Graz lässt große Geister tanzen

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Etwas, was die feuilletonistischen Jubelperser des deutschsprachigen sogenannten Regietheaters und deren Hilfstruppen aus mitspielgeilen Intendanten, Dramaturgen und Textlieferanten nicht kennen, hat wie ein Meteorit auf einer der einst in vielen steirischen herbste avantgardistischen Schauspielbühne eingeschlagen: "Geister in Princeton, der Bühnenerstling von Daniel Kehlmann, für die Salzburger Festspiele geschrieben, dort nur als Lesung (Fassung von Christopher Hampton) vorgestellt, entpuppt sich als intellektuell packendes Biopic-Drama voll zynischer Schärfe, ironischer Brechungen und insgesamt als well-made play. Aufklärerisch wie Sardou und Zola, psychologisch fein wie Tschechow, schonungslos wie Bond, Canetti, Bauer und ein intellektuelles Vergnügen wie von Dürrenmatt. Bravo, bravissimo, da ist der Grazer Schauspieldirektorin Anna Badora ein Stückfang und zugleich ein Regiecoup geglückt.

Dass "Geister in Princeton“ quasi als steirische Eigenleistung am Eröffnungswochenende des Traditionsfestivals steirischer herbst fernab von diesem sein Feuerwerk abbrennen muss, wirft die Frage auf, warum der herbst theatermäßig hauptsächlich mit Kauf- und Tourneeware zugange ist.

Aber zurück zu Kehlmann. In temporeicher Versuchsanordnung lässt der Autor große Geister lebend und tot Kurt Gödels (1906-78) mathematische und philosophische Theorien zur immerwährenden Parallelität von Gestern, Heute und Morgen, vom Nebeneinander Lebender und Toter über die Bühne tanzen. Wie die Protagonisten in Kehlmanns erfolgreicher Prosa ist Gödel ein Jongleur mit Glaubenssätzen, Weltformeln und der eigenen Wahrnehmung.

Unheilbare Paranoia

Drei Särge warten auf Gödel, der in vier Lebensaltern mit sich selbst auf der Bühne steht, den Philosophen des Wiener Kreises Schlick und Neurath unheimlich wird, in der Emigration in Princeton vor allem in Albert Einstein einen belustigt-beschwichtigenden Freund findet. Und dennoch in unheilbarer Paranoia aus Geisterseherei, Vergiftungsvisionen und totaler Entwurzelung untergeht. So illustriert der kurzweilige Abend sehr schön Truman Capote, der einst warnend schrieb: "In Kalifornien verliert man jedes Jahr ein Stück von seinem IQ.“

Vor einem mit Lasergrafik und Projektionen variabel gestalteten gläsernen Paravent, der zeitweilig Lebende und Tote trennt, zünden die exzellenten Darsteller ping-pong-schnelle Pointenfeuerwerke. Johannes Silberschneider als Gödel I, Rudi Widerhofer als Gödel II und besonders der seit seinem Filmdebüt in Markus Schleinzers "Michael“ vielbeachtete elfjährige David Rauchenberger als Gödel-Bub matchen sich gekonnt mit Hans Peter Hallwachs als Einstein, Stefan Suske als John von Neumann, Dominik Warta als Schlick. Intensivst Steffi Krautz als reife und Swintha Gersthofer als junge Ehefrau Adele. Einziger Wermutstropfen: Badora versieht alle Darsteller mit Microport, doch zermantscht die nicht optimal funktionierende Elektronik viele Dialogpointen.

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