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Die Aufhebung der Schwerkraft als spiritueller Akt und eine Liftfahrt auf die Mariensäule.

Federleicht scheinbar erhebt sich Richard Kriesches Lift empor entlang der Mariensäule am Eisernen Tor. Dann steht man oben, in Augenhöhe mit der Mutter Gottes und fragt sich, was man jetzt gelernt hat. Außer, dass Teilen eine Tugend ist, denn die beiden Damen, die den Lift als Erstes betraten, also auch das Eurostück voreilig einwarfen, nahmen mich nur meiner Bereitschaft wegen mit, ihnen 50 Cent rückzuerstatten. So schwer kann es also sein, sich zu erheben. Gemeinsam mit der Mutter Gottes und den beiden Damen schaue ich also in die Grazer Herrengasse - und denke mir, dass dieser Blick, trotz aller Schönheit der Stadt, auf Dauer auch nicht so spannend sein kann. Was also dieser Blick der Madonna ist, kann mir Kriesches Lift nicht verraten.

Der Blick der Madonna

Mehr Aussicht mit Einsicht bietet die Besteigung des Mausoleum-Turms. Man würde es gerne wagen, eine der goldenen Leitern, die Maaria Wirkkala auf verschiedenen Dächern der Altstadt montieren ließ und die man von hier aus sehen kann, zu besteigen. Denn da oben, da muss man dem Himmel schon sehr nahe sein. "Himmelschwer - Transformationen der Schwerkraft" vermittelt dem Besucher immer wieder das Gefühl der Leichtigkeit. Mariella Moslers Bodenrelief aus Sand im Grazer Priesterseminar etwa und Werner Hofmeisters abhebender Christus am Kalvarienberg vermitteln sehr ähnliche Zugänge zur Schwerelosigkeit.

Im Joanneum findet man den Kern von "Himmelschwer", quasi das Rüstzeug, um die Entdeckungsreise durch die Stadt anzutreten. Das scheinbar unbekümmerte Nebeneinander moderner und älterer Kunst eröffnet überraschende Gleichklänge wie auch Kontroversen. Hier ist die notwendige Überwindung des ewig gleichen Zuganges traditioneller Kunst gelungen, in der schlichten, sehr wohlüberlegten Gegenüberstellung von Altem mit Gegenwärtigem. Da lernt man zu verstehen, was aus Sicht der Religion - hier mit der klaren Einschränkung auf das Christentum - der Umgang mit Materie und Schwerkraft bedeuten kann, was die Aufhebung der Materie bedeutet. Keine Neudefinition des Himmels, sondern ein Aufräumen mit himmlischen Klischees und auch theologischen Irrwegen. Das ist wohltuend und klärend, ein "ästhetischer und theologischer Erkenntnisgewinn durch Konstellationen von Werken aus unterschiedlichsten Epochen", wie Johannes Rauchenberger im sehr hilfreichen Katalog schreibt.

Im Kontext dieser Ausstellung wäre das Motiv des Schwebens, die Aufhebung der Schwerkraft als "spiritueller" Akt, wie das beispielsweise in den Filmen des Russen Andrej Tarkowskij öfters vorkommt, von großem Interesse. Nahezu programmatisch steht am Beginn seines Filmes "Andrej Rubljow" die Szene, in der ein Bauer meint, mit seinem Ballon endgültig abheben zu können. Dass das nicht funktionieren kann, lernen wir aber in Lara Favarettos filmischem Beitrag "Donkey might fly" - auch dieser Esel schafft es nicht.

Das Reden vom "Dialog" zwischen Kirche und Kunst ist vorbei. Bei der von Johannes Rauchenberger und seinem Team konzipierten Ausstellung "Himmelsschwer" findet er einfach statt - und zwar sehr eindrücklich. Ganz frei von kirchlichen Rahmenbedingungen und im Blickwinkel dessen, wo eine solche Auseinandersetzung stattzufinden hat: in der Frage nach der Spiritualität, die in der Kunst seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts eine Schlüsselposition einnimmt. Wie man in Graz sieht, beschäftigt sie natürlich Künstler - einmal bodenschwer, dann wieder abgehoben. Und findet den Weg direkt in Gotteshäuser, zu sehen in der St.Andrä-Kirche, wo Otto Zitko eine Seitenkapelle mit seinen Strichen transzendiert hat - ein fast durchsichtiger Raum ist das geworden. Er befindet sich hier übrigens in guter Gesellschaft mit Gustav Trogers Spiegeln und Markus Wilfings Himmelstür im rechten Fenster des Hauptschiffes. Pfarrer Hermann Glettler, der Hausherr, baut hier keine neue Kirche, er lässt sie langsam in die Zeitgemäßheit gleiten.

Spiritualität in der Kunst

Irgendwann wird man die goldenen Leitern von den Dächern, wahrscheinlich auch den Lift am Eisernen Tor wieder abmontieren. Graz muss ja auch wieder landen, irgendwann nach Christi Himmelfahrt. Denn Kulturhauptstadt ist man nur einmal im Leben, aber vieles wird bleiben: Die goldenen Leitern werde ich jetzt immer auf dem Dach des Grazer Landhauses sehen. Und ein 50 Cent-Stück werde ich auch immer bei mir haben, wenn ich in Graz bin; denn wer weiß ...

Himmelschwer - Transformation der Schwerkraft Bis 15. Juni. Landesmuseum Joanneum Di-So 10-18 Uhr und Grazer Altstadt

Gleichnamiger Katalog im W. Fink Verlag, München e 38,-

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