären Enge ist sie hier noch weit entfernt. Im Gegenteil, sie möchte ein besonders braves Kind sein, dem heißgeliebten Vater gefallen, die Mutter, die immer so gut duftet, nicht ärgern und den lieben Schwestern in der Klosterschule als Musterschülerin auffallen. Das "glückliche Kind" aus Freistadt, " der schönsten Stadt der Welt", nimmt die Belehrungen der lieben Schwestern besonders ernst, ahnt aber, daß in der Welt der Erwachsenen nicht immer Klarheit herrscht.

Von den lieben Schwestern lernt das Kind, "daß der liebe Gott alles sieht, auch jeden Schmutz", daß "bei einem Kuß viele ansteckende Krankheiten übertragen werden, Schnupfen, Grippe, sogar Mandelentzündung" und "der Teufel sich besonders freut, wenn er Mädchen mit offenen Haaren sieht". Die Kinder werden angehalten, ihr "inneres weißes Kleid" zu bewahren, nicht eitel, aber artig zu sein, in die Kirche zu gehen und dem lieben Jesukind Freude zu machen.

Daheim macht sich der Vater, der Arzt ist, lustig: "Und warum ist die Welt nicht erlöst, obwohl Jesus der Erlöser war?" fragt er das Kind und erklärt ihm, daß es Krankheiten gibt, die kein Arzt und auch der liebe Gott nicht heilen kann. Von der Mutter lernt sie einiges über das Frausein: Sie ist eine Dame, trägt Seidenstrümpfe mit Naht und Stöckelschuhe, auch wenn die Hühneraugen schmerzen, hat roten Lippenstift und keine Zeit für die lästigen Glaubensfragen der kleinen Gitti: "Mußt du den Papa schon wieder ärgern?" heißt es, oder "Frag nicht so viel". Männer sind entweder Katecheten, die Geschichten aus der Bibel erzählen, oder Ärzte, die nicht in die Kirche gehen müssen, weil sie Patienten helfen. Männer trocknen nur in der Kirche Geschirr ab - nach der Wandlung - und haben seltsame Privilegien: "Schlürfen darf nur der Papa, weil er es eilig hat. Zahnstochern darf nur der Papa, weil er schließlich für uns arbeitet."

Als der Papa erklärt, das Jesus Jude war, obwohl die lieben Schwestern erzählen, daß die Juden Gott nicht gehorchten und Jesus ihm gehorsam war, bricht das religiöse Weltbild des kleinen Erstkommunionsmädchens endgültig auseinander. Und warum es fast keine Juden mehr in Freistadt gibt, erklärt ihr der Papa auch: "Die Juden leben auf der ganzen Welt, sie wollen, daß es ihnen gutgeht und uns schlecht. Deswegen haben wir gegen die Juden gekämpft. Damit einmal die anderen auch etwas haben. Die anderen haben gearbeitet, und die Juden haben das Geld kassiert." Papa und Mama sind bei keiner Partei, zahlen aber noch hie und da für die Freiheitlichen ein. Über Politik wollen sie am liebsten nicht reden, doch herrscht seltsame Harmonie zwischen den Eltern, wenn die Sprache auf den Hitler - so der Papa - oder den Führer - wie ihn die Mama nennt - kommt. Man genießt die neuen, besseren Zeiten, die Kinder dürfen ins Gymnasium, man fährt nach Grado und Venedig und genießt den Wohlstand.

Interessant ist die Kindlichkeit und Klarheit der Sprache. Die dramatischen, blutigen Geschichten prasseln auf die Kinderseele ein. Alle Botschaften sind in knappe, einprägsame, keinen Widerspruch duldende Wahrheiten verpackt, die an Parolen von Jungpionieren im ehemaligen Ostblock erinnern, besonders, wenn sie im Chor wiederholt werden müssen, damit sie auch sicher nicht vergessen werden. Es wird auch deutlich, daß wir alle dieses Kinder-Glaubensbild der sanften Engel, der unfolgsamen Juden, der Höllenqualen und des strafenden, alles überblickenden Gottes in uns tragen, welches das Leben beschneidet, statt es um Mut, Spiritualität und Toleranz zu bereichern.

Brigitte Schwaiger beschreibt eine stete Indoktrinierung, die weder von Kindern verstanden noch in ihrer Dramatik verkraftet werden kann. Die gesamte Glaubensvermittlung ist von Unterordnung, Bravsein, Gehorchen und allumfassender Überwachung durch Gott und Jesus geprägt, was die Schuldgefühle des Kindes ins Unendliche sprießen läßt. Plötzlich sucht es überall nach "Sünden" und "Schuld" und verliert so seine kindliche Unschuld. Übermütig sein ist schlecht, schmutzig machen ist schlecht, gierig sein ist schlecht und nicht aufessen ist auch schlecht. Was da noch vom Leben bleibt? Die Hoffnung, erwachsen zu werden und all den Vorschriften zu entkommen.

Oder ein Engel zu werden. "Die Engel haben Verstand und freien Willen", lehrt die liebe Schwester Thaddäa, was die kleine Gitti falsch versteht. "Sie können wollen," sinniert sie, als die liebe Schwester längst über die vier letzten Dinge zu den Sechsjährigen spricht, Tod, Gericht, Hölle und Himmel.

DER HIMMEL IST SÜSS Ein Gesellschaftsroman von Brigitte Schwaiger Langen Müller Verlag, München 1999 268 Seiten, geb., öS 248,- /e 18,02

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