Gottesbezug ist mehr als Lyrik

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Nach heftigen Debatten im EU-Konvent bleibt die Präambel der neuen Europäischen Verfassung ohne Gottesbezug.Für den Österreich-Konvent ist diese Frage aber nach wie vor aktuell. Ein Pläydoyer für Präambel und Gottesbezug.

Der Europäische Konvent hat seine neue Verfassung für Europa vorgelegt. Eine Anrufung Gottes kommt in der Präambel nicht vor. Das Dokument weist lediglich auf die "kulturellen, religiösen und humanistischen Überlieferungen Europas" hin, "deren Werte in seinem Erbe weiter lebendig sind". Aber die Diskussion - vor allem auf österreichischer Ebene - geht weiter; das ist gut so. Einen wichtigen Beitrag dazu leisten Alfred J. Noll und Manfried Welan mit ihrem Büchlein "Gott in die Verfassung? Zum geistigreligiösen Erbe' als Verfassungsinhalt". Ein Schnellschuss, im Kleinformat, mit 81 Seiten Text, und knapp 30 Seiten Anhang. Ein nützlicher Schnellschuss: einerseits wird eine Dokumentation geboten, wie die Diskussion bisher in Österreich gelaufen ist, ein Literaturverzeichnis, das über Österreich hinausweist, und schließlich ein Überblick im Anmerkungsapparat, in welchen europäischen Ländern (und es sind recht viele) es derartige Anrufungen gibt.

Die Autoren nehmen nicht selbst Stellung, sondern wollen nur Hinweise für die Diskussion geben und zum Überprüfen der Standpunkte einladen. Sie analysieren den Stellenwert der Religion in den Verfassungen, den möglichen Inhalt eines religiösen Erbes als Maßstab für die Verfassungspolitik und diskutieren die Zweckmäßigkeit und Bedeutung von Präambeln.

Zusammenfassend meinen sie: "Wir können an dieser Stelle also keinen Ausweg und kein leicht vermittelbares Resultat bieten. Gespräche müssen geführt, Meinungen akzeptiert und Ansichten abgewogen werden; Widersprüche sind aufzudecken, Ergebnisse zu hinterfragen und vorschnell gefundene Lösungen zu überdenken. Wir müssen heute damit leben, dass begründete Entscheidungen und Ansprüche einander entgegenstehen und dass das irrende (politische und/oder religiöse) Gewissen möglich ist. Nicht nur über die politische Philosophie, auch die Staatsrechtslehre hat damit zu rechnen."

Welcher Gott bleibt offen

Im Sinne dieses Schlusswortes der Autoren ist für jeden, der sich mit der Diskussion befasst und die Frage für wichtig hält, das Büchlein nützlich, hilfreich und weiterführend. Vor allem räumen die Autoren mit den gängigen vordergründigen Schnellreaktionen so mancher auf, die sich mit dem Thema nicht wirklich befasst haben. Die Invocatio Dei hat nichts mit einer bestimmten Religion zu tun, bedeutet also nicht den Gott der Christen oder der Muslims oder einen anderen. Welcher Gott - diese Frage bleibt offen. Das religiöse Erbe ist nicht das Erbe des Christentums, sondern ein multikonfessionelles Erbe, das Europa prägt: die verschiedenen Formen des Christentums, natürlich das Judentum, natürlich der Islam. Art und Umfang dieses religiösen Erbes ist der diesen Religionen gemeinsame Grundwertesockel.

Die Trennung von Kirche und Staat ist in keiner Weise angesprochen: Abgesehen davon, dass es in Österreich keine Trennung von Kirche und Staat, sondern eine wohlgeordnete Partnerschaft der anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften mit dem Staat seit vielen Jahrzehnten gibt, werden die Fragen des dafür geltenden Rechts nicht berührt. Ebenso wenig wird die Glaubens- und Gewissensfreiheit, das Recht zur gemeinsamen Religionsausübung etc. damit erweitert oder eingeschränkt.

All dies machen die Autoren in ihrem Buch mit wünschenswerter Klarheit deutlich; beide sind natürlich Kritiker einer Aufnahme einer Gottesanrufung und des religiösen Erbes in eine neu entstehende Verfassung, Alfred Noll hat dies im Standard klargelegt, Manfried Welan in der Academia (der Zeitschrift des Cartellverbandes, Mai 2003). Nach der Lektüre des Buches wird jedem klar, dass es sich hier nicht um eine wissenschaftliche Frage handelt, sondern um eine politische Entscheidung: nicht Wissenschafter, sondern die in der Demokratie legitimierten Werturteilsrichter, das sind die gewählten Volksvertreter und letztlich das Volk selber, sind zur (Wert-) Entscheidung legitimiert.

Österreich-Konvent befragen

Nach der Lektüre von Noll/Welan bin ich bestärkt in meiner Überzeugung, dass diese Frage im Österreich-Konvent diskutiert werden muss. Sein Ergebnis soll eine neue österreichische Verfassung sein, mit einer Präambel mit Gottesbezug und Hinweis auf das religiöse Erbe. Warum?

