Güssing: energieautarkes Vorbild

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Die Gemeinde Güssing im Burgenland ist Modell, Vorbild und häufig besuchtes Studienobjekt. Der Ort ist dank neuer Technologien und Öko-Bewusstsein eine energieautarke Gemeinde.

Frederico Fellini wird der Ausspruch zugeschrieben, der einzig wahre Realist sei der Visionär. Der in diesem Gedanken verschlüsselt enthaltene Optimismus ist in vielen Konzepten der Umweltpolitik enthalten. Eine der edelsten Visionen in der Klimadebatte ist die Vision der völligen Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern: wenn die benötigten sauberen Energieformen nicht zugekauft, sondern aus eigenen Rohstoffen erzeugt werden könnten.

Dass dieser Traum der Energieautarkie zumindest in regionaler Größenordnung schon jetzt kein Hirngespinst mehr ist, beweist die Stadt Güssing. Die südburgenländische Gemeinde produziert aus nachwachsenden Rohstoffen mehr Strom und Wärme, als sie selbst verbraucht.

Den Startschuss für das vielbeachtete Modell setzte der Güssinger Gemeinderat 1990. Bereits 15 Jahre später war das Ziel erreicht. Dabei war die Ausgangslage alles andere als rosig. Durch die geografische Nähe zum Eisernen Vorhang litt die Region an schwacher Infrastruktur, hoher Abwanderungsrate und zu wenig Industrie. Seit damals konnten 1.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Mehr als 50 neue Betriebe haben sich in der Region angesiedelt. Gleichzeitig gelang es, die Kohlendioxid-Emissionen von 35.000 Tonnen (1995) auf 5000 Tonnen (2007) pro Jahr zu reduzieren. Musste Anfang der 90er Jahre fossile Energie für 36 Millionen Euro zugekauft werden, so kann sich die Stadt heute über eine Wertschöpfung von 13 Millionen Euro freuen.

Weltweit einzigartiges Biomasse-Kraftwerk

Einen wesentlichen Anteil an diesem Erfolg haben wegweisende neue Technologien. Den Startschuss gab im Jahr 2000 die Errichtung des damals weltweit einzigartigen Biomasse-Kraftwerks. Es basiert auf einem Wirbelschichtdampfverfahren. Dabei werden Hackschnitzel mittels Wasserdampf bei 850 Grad vergast. Dieses Gas ist stickstofffrei, teerarm und verfügt über einen hohen Heizwert. Das Gas wird anschließend gekühlt, gereinigt und danach einem Gasmotor zugeführt. Dieser wandelt die chemische Energie in elektrischen Strom um. Der Wirkungsgrad des Motors liegt zwischen 25 und 28 Prozent. Wesentliche Anteile der bei den einzelnen Prozessschritten entstehenden Wärme werden in das Fernwärmenetz eingespeist. Dadurch erhöht sich der Gesamtwirkungsgrades der Anlage auf mehr als 85 Prozent. Das Kraftwerk verfügt über acht Megawatt thermische und zwei Megawatt elektrische Leistung.

Ein weiterer Pfeiler der Güssinger Energieautarkie ist das Biomasse-Fernheizwerk. Es verbrennt jährlich zirka 4000 Tonnen Waldhackgut und Sägerestholz aus zwei Güssinger Parkettwerken. Zusätzlich erzeugt eine Photovoltaikanlage beim Technologiezentrum jährlich drei Megawattstunden Strom. Parallel zur Errichtung dieser und weiterer Produktionsanlagen hat die Gemeinde auch umfassende Energieeinsparungsmaßnahmen gesetzt. So wurde beispielsweise die vorhandene Straßenbeleuchtung durch eine effizientere ersetzt. Öffentliche Gebäude erhielten eine Wärmedämmung. Das solcherart realisierte Erfolgsmodell Güssing ist durchaus auf andere Standorte übertragbar. Dafür wurde 1996 das Europäische Zentrum für Erneuerbare Energie (EEE) gegründet. Es bietet als Dienstleister Energieentwicklungskonzepte für Gemeinden und Regionen an.

Synthetisches Erdgas aus Holz

Zwar hat jede Region ihre individuellen Vor- und Nachteile – so sind etwa nicht überall die gleichen Rohstoffe verfügbar. Das Grundprinzip der dezentralen, lokalen Energieerzeugung mittels erneuerbarer Ressourcen darf jedoch als universell umsetzbares Konzept verstanden werden. Güssing selbst hat noch viel vor. So soll das Konzept von der Gemeinde auf den umliegenden Bezirk ausgedehnt werden. Auch in der Forschung steckt noch Potenzial. Das Vergasungsverfahren des Biomasse-Kraftwerks kann nämlich dazu genutzt werden, um aus Holz synthetisches Erdgas (SNG) mit einem Methananteil von 98 Prozent herzustellen. An dieser Technologie arbeiten derzeit Wissenschaftler aus Österreich und der Schweiz. Das SNG könnte über das bestehende Erdgasnetz verteilt und für zahlreiche Anwendungen genutzt werden. Zum Beispiel zum Heizen, als Treibstoff für Autos oder in Gaskombikraftwerken. Man darf also noch mit einigen erfreulichen Meldungen aus dem Südburgenland rechnen.

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