Grillparzer - © Foto: gemeinfrei

Grillparzer-Goethe 1:0

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Die Wiedereröffnung des Burgtheaters als patriotisch-politische Demonstration.

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Die Wiedereröffnung des Burgtheaters als patriotisch-politische Demonstration.

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Die beginnende Theatersaison ist in Österreich geprägt von der Erinnerung an die Wiedereröffnung von Burgtheater und Staatsoper vor fünfzig Jahren. Die Hintergründe der patriotisch-politischen Inszenierung ihrer Wiedereröffnung sind gerade im "Gedankenjahr" 2005 sehr interessant und sagen viel über das Selbstverständnis und die kulturelle Identität der beginnenden Zweiten Republik. Darüber hinaus bietet bietet die furche wie schon in den letzten Jahren eine kritische Sichtung der Spielpläne der neuen Saison.

Die Wiedereröffnung von Burg und Oper wurde im Herbst 1955 nicht nur als künstlerisches Ereignis, sondern vor allem als symbolische Manifestation des als souveräner Staat wiedererstandenen freien Österreichs gefeiert. Das erweckt den Eindruck, die beiden Fest-Premieren - die eine am 15. Oktober, die andere am 5. November - wären ganz bewusst als Umrahmung des politisch ungleich wichtigeren 26. Oktober geplant worden. Doch dies entspricht nicht so ganz den Tatsachen.

Kultur demonstrieren

Als sich das Ende der Wiederaufbauphase absehen ließ, war der Staatsvertrag zwar noch in weiter Ferne. Die im historistischen Stil rekonstruierten Prunkbauten am Ring sollten freilich vor aller Welt Österreichs kulturelle Bedeutung demonstrieren. Umso schwieriger gestaltete sich für das Burgtheater, das seit 1945 mit dem Ronacher als Ausweichquartier vorlieb nehmen musste, die Entscheidung, ein für den (kultur)politischen Eröffnung-Festakt geeignetes Werk zu finden. Kaum hatte Adolf Rott im Herbst 1954 für Goethes Freiheitsdrama Egmont plädiert, wurden Gegenstimmen laut, die zu diesem Anlass ein literarisches Österreich-Bekenntnis forderten: Franz Grillparzers historisches Trauerspiel König Ottokars Glück und Ende mit dem zur "inoffiziellen Staatshymne" erklärten Loblied auf Österreich.

In der Folge brach eine hitzige, mehrere Monate dauernde, auch parteipolitisch geführte Diskussion los, die sogar den Ministerrat beschäftigte und auch international kommentiert wurde. "In dem Match Goethe-Grillparzer, Halbzeit 1:1, unentschieden", spöttelte die Frankfurter Allgemeine. Das Neue Österreich hingegen empörte sich: "Der Direktor des österreichischen Staatstheaters entschied sich zugunsten des Geheimrates von Weimar gegen den Hofrat aus Wien (...) Die Entwicklung der weltpolitischen Lage erlaubt es Österreich nicht, eine Gelegenheit zu versäumen, wie sie ihm der Eröffnungsabend des Burgtheaters bietet."

"Ottokar" statt "Egmont"

Diese Implikation kam nicht von ungefähr. Standen doch die Ottokar-Neuinszenierungen der Burg im 20. Jahrhundert - wie schon die Premierendaten 1908, 1933 und 1949 signalisieren - alle in einem patriotisch-politischen Kontext. Gewiss war der dem Haus Habsburg huldigende Schluss nach 1918 problematisch, aber Grillparzers Text ließen sich mit geringfügigen Veränderungen aktuelle Bezüge abgewinnen. Dazu ein Beispiel aus Ernst Lothars Einrichtung von 1949: "Noch immer lieget böhmische Besatzung / im Lande hie und dort von Österreich", heißt es bei Grillparzer. Bei Lothar wurde daraus: "Noch immer liegt Besatzung im Lande Österreich." Für Otto Basil spiegelte sich in dieser Vorstellung Österreichs Situation als "ideologisches Frontgebiet" zwischen Ost und West.

