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Zwischen Fotografie und Malerei: "Augenblicke" in der Sammlung Essl, Klosterneuburg.

Wie kaum ein anderes künstlerisches Medium kann die Fotografie auf den Moment reagieren, unmittelbar am Schnittpunkt zwischen Kunst und Gesellschaft den Pulsschlag der Zeit einfangen, als Bild festfrieren. Künstler begnügen sich dabei nicht mit banalen Schnappschüssen, sie verfremden, manipulieren, überarbeiten, inszenieren Fotos, um wesentliche Aussagen zur Bestandsaufnahmen ihrer Zeit zu treffen. Was echt oder spontan scheint, kann sich dabei als Ergebnis sorgfältiger Bearbeitung entpuppen. Die beeindruckende Vielfalt künstlerisch-fotografischer Ausdrucksformen führt die Ausstellung "Augenblick - Foto/Kunst" in der Sammlung Essl vor. Etwa 80 Arbeiten von 23 Künstlern zeigen verschiedene Arbeitsweisen, die die Grenzen zwischen Malerei und Fotografie, Wirklichkeit und Inszenierung verschwimmen lassen.

Als "Dokumente des Unglaubens" bezeichnet Thomas Ruff seine Fotos, die er per Computer nach strengen Kompositionsregeln perfektioniert. Mies van der Rohes "Haus Tugendhat" wird so zum makellosen, strahlend weißen Ideal. Bernd und Hilla Becher haben die objekthafte Klarheit amerikanischer Industriearchitektur durch eine Belichtungszeit von zehn Sekunden erreicht, die alles Zufällige vom Ort abfallen lässt. Präzise Momentaufnahmen des labilen Lebensgefühls ihrer Modelle liefert Nan Goldins "visuelles Tagebuch", das auch die furchtbare Realität von AIDS als Kehrseite des mondänen Nachtlebens nicht ausklammert. Die Wirklichkeit der Frauen im Iran brachte Shirin Neshat ins Bewusstsein des Westens. "Rapture" ist bildhaftes Dokument einer männerdominierten Gesellschaft.

Cindy Sherman setzt auf ein andauerndes Ritual der Selbstinszenierung, um Individualität und Körperverlust zu thematisieren. Klischeevorstellungen sind Ausgangspunkt der Arbeiten von Bettina Rheims, Vanessa Beecroft und Tracey Moffatt. Sie bekennt sich freimütig zur verführerischen Wirkung des Klischeehaften und bat für ihre Bilder des sportlichen Wettkampfes der "Roller-Derby-Queens" das Damenteam ins Studio zur inszenierten Action. Was echt wirkt, ist gestellt. Lasziv-erotisch präsentieren sich die weiblichen Modelle, die Rheims aufreizend ablichtete, die männliche Traumfrau ist Thema von Beecrofts Arbeiten.

Die Grenzen zwischen Malerei und Fotografie lotet Eva Schlegel aus, deren Siebdruck auf Blei wie Malerei wirkt. Ihre Arbeiten entstehen aus zufällig gefundenen Amateurfotos, die malerisch bearbeitet werden, bis der individuelle Pinselstrich schwindet und allgemein Gültigem Platz macht. Ebenso verfährt Schlegel mit Texten, die unscharf und unlesbar, aber noch als Text erkennbar sind. Endresultat ist meist malerische Fotografie. Umgekehrt sehen Gerhard Richters gemalte Wolken wie Fotos aus, auch Gottfried Helnweins "Kind" ist gemalt. Das scheinbar wirkliche, photorealistische Porträt hat eine so unheimliche Ausstrahlung, dass man an der eigenen Wahrnehmung zweifelt.

Die Nähe von Fotografie und Malerei beweisen die Fotos abbruchreifer Gebäude, die der Maler Sean Scully machte. Die Komplexität der menschlichen Psyche möchte John H. Silvis in seinen archetypischen, schwarz-weißen Fotos zu Mann/Frau, Mutter/Kind, Vater/Sohn abbilden. Dass es gelingt, beweist die Kraft des Mediums. "Rückblickend lässt sich vielleicht sagen, dass der langsame Übergang vom malerischen zum fotografischen das eigentliche Kunstereignis dieses Jahrhunderts war," meinte Boris Groys 1998. "Augenblick-Foto/Kunst" bestätigt das vollkommen.

Bis 30. Juni

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