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In seinen Geschichten "Schwere Vorwürfe, schmutzige Wäsche" packt Franz Schuh mit Lust jedes Klischee bei den Hörnern.

Bislang hat kaum ein Rezensent darauf verzichtet, die launige Piece ausführlich zu zitieren, die Franz Schuh seinem Buch voranstellt - gefüllt mit "passenden" Versatzstücken für die Kritikerkollegen. Doch das eigentlich Hinterhältige an Franz Schuhs Denk-Buch ist die Tatsache, dass sich jeder Rezensent unweigerlich mit den Themen und Problemen, die er resümierend am Zipfel fasst und aus dem Florilegium differenter Kurztextsorten herauspickt, selbst kenntlich macht. Alle Sätze über dieses Buch ergeben stets mehr ein Bild des Lesers denn des Autors.

Aber es hilft natürlich nichts, man sieht die Falle und muss selbst hineintappen, während Franz Schuh hurtig und gewitzt zwischen intellektueller Hoch-und Tiefstapelei changiert und sich mit dem Ausruf "Ach heilige Ambivalenz!" schon längst kokett in Sicherheit gebracht hat. Und wie der Titel "Schwere Vorwürfe, schmutzige Wäsche" liefern auch viele der Gedankenminiaturen die Argumente gegen sich selbst gleich mit: "Dieser ganze idiotische Gestus, dieses Sichaussprechen mit Sätzen wie: Ich hasse diese oder jene Stadt. Das ist doch epigonal! Aber was soll man machen. Bei allem, was man haßt, war schon vorher einer da, der es auch haßte."

Bis zum Kleinen

Gott und die Welt sind die angemessenen Themen für einen Intellektuellen vom Format eines Franz Schuh, und es ist seine Größe, die ihn immer wieder und zielsicher mäandernd beim ganz Kleinen landen lässt. Sarkastisch und voll Selbstironie entwirft er seine Parabeln über die unlösbare Aufgabe des menschlichen Lebens; und der einzige Trost, den der Autor bereithält: "Das Leben ist so schwer, gibt also Hoffnung, daß man nicht daran festhalten wird." Man täusche sich nicht, dass der Autor scheinbar hartnäckig seine eigene Körperlichkeit und Lebenssituation einbringt - auf Reisen oder im stationären Kaffeehausalltag und heimischen Literaturbetrieb -, es geht um unser aller Kreatürlichkeit und unser aller Leiden an der unüberwindlichen Kluft zwischen Welterklärung und Welt.

Daraus entwickelt Schuh wahre Tragikomödien. "Das Krughafte des Kruges west im Geschenk des Gusses", lässt der Autor seine Ich-Figur in Heidegger'scher Gegenwehr hinkritzeln, um sich in der intellektuell trostlosen wiewohl landschaftlich prächtig gelegenen Innviertler Kuranstalt ein Heimatrecht zu sichern. Wenn er als einsamer Sommerfrischler vor sich eine Gruppe von Menschen sieht, weiß er sofort, dass er von Wegelagerern überfallen wird; "aber da sich mitten unter ihnen eine junge Frau im Brautkleid befand, konnte es auch in meinen Augen nur eine Hochzeitsgesellschaft sein". Das erzählt von den ganz banalen Schwierigkeiten adäquater Alltagsreaktionen und vom verqueren Blick auf unsere eigene Bedeutsamkeit mit der unleidigen Neigung, dem eigenen Ich fortgesetzt exzeptionelle Rollen zu erfinden, und sei es die eines Raubopfers im hellen Sonnenschein. Schuhs Geschichten sind voll von Pendelschwüngen zwischen Selbstüberschätzung und Selbstverachtung; das Glück aber ist in jedem Fall ein bescheidenes. "Kein Urknall macht sich / Um die Zukunft verdient" - das ist schon viel und entstammt einer der gelungenen lyrischen Beigaben des Buches.

