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Eine Hommage an Marcel Prawy, den faszinierenden, originellen und streitbaren Musiktheaterbesessenen.

Viel, woran ich glaube, ist nicht allgemein gültig, nicht einmal immer für mich. Wesentlich aber ist: ich glaube!" Das ist der Schlüsselsatz eines Glaubensbekenntnisses der besonderen Art. Ein Satz, der sozusagen das Portal ist, durch das der kritische Beobachter tritt, um in seine Welt zu gelangen - wobei er bei diesem Opern-Dante durchaus nicht die Hoffnung fahren lassen muss. Dieser Satz ist aber auch das dialektische Resümee, das etwaige Widersprüche virtuos auflöst, auf die man bei diesem Führer durch die Opernwelt stößt.

Niedergeschrieben hat es Marcel Prawy, eine der originellsten, streitbarsten, faszinierendsten Persönlichkeiten des Wiener Kulturlebens; ein Original wie es kein zweites gibt, möchte ich sehr respektvoll sagen. Er gibt dieses Bekenntnis den Scharen seiner begeisterten Anhänger - wie auch seinen Kritikern, die sein Credo schon oft zerlächelten - mit auf den Weg durch die Ausstellung "Marcel Prawy - Glück, das mir verblieb" im Wiener Theatermuseum. Wie treffend der Titel mit Hinweis auf Erich Wolfgang Korngolds wunderbare Melodie aus der Oper "Die tote Stadt", die Prawy ein Leben lang begleitete.

Prawys Credo ist tatsächlich in höchstem Maße lesens- und diskutierenswert. Da spannt ein zutiefst Gläubiger, nein, ein von Oper besessener seine geistigen Bögen auf, da wirft er Netze aus, in denen sich das Publikum nur zu gern fangen lässt: Denn Prawy vermag eine Ahnung zu vermitteln, wie man in der Erfahrung des Kunstwerks die Ewigkeit berühren kann, er lässt einen verstehen, wie die Oper zum Rückzugsgebiet all jener werden kann, die der Misere des Alltags entgehen wollen, er spricht von der "Schönheit des Lernens und des Lehrens", von der Kraft, andere Menschen von Ideen zu überzeugen, oder über das Wunder der Begegnung mit großen Künstlern - von Begegnungen, mit denen sein Leben so überreich beschenkt war. Das Glück, das ihm verblieb: "mit Meistern leben zu können und gelebt zu haben."

Er ist natürlich der stets souveräne Allrounder. Er philosophiert in seiner Ausstellung auch über Sinn und Unsinn traditioneller Wohnformen, über die Krise der Oper, über seine skeptische Einstellung zur Auftragsoper, über den europäischen Siegeszug des Musicals - Pionier Prawy sei Dank. Er hat das Musical zur "europäischen Sache" gemacht, aber auch über "Verhunzungen und Verschandelungen von Opern durch eitle, sich selbst in Szene setzende, oft werk- und fachunkundige Regisseure", die er als "betrügerisch falsch" verurteilt. was ihm oft den Vorwurf des Altmodischen eingetragen hat. Aber er hält's da mit dem berühmten Regisseur Fritz Kortner, der einmal festgestellt hat: "Alle zehn Jahre wird das Theater bedeutend, und das muss man kurz überleben, dann entsteht wieder das Richtige." Und Otto Schenk ergänzt da korrigierend: "Prawy ist so leidenschaftlich verliebt in ,den Menschen', dass er sich manchmal eine altertümliche Umgebung eher gefallen lässt als die Verpackungsindustrie, die den Menschen schwänzt."

Prawys "Ich glaube" erinnert mich an ein Bergwerk. Ein Bergwerk der Phantasie und des Geistes. Überall gibt es Kavernen, vollgestopft mit überraschenden Relikten der Nostalgie und Apercüs, überall Durchlässe und unterirdische Verbindungsgänge. Darf einem da dieses Credo nicht als Abbild von Prawys Wohnung im Cottage erscheinen, deren Zimmer um die Mitte der neunziger Jahre zum Depot für hunderte Nylonsackerln wurden, zu einer Schatzkammer, in der scheinbar nicht zusammengehörige Materialien wie in einem surrealistischen Kunstwerk des Zufalls sich zusammenfügen?

Der Fotograf Harry Weber hat diese legendär gewordene Plastiksackerl-Inszenierung in stimmungsgeladenen Meisterfarbbildern festgehalten: Sie sind in der Schau zu sehen. Eine wuchernde Welt aus Büchern, Platten, Bildern, Dokumenten, Stofftieren, Koffern, Nippes, Orden, Erinnerungsstücken aller Art - die Welt des Professor Doktor Marcel Horace Frydmann Ritter von Prawy, des Opernführers, Gralshüters der Oper, Königs des Publikums und und und. Eine Facette seines "Glücks, das ihm verblieb".

Er hat selbstverständlich ein ungewöhnliches Leben geführt: Ein Leben voll wunderbarer Höhepunkte des Glücks, aber auch voll höchster Tragik, als ein Teil seiner Familie im NS-Staat zugrunde ging. Als Sohn eines späteren Ministerialrats im Verwaltungsgerichtshof Richard Frydmann 1911 geboren, lebte er seit der Scheidung seiner Eltern 1920 bei seiner Großmutter. Er war Schüler des Piaristen-, dann des Wasa-Gymnasiums (Matura 1929). Nach dem Freitod seiner Mutter 1925, die die Trennung von ihrem Mann nie überwand, wird für den jungen Marcel der Opernbesuch zu seiner "Grundschulung" - in der Staatsoper, im Theater an der Wien, in der Volksoper, in Konzerten, im Sprechtheater.

