Gottvater, Jesus und Hitler

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Die neuen Kirchenfenster von Siegfried Anzinger in Weyr an der Enns.

Siegfried Anzinger, der bekannte Maler, Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie, hat für die Pfarrkirche seines Geburtsortes Weyer an der Enns zwei bemerkenswerte Fenster geschaffen. Sie sind charakteristisch für den Künstler, der wohl der bedeutendste österreichische Vertreter der "Neuen Malerei" ist, die Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre zum erstenmal hervorgetreten ist.

Wie wir das von ihm gewohnt sind, setzt er sich mit der großen europäischen Malerei auseinander, interpretiert sie aber völlig neu. Gleichzeitig blickt er auf sein bisheriges Werk zurück und führt es fort.

Die Pfarrkirche von Weyer ist ein überraschend großer, heller Raum; man hat sie schon den "Dom des Ennstals" genannt. Im Kern geht sie auf die Gotik zurück, ist aber mehrfach erweitert worden. Das Barock hat mehrere Altäre beigesteuert. Aus dem 19. und beginnenden 20. Jahrhundert stammen einige unbedeutende Glasfenster.

Anzingers Fenster sind hell, lassen das Licht aufleuchten - je nach Tageszeit in verschiedener Weise. Anzinger hat die überlieferte Technik der Bleiverglasung gewählt. Ausgeführt wurden die Fenster in der Glaswerkstätte des Stiftes Schlierbach.

Kühne Farbkombinationen

Ein erster Eindruck ist die subtile Farbigkeit. Blau, die Hauptfarbe gotischer Fenster, dominiert. Verschiedene Blautöne treten hervor, am eindrucksvollsten ist ein helles Blau, das an die Fenster der Westfassade von Chartres erinnert, durch die am Abend ein strahlendes Licht einfällt. Es gibt auch einige kräftige rote Akzente. Viele andere Farben spielen herein. Anzinger ist ja bekannt für seine kühnen Farbkombinationen.

Da es sich um hohe, schmale Fenster handelt, hat Anzinger auf jedem Fenster mehrere Szenen übereinander angeordnet. Auch in der Motivik ist sich Anzinger treu geblieben. Neben den menschlichen Personen tummeln sich viele Engel. Seine Lieblingstiere - der Löwe und der Hase - kommen mehrfach vor. Anzinger spricht von einem "Männerfenster" und einem "Frauenfenster".

Das "Männerfenster" zeigt oben einen großmächtigen Gottvater. Wir kennen ihn aus der Renaissance und dem Barock. Anzinger weiß natürlich, dass man den unsichtbaren Gott eigentlich nicht darstellen kann. Er schafft kein neues Gottesbild, sondern setzt sich mit dem fragwürdigen Gottvaterbild des Barock auseinander. Er tut das, wie schon in seinem bisherigen Werk, mit Humor. Der Betrachter kann sich fragen, ob man Gott so oder anders oder gar nicht ins Bild setzen soll.

Unter dem Bild des Gottvaters sieht man die Taufszene. Johannes in seinem festlichen rot-blauen Gewand ist sich seiner Würde bewusst. Im Gegensatz dazu wird Jesus in seiner Nacktheit gezeigt, ein Zeichen für seine Verletzlichkeit.

Im nächsten Bild begegnet der Heilige Hieronymus jenem Löwen, dem er einen schmerzenden Dorn entfernt hat und der ihm nun folgt. Diese Legende will wohl ausdrücken, dass der Mensch Gefahren bestehen kann, wenn er ihnen mutig entgegentritt. Hieronymus trägt einen großen roten Kardinalshut - wir wissen, dass es zu seinen Lebzeiten noch gar keine Kardinäle gegeben hat.

Ganz unten ist Jesus - in weißem Gewand - im Gespräch mit Petrus oder einem anderen Apostel. Er weist zurück auf ein Porträt Adolf Hitlers. Was er zu Petrus sagt, kann sich der Betrachter denken.

"Männerfenster", "Frauenfenster"

Das andere Fenster ist das "Frauenfenster". Immer wieder wird Maria dargestellt, mit ihr auch andere Frauen. Anzinger hat oftmals "Madonnen" gemalt, die nicht immer Maria meinen, sondern sein vielschichtiges Frauenbild zum Ausdruck bringen.

Ganz unten eine ungewöhnliche Bilderfindung: Maria hält das gekreuzigte Kind in den Armen. Immer wieder hat die Tradition den Bezug des Jesuskindes zum Gekreuzigten herausgestellt. Es so anschaulich ins Bild zu setzen, ist Anzingers eigene Erfindung. Er selbst sagt, dass er dabei auch an die missbrauchten und misshandelten Kinder unserer Tage gedacht hat. Wir sehen: Hier wird die Darstellung ganz ernst. Maria zertritt der Schlange den Kopf; von oben nähert sich ein Engel mit der Krone. Störend wirkt, dass der Steg, der die Glasscheiben verbindet, das Gesicht des Kindes durchschneidet.

Manches an diesen Bildern ist ungewöhnlich und mag befremden. Viele Menschen erwarten von Bildern in der Kirche die Veranschaulichung von Glaubenslehren. Anzinger hat zwei Fenster geschaffen, die autonome Kunst sein wollen. Als solche haben sie sicher hohe Qualität. Kunst wird hier als eigenständige Wirklichkeit begriffen, die der Religion in ihrer Andersartigkeit entgegentritt.

Der Autor ist emeritierter Professor für Philosophie und Kunst an der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz.

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