Große Geschichte als dramatisierte Psychologie

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Christian Thielemann und die famosen Wiener Philharmoniker sind die umjubelten Stars der neuen Salzburger "Frau ohne Schatten“. Christof Loys detailreich angelegte Inszenierung hingegen polarisiert. Insbesondere das Schlussbild mit Österreich-Fahnen, Wiener Sängerknaben und Riesenchristbaum wirft etliche Fragen auf …

Noch waren beide mit "Ariadne auf Naxos“ beschäftigt, da schlug Hugo von Hofmannsthal Richard Strauss als nächste gemeinsame Oper ein "Zaubermärchen, worin zwei Männer und zwei Frauen einander gegenüberstehen“, vor. Zur "Zauberflöte“ sollte sie sich verhalten wie der "Rosenkavalier“ zum "Figaro“. Auch die "heroisch-seelenhafte Atmosphäre des ‚Fidelio‘“ (Hofmannsthal) sollte Eingang in dieses, um den Schatten - das alte Symbol der Fruchtbarkeit - kreisende Sujet finden.

Schwierig ließ sich die Arbeit an dieser "Frau ohne Schatten“ an, kompliziert gestaltete sich auch deren Rezeption. Clemens Krauss und vor allem Karl Böhm konnten diesen Strauss-Dreiakter schließlich durchsetzen - und Böhm überzeugte Mitte der fünfziger Jahre die Verantwortlichen seiner damaligen Plattenfirma DECCA zudem davon, "Die Frau ohne Schatten“ in den als ideales Plattenstudio bekannten Wiener Sofiensälen aufzunehmen. Entstanden ist eine Referenzaufnahme (die dann allerdings im Wiener Musikverein realisiert wurde).

Genau dort setzt in Salzburg Christof Loy mit seiner Inszenierung im Großen Festspielhaus an. Inspiriert durch die von Brecht und Anouilh bekannte Identität von Interpret und tatsächlicher Rolle präsentiert er im Großen Festspielhaus das Werk im Bild der historischen Sofiensäle als Aufnahmesitzung, gewissermaßen als konzertante Aufführung. Die Protagonisten in Alltagskleidung der 1950er Jahre singen ihre Partien meist mit den Noten in der Hand oder auf den Pulten. Wenigstens zu Beginn, denn nach und nach verschmelzen sie mit ihrer Rolle, machen die Beziehungen untereinander deutlich. Das Spiel wird dramatische Wirklichkeit.

Unvermeidliche NS-Bezüge

Loy erreicht dies durch minutiös mit Hofmannsthals Text synchronisierte Auf- und Abgänge, in die auch Aufnahmeleiter, Assistenten und Servicepersonal eingebunden sind, und eine aus dem jeweiligen Wortgehalt und der Musik präzise gewonnene Gestik der Protagonisten. Die Handlung wird auf die Psychologie der Darsteller reduziert.

Unbestritten fängt Loy mit seiner Sicht ein wesentliches Moment der Rezeptionsgeschichte dieser Oper ein. Das Märchenhafte, Geheimnisvolle, Mythologische des Stoffs aber bleibt ausgespart.

Problematisch die Finalpointe dieser ungestrichen gebotenen Aufführung: Anstelle beim detailreich durchgearbeiteten Konzept zu bleiben, konfrontiert die Regie in den plötzlich mit Staatsflaggen geschmückten Sofiensälen mit einem Weihnachtskonzert, bestritten von Wiener Sängerknaben gemeinsam mit dem nunmehr in Frack und Abendkleid auftretenden Kaiser- und Färberpaar. Ein ironischer Einwurf, dass Jubel nicht immer den Richtigen gilt? Schließlich zeigt Loy dieses Bild exakt zu Baraks Worten: "Nun will ich jubeln, wie keiner gejubelt“. Zudem deutete er in Interviews an, dass er mit seiner Arbeit auch daran erinnern wolle, dass die österreichische NSDAP in den Sofiensälen gegründet wurde. Entstanden ist die "Frau ohne Schatten“ freilich lange davor: zwischen 1911 und 1919.

Verständlich, dass Loy mit seiner Ideenwelt ziemlich polarisierte, wenngleich die Buh-Rufe bald von Jubel übertönt wurden. Der aber galt Christian Thielemann und den seine Intentionen mustergültig umsetzenden Wiener Philharmonikern. Kaum je hat man diese Strauss-Oper so transparent, in dieser klanglichen Farbenpracht, mit so ideal die Sänger tragenden Tempi in nie erlahmender Hochspannung musiziert gehört. Damit konnten die Sänger allerdings nur bedingt mithalten. Stephen Goulds Kaiser fehlte es mehrfach an Höhe und Kraft, sichtlich angestrengt Anne Schwanewilms als Kaiserin. Michaela Schusters Amme blieb mephistophelische Züge ziemlich schuldig. Wortdeutlichkeit und überbordende Lautstärke prägten die Färberin von Evelyn Herlitzius, untadelig Wolfgang Koch als Färber.

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