Als sich dann 1955 Grillparzer siegreich gegen Goethe behauptet hatte, übernahm Direktor Rott persönlich die Regie der Eröffnungspremiere. Noch wichtiger war ihm jedoch, dem Burgtheater den Vorrang vor der international wohl stärker beachteten Staatsoper zu sichern, und er hatte dafür auch ein schlagendes Argument parat: Das von Gottfried Semper und Karl Hasenauer erbaute Haus am Ring war 1888 am 14. Oktober eingeweiht worden. Rott setzte sich durch. Der Staatsakt zur offiziellen Wiedereröffnung des neuen, alten Burgtheaters fand auf den Tag genau 67 Jahre später als geschlossene Vorstellung vor geladenen Gästen statt. In Anwesenheit des gesamten Ensembles - links die Herren im Frack, rechts die Damen im Abendkleid - nahm der Direktor auf der Burgtheaterbühne die Schlüssel des Hauses aus den Händen von Unterrichtsminister Heinrich Drimmel entgegen. Dann ergriffen die Komödianten - Werner Krauß (Theaterdirektor), Raoul Aslan (Dichter) und Hermann Thimig (Lustige Person) - mit Goethes Vorspiel auf dem Theater von ihren weltbedeutenden Brettern Besitz.

Staatsakt als Männersache

Der Zuschauerraum bot ein eigenartiges Bild. Mit Rücksicht auf die Platzkapazität mussten nämlich die Politiker und alle übrigen Honoratioren ihre Gattinnen zu Hause lassen. So blieb der Staatsakt Männersache, mit Ausnahme "solcher Damen, die infolge ihrer persönlichen beruflichen Eigenschaften" eine Einladung erhalten hatten.

In Solidarität dazu hatte auch der Stadtschulrat verfügt, die "an verschiedene Personenkreise frei zur Verteilung" ausgegebenen Stehplätze "ausnahmslos an männliche Schüler" zu vergeben. Dies bewog immerhin später fünf mutige Abgeordnete zu einer parlamentarischen Anfrage, ob dies denn nicht gegen die "verfassungsmäßig verbürgte Gleichberechtigung" verstoßen habe. Die Bundestheaterverwaltung rechtfertigte sich daraufhin dahingehend, man habe jenes "einheitliche Bild, das im Wesentlichen den Verhältnissen im übrigen Zuschauerraum entsprach", wahren müssen.

Gleichberechtigung herrschte dann jedenfalls an den beiden ebenfalls als geschlossene Vorstellungen zelebrierten Eröffnungsabenden - wegen der großen Zahl der Ehrengäste gab es nämlich am 16. Oktober noch eine "zweite" Premiere - als die Prominenten mit ihren Gattinnen erschienen (Kleiderordnung: Smoking und großes Abendkleid) und neben Schülern auch Schülerinnen am Stehplatz dabei sein durften. Das gesellschaftliche Ereignis überstrahlte das künstlerische bei weitem. Sogar die aus aller Welt angereisten Kritiker schenkten dem Spektakel im Zuschauerraum mehr Aufmerksamkeit als den Vorgängen auf der Bühne. Auch das "Interesse des Publikums galt an jenem Abend weniger dem Schicksal Ottokars als der Modenschau in der Pause", erinnerte sich Fred Hennings in seiner Autobiografie.

"Vaterländische Revue"

Wenn die von einem Kritiker sogar als "vaterländische Revue" eingestufte Aufführung auch künstlerisch nicht recht befriedigte, so vermittelte sie doch den Eindruck einer kontinuierlich und unbeschadet alle Zeiten überdauernden österreichischen Identität, nicht zuletzt durch die Besetzung: Während König Ottokar - Personifikation des Bedrohlichen - wie schon 1933 und 1949 immer noch von Ewald Balser verkörpert wurde, war Raoul Aslan - 1933 und 1949 Rudolf von Habsburg - nun als Ottokar von Horneck der mit minutenlangem Applaus gefeierte Lobredner Österreichs und des Österreichers, der sich lieber "sein Teil denkt" und "die andern reden" lässt ... Grillparzers Sprache ist gewiss doppeldeutiger, als man beim ersten Hinhören vermuten könnte.

Wie stark Österreich seine Identität aus der kulturellen Tradition ableitete, lässt sich nicht zuletzt auch daran ablesen, dass die Zweiten Republik als ihre erste Gedenkmünze eine silberne 25-Schilling-Prägung anlässlich der Wiedereröffnung des Burgtheaters herausbrachte, als gelte es, einen Ausspruch von Franz Theodor Csokor zu bestätigen: "Die Welt ging zwischen 1918 und 1945 zweimal aus den Fugen. Das Burgtheater - nicht!"

Die Autorin ist Professorin für Theaterwissenschaft an der Universität Wien.

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