Großes Körperinteresse stillen

Werbung
Werbung
Werbung

dieFurche: Welche Motive verfolgen Sie mit der Ausstellung Körperwelten?

Gunther von Hagens: Zuallererst versuche ich, das große Interesse des medizinischen Laien am Körperinneren zu stillen. Das wurde erst mit der Plastination möglich, die es wie keine andere Methode erlaubt, den Körper ekelfrei, ja sogar ästhetisch, darzustellen. Junge Menschen bewegt dabei mehr, was der Mensch ist, nämlich ein Wunder der Schöpfung, ein Wunder der Evolution. Sie können sich selbst als das begreifen, was sie sind: Natur in einer technisierten Welt. Die Darstellung des schönen Körperinneren macht Körperemanzipation möglich. Das Körperinnere wird nicht mehr verdrängt mit unmittelbaren Auswirkungen auf das körperliche und seelische Selbstbewußtsein. Ältere Besucher hingegen wollen meist konkret wissen, wie die lebenswichtigen Organe und ihre Krankheiten aussehen. Gerade im direkten Vergleich erkennen sie, wie sich gesunde Lebensführung positiv auf das Leben auswirkt. Der medizinischen Fachwelt - immerhin ein Drittel der Besucher - kann ich die Vorteile der Plastination für Lehre und Forschung demonstrieren.

dieFurche: Um Anatomie zu vermitteln, bräuchten Sie die Plastinate nicht kunstvoll positionieren. Warum gibt es den Läufer, den Fechter und Schachspieler? Ist das nicht ein für Ihre Intention unnötiger Showeffekt?

von Hagens: Ganz im Gegenteil. Schon die Begründer der wissenschaftlichen Anatomie, wie Andreas Vesalius und Leonardo da Vinci haben den von ihnen präparierten Körpern Posen gegeben, und sie dadurch verlebendigt. Ich nutze die Pose in zweierlei Hinsicht: Zum einen verscheucht die Bewegungsillusion den lehrschädlichen Schauder des Todes, der starren Ganzkörperplastinaten anhaftet. Vor allem aber unterstützt die Pose die Instruktion. Wenn ich an den Extremitäten die Muskeln abklappe, dürfen sich Arme und Beine nicht verdecken. Der Fechter ist aufgeklappt, damit die Vorstellung, wie der Körper geschlossen aussieht bei der Betrachtung nicht verlorengeht. Eben dadurch ergibt sich die Position des Läufers. Die resultierende Gestalt des Körpers ist Folge meines instruktiven Bemühens. Aus 20-jähriger anatomischer Lehrtätigkeit weiß ich, daß nur die klare, schöne Präparation im Gedächtnis haften bleibt. Es ist doch so: Was man immer gesehen hat, das ist das Normale. Das Skelett stört keinen, man ist daran gewöhnt. Angeblich, weil es schon immer da war. Aber das stimmt eben nicht! Das Skelett war nicht immer da. In der Renaissance hat es Andreas Vesalius zum ersten Mal zusammengebaut.

dieFurche: Was entgegnen Sie der Kritik, Körperwelten würden den Tod zum Spektakel machen und damit religiöse Gefühle verletzen?

von Hagens: Ein Spektakel sind die Körperwelten notwendigerweise, weil sie neu sind. Rarität und Sensation bedingen sich hier gegenseitig. Mein Ziel ist es aber, das Körperinnere zu entspektakulieren, es normal werden zu lassen, daß Laien Plastinate jederzeit in Dauerausstellungen besuchen können. Unabhängige psychologische Untersuchungen zeigen, daß religiöse Besucher genauso wie nichtreligiöse von der Ausstellung angetan sind. Religiöse Menschen wenden sich sich sogar unverhältnismäßig häufig an mich, um den Wert der Ausstellung für ihren Glauben zu betonen. Personen des öffentlichen Lebens, die sich Ausstellung und Besucherreaktionen nicht ansehen, jedoch über Körperwelten vom grünen Tisch her urteilen, beeinflußen mein Handeln nicht. Besuchern der Ausstellung hingegen höre ich aufmerksam zu, lese alle Besucherbucheinträge und komme mehrheitlichen Wünschen gern nach. Beispielsweise was die Auswahl zukünftiger Plastinate oder geeignete Werbung betrifft.

dieFurche: Ein anderer Vorwurf lautet, daß Sie mehr das voyeuristische denn das wissenschaftliche Interesse der Besucher bedienen.

von Hagens: Unter Voyeurismus wird lexikalisch die sexuelle Erregung durch das Beobachten sexueller Handlungen anderer verstanden. Das unexakte Spiel mit Worten, trägt zu sachlich ungerechtfertigter Kritik bei. Da wird die Leiche dem Gestaltplastinat gleichgesetzt, obwohl sie sich durch wesentliche Eigenschaften wie Verwesung und erhaltene Personalität deutlich vom Plastinat abgrenzt. Skelett und Mumie sind auch keine Leichen, die beerdigt werden. Das heißt nicht, der plastinierte Körper wird damit zur beliebigen Sache degradiert. Im Gegenteil! Er ist Repräsentant gelebten Lebens, von neuer, anatomischer Individualität. Aber er ist nicht mehr Objekt von individueller Trauer und Mitgefühl. Die Ausstellung selbst ist keine Wissenschaft. Sie ist Aufklärung, Gesundheitsvorsorge, der ich mich als Arzt verpflichtet fühle. Die immer als "voyeuristisch" kritisierte Ästhetik von Gestaltplastinaten erlange ich durch präparatorische Kunstgriffe. Weil die Plastinate trocken und geruchlos sind, wird der ererbte und erlernte Ekel vor dem Körperäußeren und Körperinneren neutralisiert.

dieFurche: Auf Kritik aus kirchlichen Kreisen antworten Sie, das Christentum sei die präparationsfreundlichste Religion der Welt gewesen ...

von Hagens: Ja, weil es im Papstland Italien möglich war, den Leib zum ersten Mal für Wissenschaft und Lehre zu öffnen. Nicht die Kirche hat die Anatomie verboten, es wurden ja auch Päpste seziert. Die Mediziner behinderten damals den Fortschritt als sie das Überlieferte - etwa Galens Schriften - wichtiger nahmen, als was die Obduktion zeigte. Heute schieben Mediziner nur allzugerne der Kirche die Schuld für die späte Entwicklung der Anatomie in die Schuhe. Gerade Aristoteles' Dualismus von Leib und Seele, der sich im Christentum wiederfindet, ist weltanschauliche Grundlage für die Präparation des Menschen. Die Kirche ist doch bisher mit der Konservierung Sterblicher unbefangen umgegangen. Ich selbst habe vor fünfzehn Jahren das Fersenbein der Hl. Hildegard plastiniert, um es vor Verwesung zu bewahren. Die Kritik einzelner Kirchenvertreter an den Körperwelten folgt nicht guter kirchlicher Tradition. Sie sollten Zurückhaltung üben und auf ihre Gläubigen hören oder sagen: Gehet hin, damit ihr gewahr werdet der Wunder des menschlichen Leibes.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung