Grell, hart, zynisch und vor allem Pulp

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Mit Darstellern, die sich in andauerndem Understatement weigern zu spielen, zeigt Regisseur Konstantin Bogomolov in "Stavangera (Pulp People)" eine Wirklichkeit, die am Anfang wie Affirmation wirkt, eine Lebensweise, in der es keine Höhepunkte gibt.

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Mit Darstellern, die sich in andauerndem Understatement weigern zu spielen, zeigt Regisseur Konstantin Bogomolov in "Stavangera (Pulp People)" eine Wirklichkeit, die am Anfang wie Affirmation wirkt, eine Lebensweise, in der es keine Höhepunkte gibt.

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Seit Quentin Tarantinos zum Kultfilm avancierten "Pulp Fiction" (1994) ist aus der eins tigen Schmähvokabel Pulp Kult geworden. Tarantino liefert im Film am Anfang gleich eine Definition aus dem American Heritage Dictionary. Da heißt es: engl. pulp sei erstens "a soft, moist, shapeless mass of matter" und zweitens "a magazine or book containing lurid subject matter and being characteristically printed on rough, unfinished paper". Übersetzt bezeichnet das englische Wort pulp also einerseits eine Art Brei und andererseits handelt es sich dabei um auf minderwertigem, groben (Zeitungs)Papier gedruckten Schund.

Beide Bedeutungsebenen charakterisieren auf treffliche Weise die Produktion, mit welcher der 1975 geborene russische Regisseur Konstantin Bogomolov gegenwärtig in Wien bei den Festwochen zu Gast ist. Der Shootingstar der zeitgenössischen russischen Theaterszene hat in Lettland mit dem lettischen Liep¯ajas te¯atris "Stavangera (Pulp People)" erarbeitet. Mit diesem Stück zeigt Frie Leysen, die verantwortliche Schauspielchefin der Wiener Festwochen, erneut prägnantes, ungewohntes Theater.

Emotions- und teilnahmslos

"Stavangera", das auf einem Text der russischen Dramatikerin und Bloggerin Marina Krapivina beruht, nennt Konstantin Bogomolov im Untertitel "Pulp People", und es huldigt auf mehreren Ebenen ausgiebig einer Pulpästhetik.

Die Bühne ist in der ganzen Breite ein wenig tiefer Glaskasten, in dem sich eine komplett eingerichtete Wohnung mit auffällig vielen Lampen befindet: links eine ausziehbare Couch, dann eine Kommode, die Küchenzeile mit Backofen, Waschmaschine und Kühlschrank, rechts im Hintergrund ein Esstisch und davor die Kloschüssel. In diesem beengten Container fabulieren die zehn Pulp People, allesamt Menschen, die vom Leben nichts mehr erwarten, mit einer amorphen Zukunft, in etwas mehr als eineinhalb kurzweiligen Stunden ihre mit rabenschwarzem Humor gewürzte Pulp fiction: ein Brei grotesker und eindeutiger Inhalte, in einer ostentativ kunstlosen, dafür umso demonstrativeren deftigen Sprache.

Die Figuren quatschen emotions-, ja teilnahmslos von flüchtigen Liebschaften und toten Ehemännern, aus deren Asche Tee geworden ist, quasseln von Autounfällen und ein paar Flugzeugabstürzen, die die "schwarze Stewardess" wie durch ein Wunder stets als einzige überlebt.

Im Zentrum der ebenso wirren wie wüsten Geschichte steht Kristine, auch Kika genannt. Sie ist mit dem Taxifahrer Nikolaj verheiratet, was beide aber nicht daran hindert, außerehelichen Angeboten offen zu begegnen. Über einen Chat lernt sie Odd aus Stavanger kennen. Der lockt sie in die viertgrößte norwegische Stadt, wo sie sich als Kindermädchen um seinen angeblich sechsjährigen Sohn mit Downsyndrom kümmern soll. Sie macht sich auf nach Norwegen, lässt Mann, Stieftochter, die nach einem Unfall den Kopf einer 60-Jährigen angenäht bekommen hat und deshalb, bis sie fünfzig ist, nicht in den Spiegel schauen darf, und den Schwiegervater, der nach einem Schlaganfall zum Pflegefall geworden ist, es aber recht gut versteht, seine lieben Verwandten zu dressieren (grüne Lampe essen, rote Lampe Klogang), unsentimental zurück.

In Stavanger stellt sich heraus, dass Odd ein Heroin-Junkie, sein Sohn 16 ist und größtenteils bei der Mutter lebt, die ihn irrtümlich mit Heroinbrei gefüttert und sich Grießbrei gespritzt hat. Ganz vergeblich soll ihre Reise aber nicht gewesen sein, deren Bestimmung ja von vornherein eine andere war. Damit daran keine Zweifel aufkommen, hat sie sich auch ein Intimtatoo machen lassen, mit der Aufschrift "I love Norway".

So verbringen sie und Odd die Tage, wie sie einer Freundin erzählt, mit ficken, ausruhen, ficken, spazieren gehen und wieder ficken. Wie es am Ende heißt, könnte diese Geschichte unendlich lang weiter erzählt werden, aber das mache einfach keinen Sinn. Genau.

Hanebüchene theatrale Chiffren

Das eigentlich Befremdliche, Irritierende und darin Großartige dieses Theaterabends ist die Art und Weise, wie Bogomolov eine Wirklichkeit beschreibt, die am Anfang wie Affirmation wirkt, eine Lebensweise, in der es keine Höhepunkte gibt. Das ganz Neue dieses Theaters ist das andauernde Understatement der Darsteller, ihre Weigerung zu spielen, sowie die hanebüchenen theatralen Chiffren, die Bogomolov benutzt, ohne den Hauch von Ironie. So bohrt Odd ein Brett, um Sex zu erzählen, zwei rote Luftballons bedeuten vergrößerte Brüste etc.

Dieses Theater kommt ohne stilistische Augenzwinkereien aus und setzt stattdessen auf Drastik und Buchstäblichkeit im Ausdruck. Boglomov verzichtet gänzlich auf Kunstgriffe und übersteigert stattdessen noch die Maßlosigkeit des Pulp-Genres: "Stavangera (Pulp People)" ist grell, hart, zynisch.

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