Zur Erinnerung: Frau Redakteurin Gabriele Neuwirth fragte mich Anfang des Jahres in einem Interview in der Wiener Kirchenzeitung, ob ich für einen Gottesbezug in einer neuen österreichischen Verfassung einträte? Meine Antwort war: Österreich hat keine Tradition von Verfassungspräambeln, wenn es aber zu einer Präambel käme, als Ergebnis des Österreich-Konventes, so würde ich für eine entsprechende Textstelle eintreten, nachempfunden dem, was die Europäische Volkspartei für Europa vorgeschlagen hat.

Kein Staatskirchentum

Flugs gab es ablehnende Antworten: dies entspräche nicht der österreichischen Verfassungstradition (was seine Gründe hat: man konnte sich 1920 nicht zu einer vollständigen Verfassung entschließen, sie ist ein Torso, bis heute). Im übrigen sei man für eine Trennung von Kirche und Staat. Es sei wiederum das katholische Staatskirchentum, das hier im veränderten Gewande daherkäme, wurde geargwöhnt. Andere wiederum meinten, eine solche Anrufung Gottes bzw. die Berufung auf das religiöse Erbe sei inhaltslos, habe keine normative Bedeutung, sei bloße Lyrik.

Warum ist überhaupt eine Präambel wünschenswert. Ich denke doch, dass wir im ÖsterreichKonvent einen Konsens über eine neue Verfassung erzielen werden und den derzeitigen Torso, ergänzt durch zahllose verstreut herumliegende Verfassungsgesetze und -bestimmungen, durch eine geschlossene, endgültige (soweit eine Verfassung endgültig sein kann) Verfassung ersetzen können.

Eine solch vollständige Verfassung verdient sich eine Präambel. Die 1920er Verfassung hat ja bewusst keine Präambel gehabt, weil sie eben unvollständig war. Die meisten europäischen Verfassungen haben eine Präambel, in der die leitenden Grundsätze der Verfassung aufgezählt, die Grundordnung erläutert, der Geltungsgrund der Verfassung angesprochen wird. Wie eine Quintessenz stellen Präambeln gleichsam einen Eingang in die Verfassung dar - ohne normative Wirkung, aber als Orientierungsrahmen und Auslegungshilfe für ihre Anwendung.

Schranken für Gesetzgeber

Ein zweiter Grund: Der formale Geltungsgrund einer neuen Bundesverfassung ist sicherlich der Mehrheitsbeschluss von National- und Bundesrat sowie die Legitimierung durch eine nachfolgende Volksabstimmung. Ich bin aber der Meinung, dass der Gesetzgeber an Schranken gebunden ist, die nicht von ihm selbst aufgestellt werden. Grundwerte, die dem Naturrecht entspringen oder der kritischen Vernunft. Solche Grundwerte sind inhaltliche Schranken.

Das religiöse Erbe beschreibt die Grundwerte näher, die den Verfassungsgesetzgeber beschränken. Dieses Erbe ist in Europa nicht nur durch das Christentum gestaltet (s.o.). Es sei zu unbestimmt, meinen die Kritiker. Für mich liegt dieses Erbe auf der Hand: Viele Menschenrechte sind zwar in einem Kampf gegen die Religionen entstanden, aber ohne sie nicht denkbar, vom Menschenbild des Christen- und Judentums geprägt. Dazu kommen Demokratie, Toleranz, Nachhaltigkeit, Verantwortung, Lebens- und Familienschutz, Gleichberechtigung und Gleichbehandlung ebenso wie der religiöse Pluralismus, die Glaubens- und Gewissensfreiheit. Darin findet jeder Verfassungsgesetzgeber seine Schranken, der europäische ebenso wie der österreichische!

Bezug auf höchsten Wert

Josef Zemanek hat ebenfalls in der Academia (Mai 2003) darauf hingewiesen: "Jede sittliche Entscheidung fordert den Bezug auf einen höchsten absoluten Wert, um vor dem eigenen Gewissen verantwortet werden zu können. Ein letzter Relativismus löst die entscheidenden Sinnfragen nicht." Dem stimme ich zu. Es geht hier um Werturteile, die letztlich von Mehrheiten entschieden werden.

Der heutige Diskussionsstand: Viele Politiker haben sich in die Frage nicht vertieft und sie in die Kategorie "Trennung von Kirche und Staat, Religion ist Privatsache" eingeordnet; dort hat die Frage nichts zu tun - weiterlesen! Viele "säkularisierte Menschen" fürchten um ihre Religionsfreiheit, die Glaubens- und Gewissensfreiheit. Auch hier räumen Welan und Noll Vorurteile aus. Für viele andere ist die Frage einfach nicht wichtig. Für Menschen, die sich um die Grundlagen von Recht und Menschenrechten sorgen, ist es eine wichtige Frage.

Der Autor ist Erster Nationalratspräsident.

BUCHTIPP:

Gott in die Verfassung?

Zum "geistig-religiösen Erbe" als Verfassungsinhalt. Von Alfred J. Noll und Manfried Welan. Czernin Verlag, Wien 2003, 112 Seiten, geb., e 15,-

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