Literarisch konzipiert

Tendenziell zu kurz greift eine Lektüre als Essaysammlung, denn die Geschichten sind zum Teil eindeutig literarisch konzipiert und arbeiten mit allen Tricks des Genres. Hier ist alles "gewiss, also wahrscheinlich", wie das in der Literatur so zu sein pflegt. "Wahr" ist in einem höheren Sinne alles an Schuhs Anekdoten, in einem biographischen Sinne - nichts. Oder eben doch, insofern der Autor an der Misere der Welt und der Menschen in ihr innigsten Anteil hat und sie raffiniert zu beschreiben versteht.

Dass Schuh stets mit seinem "Konvoi des Nichtfertiggestellten" im Handgepäck reist, scheint ein existenzielles Bekenntnis zum Fragment. Man kann es auch als durchaus berechnende Strategie interpretieren. Bei der Tante Jolesch waren es nur die Schinkenfleckerl, die immer besser schmeckten, bei Schuh sind es seine Denk-und Lesefrüchte, von denen man stets zu wenig zu fassen bekommt. Wie er die Dekonstruktion dekonstruiert, das gesellschaftliche Rigorosum beim Stehempfang analysiert oder eine literaturkritische Fallgeschichte der achtziger Jahre neu aufrollt, bei der sich "der Schurke ... durch die Dokumentation seiner Schurkerei" rehabilitiert hat - das alles mag konkrete Anlassfälle haben, die zum Teil schon weit zurück liegen, sichtbar wird in der Schuh'schen Aufbereitung aber immer ein Allgemeines.

Er sei kein Sprachphilosoph, lässt uns der Autor wissen und beschämt uns munter darauflos, wie reich dazu sein Brunnen der Gedanken fließt. Mit Lust packt er jedes Klischee bei den Hörnern, wie den Taxi-Fahrer in seiner Doppelrolle als Bestandteil und Lieferanten moderner Großstadtmythen. Auch das, was wir alle gerne glorifizieren, ist vor Schuhs Erkenntnisfuror nicht sicher. Wie er die juvenilen Aufbrüche seiner Generation per Autostopp entzaubert, macht die fatalen Missverständnisse sichtbar, wenn individuelle und historische Welteroberung so harmonisch im Einklang zu liegen scheinen. Daraus entstanden für eine ganze Generation verrutschte Selbst-und Weltbilder, an denen sich heute die Therapeuten abarbeiten.

Lautstarker Witz

Fragen der Moral kann ein Denker wie Schuh zwischendurch natürlich an allem abhandeln, Büchners Woyzeck oder Rex Gildo gehen da nahtlos in eins. Und das Witzige an den Texten verbirgt sich oft so lautstark an der Oberfläche, dass es auch denen, die darüber handeln, gar nicht recht bewusst wird. Der große Lacan auf Wien-Besuch, und Schuh inszeniert seinen Abschiedssatz, im Flughafenrestaurant mit scharfer Stimme geschmettert: "Le Beisl n'existe pas!" Das ist unüberbietbar und weit über den Kommentar zu einer Denkschule hinausgehend ein scharfes Bild für den Gemüts-und Geisteszustand männlicher Intelligenzia.

Wie Kasperl schimpft auch Franz Schuh, der für sein Buch mit dem Preis der Leipziger Buchmesse 2006 ausgezeichnet wurde, gern "die Probleme und ihre Lösungen in Grund und Boden", seine eigenen und die von uns allen und die von der ganzen Welt. In einem Interview unterschied Schuh kürzlich zwischen dem Berufskritiker - der sich literarischer Autorschaft enthält und sohin feige den eigenen Wertungskriterien entzieht, und dem "natürlichen Fall" der "Doppelbegabung". Das ist ein ebenso hinterhältiges Täuschungsmanöver wie die Aussage der Ich-Figur, der "Wunsch nach Kompaktem" sei ihr peinlich fremd. Viele von Schuhs Texten sind jedenfalls von beneidenswerter Kompaktheit, dass er einige Testballons dazwischengestreut hat, ist pure Vermutung.

Schwere Vorwürfe, schmutzige Wäsche

Von Franz Schuh

Zsolnay Verlag, Wien 2006

415 Seiten, geb., e 25,60

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