1934 promoviert er zum Doktor der Rechte und wird 1936 bis 1943 Privatsekretär des Künstlerehepaares Jan Kiepura und Martha Eggert, mit denen er in die Welt und um die Welt zieht: Paris, London, Rom, Mailand, Budapest, New York, Los Angeles, Mexico City ... Der junge Marcel wird zum Kosmopoliten, für den "die Welt draußen" nicht fremd ist, als er mit den Kiepuras 1939 in die USA emigrieren muss, er begegnet Maria Jeritza, der er ein Leben lang verbunden bleiben wird. Den Vater kann er in die USA holen, während seine Schwester während des Zweiten Weltkriegs in Wien als "U-Boot" lebt. 1943 bis 1946 ist er Unteroffizier der US-Army, wird in den USA, aber auch in Paris, Bad Schwalbach und an der American University in Biarritz eingesetzt. 1946 kehrt er als Military Civilian nach Wien zurück, unterrichtet deutsch, ist in der Produktion der Wochenschau "Welt im Film" und in der Filmzensur tätig. Schallplattenproduktionen, Hörfunkprogramme, Shows mit Nummern amerikanischer Musicals im "Kosmos-Theater" und im späteren "English Theatre" folgen.

1954 ist für ihn eine Art Stunde Null: Im Hessischen Rundfunk nimmt Prawy seine erste TV-Show mit dem "Kosmos"-Ensemble auf. 1955 wird er Chefdramaturg der Volksoper und gestaltet 1956 die erste Musical-Produktion auf dem europäischen Kontinent: "Kiss me, Kate!" Prawys Ideen, Musicals mit dem richtigen Mix aus europäischen und amerikanischen Sängern auf die Bretter zu bringen, erobern Europa.

Nach sinnlosen Streitereien mit verzopften Musicalgegnern beweist Prawy ein- ums anderemal, was das neue Genre dem Spielplan zu bieten hat. Vorbildliche, berühmte Produktionen entstehen: 1965 die Gershwin-Oper "Porgy and Bess", 1968 "West Side Story", dann "Anny get your gun", "Show Boat" ... Prawy hat mit unermüdlichem Einsatz den Siegeszug des Musicals durchgesetzt.

Spätestens ab 1965 ist er eine unumstrittene Autorität. Und nicht nur dank Musicals. Seine Idee, an der Volksoper "Nationalopern" zu spielen, seine Projekte mit Freund Leonard Bernstein an der Staatsoper werden Erfolge. Und er wird Produzent und Präsentator der Sendung "Opernführer", die dank ihres Erfolges in Serie geht. Er wird Lehrbeauftragter der Universität Wien, erhält die Goldene Kamera, wechselt 1972 in die Direktion der Staatsoper als Chefdramaturg, wird Leiter des Bildungsprogramms, Visiting professor an der berühmten Yale-University, ordentlicher Professor an der Wiener Hochschule für Musik und beginnt 1978 mit der Gestaltung und Präsentation eines neuen Typs einer TV-Sendung, bei der Prawy die Entstehungsgeschichte von Opern oder die Lebensgeschichten von Komponisten an Originalschauplätzen präsentiert: "Auf den Spuren von ... " - ein Publikumsrenner.

Ab seinem 65. Geburtstag kann Prawy geradezu eine Lawine von Auszeichnungen, Verdienst- und Ehrenzeichen, Orden, Titeln verbuchen; als Höhepunkte empfindet er naturgemäß die Ehrenmitgliedschaft der Wiener Staatsoper, den Ehrenring der Stadt Wien, Premio Operetta der Stadt Triest, die Clemens Krauss-Medaille in Gold, das Goldene Doktorat der Universität Wien, die Ernennung zum Bürger der Stadt Wien, die Ehrenmitgliedschaft der Volksoper, die Nicolai-Medaille in Gold, den Commendatore-Titel Italiens, das Ehrendoktorat der Wiener Philosophischen Fakultät und und und. Zuletzt erhielt er 2001 den Ehrenring der Wiener Philharmoniker.

Mit Meisterwerken zu leben, das war für Prawy das wichtigste. Und das belegt auch jedes Dokument der Ausstellung im Theatermuseum. "Jetzt geh ich 75 Jahre in die Oper, und freu mich jeden Abend wie ein Kind, wenn die Musiker die Instrumente einstimmen", sagte Prawy einmal. "Ich kann auch einen Abend lang nur der Flöte oder nur der Oboe zuhören und lerne dabei immer etwas Neues. Tausend Jahre wären dafür nicht genug."

Und was ist das Geheimnis seines Lebens? Begeisterungsfähigkeit! Erleben zu können und sich eine unstillbare Neugier gegenüber der Kunst bewahrt zu haben. Und sich die Freude zu bewahren, andere zum Erlebnis Kunst verführen zu können, und zwar aus dem Gefühl heraus, nie bloß in der Nähe eines Kálmán, Stolz, Karajan oder Bernstein gewesen zu sein, sondern eigentlich "ein Teil von ihnen", wie Georg Markus das formulierte.

Prawy selbst sagt: "Sich das Leben immer schwerer machen ... Noch eine Hürde nehmen ... Nur nicht leiser treten. Denn bloß ein bisserl leiser - und du bist schon tot!" Otto Schenk trifft Prawys Haltung genau: "Prawy verehrt die Alten, eine kleine Phrase von Gigli oder Kiepura, er forscht da und dort, ist jederzeit bereit, einem neuen Werk, einem Popkonzert, einem Schlager diese Kraft abzuluchsen. Darum ist er einer der modernsten Menschen, die ich je getroffen habe."

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