Grandes Dames auf Sommerfrische

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Marie von Ebner-Eschenbach war einst selbst zur Erholung in Reichenau. Ihre Novelle "Die Totenwacht" ist Vorlage für Anna Maria Krassnigs gelungene Inszenierung beim heurigen Thalhof-Festival. Außerdem im Programm: Evelyne Polt-Heinzls Textcollage "Raxleuchten".

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Marie von Ebner-Eschenbach war einst selbst zur Erholung in Reichenau. Ihre Novelle "Die Totenwacht" ist Vorlage für Anna Maria Krassnigs gelungene Inszenierung beim heurigen Thalhof-Festival. Außerdem im Programm: Evelyne Polt-Heinzls Textcollage "Raxleuchten".

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Das hätte der Baronin gefallen: Ein gar nicht sommertheatertaugliches Stück aus ihrer Feder vor ausverkauftem Saal in der ehemaligen Kuranstalt Thalhof -und lebhafter Beifall am Ende. Denn Marie von Ebner-Eschenbach wollte sich eigentlich als Dramatikerin einen Namen machen, was ihr weder mit ihren Tragödien noch mit ihren Salonstücken gelang, weshalb sie sich auf Prosa verlegte. Und eigentlich ist auch "Am Ende eines kleinen Dorfes" kein Drama, sondern eine dramatisierte Novelle, deren jedenfalls aussagekräftigerer Titel "Die Totenwacht" dem Sommerfrischepublikum offenbar nicht zugemutet werden sollte.

Das eigentliche Skandalon dieses 1892 publizierten Textes lag und liegt aber in Ebner-Eschenbachs Statement zum Thema Vergewaltigung. "Am Ende eines kleinen Dorfes" (so der Beginn der Erzählung) kommt es in der allerärmsten Hütte zu einem verbalen Duell zwischen dem reichen Bauern Georg und der Häuslertochter Anna - am Sarg ihrer eben verstorbenen Mutter. Nach und nach wird die Szene zur Autopsie einer Hassliebe, bestimmt vom Gefälle der Macht und der Mittel.

In Lydia Hofmanns in trügerisch freundlichem Hellbeige gehaltenem Bühnenbild stapfen die Figuren durch dicke Wollhaufen und halten sich an erratisch herumstehenden Fensterrahmen fest, die aus dem im Hof lagernden Altbestand des vorbildlich renovierten Thalhofs stammen dürften. Anna Maria Krassnigg hat ihre Spielfassung auf der verblüffend wirkungsvollen Idee aufgebaut, die tote Mutter der Geschichte zur untoten Erzählerin umzufunktionieren. So stärkt sie (eindrucksvoll: Doina Weber, bald schmerzlich abgeklärt, bald mild ironisch) ihrer Tochter den Rücken, spricht ihr Sätze vor und schafft eine rhythmische Struktur. Petra Gstrein verkörpert die unbeugsame Hiobsgestalt der Anna, brennend intensiv, mit passendem dialektalen Rückgriff auf ihre Tiroler Wurzeln. Die psychologisch stringente Regie Anna Maria Krassniggs billigt ihr mehr Schwäche zu als der Protagonistin der Novelle, gerade in der Erinnerung an den Tag der Vergewaltigung, an dem zwischen den beiden feindlichen Königskindern eigentlich die Wende zum Guten, zu gegenseitiger Achtung und Zuneigung möglich gewesen wäre. Die Zeile "Abend is g'wesen und doch noch schwül zum Ersticken" traf im Thalhof auf ähnlich leidgeprüfte Zuschauer.

Kluge Inszenierung

Etwas holzschnittartig gerät der Georg des Jens Ole Schmieder, der die Maulfaulheit des zuinnerst schwachen starken Mannes - die Autorin denunziert ihn nicht - durch animalisches Grunzen kompensiert. Mit ungläubigem Staunen über die eigenen Restbestände an Zärtlichkeit lehnt Anna Georgs gnadenhalber formulierten Heiratsantrag ab. Schließlich hat er aus Angst vor seinem Vater auch noch das Kind, die Frucht seiner Tat, verleugnet, das nicht lange leben sollte. Auf sein "ich nehm dich" erwidert Anna: "ich nehm dich nicht und nehm dein Geld nicht." Lieber geht sie in die Fremde in Dienst denn als Herrin in sein Haus.

Krassniggs kluge Inszenierung zwischen Schnitzler und Bauerntheater verschafft einer Stimme Gehör, die schon von Zeitgenossinnen als radikal wahrgenommen wurde. Der Abgesang auf ein Patriarchat, das den Mann nicht minder würdelos macht als die Frau, wirkt glasklar und staubfrei.

Dass Marie von Ebner-Eschenbach auch aus lokalhistorischen Gründen in den Thalhof passt, erfährt man in Evelyne Polt-Heinzls raffiniert gestalteteter Textcollage "Raxleuchten" - mit Witz und Präzision in Szene gesetzt von Jérôme Jenod, meisterhaft unterstützt vom Simply Quartet. Ebner-Eschenbach logierte daselbst 1887, beklagte sich in ihrem Tagebuch mit insistenter Eintönigkeit über Sturm und Regen und nahm in nimmersatter Menschenneugier so manchem Eingeborenen die "Beichte" ab.

Prinzipalin Krassnigg und Martin Schwanda führen in amüsanter Doppelconference durch Sommerfrischenöte und -freuden des Biedermeier und der Gründerzeit, von Lenau und Nestroy bis Daniel Spitzer und Betty Paoli, die von der Baronin wissen will, ob Reichenau ihrer "Gesundheit förderlich war". Ebner-Eschenbachs Empörung über die antisemitischen Schmierereien auf den Felswänden im Höllental (sie war vor der Lueger'schen Hetze aus Wien geflohen) kommt nicht vor, sehr wohl aber ein vorausblickender Hinweis auf die Arisierung des jüdischen Grundeigentums rund um Rax und Schneeberg und den bis dato blinden Fleck der Lokalgeschichte. Überhaupt ist Fremdenverkehrstauglichkeit nicht das Kriterium der Dramaturgie. Ebner-Eschenbachs Resümee: "Im Ganzen gefällt mir der Aufenthalt in Reichenau nicht."

Am Ende eines kleinen Dorfes

Thalhof, 12., 14., 18., 19., 20. August

Raxleuchten

Thalhof, 13., 20., 27. August

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