Gottesmutter mit Einschusslöchern

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Die Ausstellung "Ikonen unter Hammer und Sichel" im Wiener Dommuseum erschüttert, fasziniert - lässt aber auch wesentliche Fragen offen.

Das Wiener Dom- und Diözesanmuseum überrascht mit seiner neuen Ausstellung "Ikonen unter Hammer und Sichel" mit einem hochpolitischen Thema. Am Anfang erwarten den Besucher Schautafeln des Grauens: Die Kommunisten machten sich vom ersten Tag der Machtergreifung am 7. November 1917 die totale Vernichtung der russisch-orthodoxen Kirche zur Aufgabe: Tausende Bischöfe, Geistliche, Mönche, Nonnen und Laien wurden wegen ihres Glaubens erschossen, kirchliche Wertgegenstände konfisziert, Kirchen zerstört oder zweckentfremdet. Das Heiligste, das die Russen kannten, ihre Ikonen, zerkratzten, zersägten, zerhackten die Bolschewisten oder benützten sie als Schießscheiben. Viele der damals mutigen Bischöfe, Geistlichen, aber auch Laien sind inzwischen heiliggesprochen worden. Den tragischen Biografien dieser Neumärtyrer sind weitere Schautafeln gewidmet; auch armselige liturgische Gegenstände geben Einblick in die Schrecken der Zeit: ein Kelch aus Blei, Patenen und Kommunionlöffel aus Holz; wo einst auf goldenen Bischofskreuzen Edelsteine funkelten, waren sie nun auf Holzkreuzen aufgemalt. Am meisten erschüttert die Ikone der Kazaner Gottesmutter aus dem 19. Jahrhundert mit ihren Einschusslöchern.

Wiederauferstehung

Doch dann lenkt die Ausstellung die Aufmerksamkeit auf die strahlende Wiederauferstehung der russisch-orthodoxen Kirche: Sie ist derzeit eine der am schnellsten wachsenden Kirchen der Welt. In ganz Russland wird das kirchliche Leben wiederhergestellt; Kirchen, Klöster und geistliche Schulen, auch solche für die siebzig Jahre unterbrochene Tradition der Ikonenmalerei, entstehen neu. Im Jahr 2000 fügte der Patriarch von Moskau und ganz Russland, Aleksij II., den Neumärtyrern Prominente hinzu: Zar Nikolaus II. und seine Familie wurden heiliggesprochen.

Der Patriarch von Moskau wird, wie Kardinal Schönborn im Katalog schreibt, "der Ausstellung im Wiener Dom- und Diözesanmuseum die Ehre seines Besuchs erweisen": Also ist alles wieder im Lot, nachdem am 17. Mai 2007 in Moskau feierlich die "Deklaration über die kanonische Verbindung" der russisch-orthodoxen Auslandskirche mit dem Moskauer Patriarchat unterzeichnet wurde?

Hier melden sich unabweisliche Fragen: Was hat zur Wiedervereinigung der russischen Exilkirche mit Moskau geführt? Der Wissenshungrige erfährt nichts über die zwei Millionen Russen, die vor den Kommunisten in alle Welt flohen; er erfährt auch wenig Klares über die daraus resultierende Kirchenspaltung. Die Flüchtlinge, unter ihnen viele Geistliche, sahen mit Argwohn auf das Arrangement mit dem Staat, das die hohe Geistlichkeit in ihrer Heimat pflegte. Wie hat sich die Kirche in der Sowjetunion nach dem Großen Terror von 1937/38 verhalten? Kein Wort darüber verraten die Schautafeln. Einzig der Direktor des Dommuseums, Bernhard Böhler, schreibt im Katalog, die Kirche, sei "gelegentlich von den kommunistischen Machthabern missbraucht worden".

Ikonen verkörpern die Theologie

Böhler war sich offenbar der Problematik des Verschweigens bewusst. So wollte er der Wanderausstellung aus Moskau einen neuen Schwerpunkt geben. Er lautet: "Die desakralisierte Ikone". Ikonen verkörpern die gesamte Theologie und Spiritualität der russisch-orthodoxen Kirche. Daher verwundert es, dass gerade Ikonen den kritischen Blick auf die unheilige, unselige Geschichte der Instrumentalisierung der Kirche durch die sowjetischen Machthaber verstellen.

Ikonen unter Hammer und Sichel. Die russische-orthodoxe Kirche im 20. Jahrhundert Dom- und Diözesanmuseum 1010 Wien, Stephansplatz 6

bis 28. Februar 2009, Di-Sa 10-17 Uhr

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