Gute Geschäfte mit dem Ertrag des Wissens

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Mit fragwürdigen Praktiken schränken Fachverlage die Freiheit der Wissenschaft ein. Viele Forscher fordern daher alternative Publikationsmodelle wie Open-Access-Verlage.

In den Wissenschaften gilt das sozialdarwinistische Prinzip "Publish or Perish“ (dt. etwa: "Publiziere oder gehe unter“). Regelmäßige Veröffentlichungen in - renommierten - Fachmagazinen sind eine unverzichtbare Bedingung für die Karriere im wissenschaftlichen Betrieb. Zugleich sind Fachpublikationen das Instrument für freien Gedankenaustausch, gegenseitige Würdigung aber auch Kritik an Resultaten der Kollegenschaft. Damit bilden sie den Wesenskern wissenschaftlichen Fortschritts.

Das Prinzip wissenschaftlichen Publizierens folgt einem klaren Ablauf: Forscher schreiben einen Aufsatz und reichen diesen beim Magazin ihrer Wahl zur Veröffentlichung ein. Der Verlag gibt die Arbeit - anonymisiert - an Fachleute aus dem jeweiligen Gebiet zur Begutachtung weiter. Erfüllt sie die Qualitätsstandards, wird sie veröffentlicht. Dieses bewährte System ist als "Peer Reviewing“ jedem Doktoranden bekannt. Weltweit gibt es Zehntausende wissenschaftliche Journale. Das Geschäft mit Fachmagazinen liegt in der Hand einiger großer Verlage wie Elsevier, Springer, Wiley oder der Nature Publishing Group. Als Verwalter der globalen Wissensproduktion verfügen sie über eine enorme Marktmacht, die es ihnen bisher erlaubte, die Regeln zu diktieren. Doch damit soll jetzt Schluss sein.

1,3 Mrd. Gewinn lösten den Zorn aus

Das fordert eine wachsende Gruppe von Wissenschaftlern in der Online-Petition "The Cost of Knowledge“ (dt.: Die Kosten des Wissens). Ihr Zorn richtet sich gegen den Branchenriesen Elsevier, der etwa 7000 Magazine verlegt und 2010 einen Gewinn von umgerechnet 1,3 Milliarden Euro machte. Die Initiatoren der Petition fordern, künftig nicht mehr bei von Elsevier herausgegebenen Publikationen zu veröffentlichen und sich nicht als Gutachter zur Verfügung zu stellen. Unverblümt werfen sie dem Verlag unverschämtes Profitstreben vor, ohne eine entsprechende Gegenleistung zu erbringen.

Ihr Geld verdienen die Verlage mit Abonnements der Fachbibliotheken an Universitäten und Forschungseinrichtungen. Dafür bezahlen diese nicht wenig. An der größten medizinischen Fachbibliothek Österreichs etwa (MedUni Wien) fallen jährlich 1,7 Millionen Euro für Zeitschriftenabos an. Tendenz steigend. "Das Journal of Comparative Neurology verteuerte sich zwischen 1995 und 2005 um 136 Prozent“, rechnet Bruno Bauer, Leiter der Bibliothek der MedUni Wien vor. "Im gleichen Zeitraum stieg unser Etat nur um 19 Prozent.“ Viele Bibliotheken können es sich deshalb nicht mehr leisten, alle wichtigen Journale vorrätig zu haben. Der freie Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen gerät somit unter die Räder kapitalistischer Marktmechanismen.

Schon Mitte der 1990er-Jahre haben die großen Verlage eine clevere Geschäftsidee ersonnen: Sie bieten viele Magazine ausschließlich in "Bündeln“ an. Bibliotheken bekommen für einen Fixpreis also gleich mehrere Magazine im Paket. Darunter auch Ladenhüter, die gar nicht benötigt werden. Das teuerste Journal-Bündel bei Elsevier kostet 91.940 Euro pro Jahr und enthält 41 Zeitschriften. Das teuerste Einzeljournal kommt auf jährlich 21.440 Euro.

Kritisiert wird außerdem, dass die Leistung der Verlage vergleichsweise gering sei, sich im Wesentlichen auf die Organisation des Peer-Review-Verfahrens und Layoutierung der Artikel beschränke. Insbesondere da viele Zeitschriften nur mehr online angeboten werden, seien die realen Verlagskosten vernachlässigbar. "95 Prozent der Arbeit erledigen die Wissenschaftler selbst, indem sie Artikel schreiben oder als unbezahlte Gutachter andere Artikel beurteilen“, sagt Michael Nentwich, Leiter des Instituts für Technikfolgenabschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. "Beides gehört zum Job eines Wissenschaftlers und wird folglich bereits durch die öffentliche Hand finanziert.“

So entsteht die paradoxe Situation, dass ein letztlich vom Staat bezahlter Wissenschaftler einen Artikel publiziert, die Universität aber noch mal dafür berappen muss, den Artikel zu beziehen und nutzen zu dürfen. "Es ist nicht ganz fair, dass mit der aktuellen Kritik ausschließlich Elsevier als Feinbild aufgebaut wird. Denn andere Verlage betreiben dieselben Praktiken“, meint Falk Reckling, Leiter der Abteilung Strategie-Analyse des Wissenschaftsfonds FWF. "Es gibt ein Grundproblem im wissenschaftlichen Verlagswesen, das nach Alternativen verlangt.“

Ein solches, alternatives Publikationsmodell versuchen sogenannte Open-Access-Verlage seit Jahren aufzuziehen.

Die Grundidee von Open Access: Ein wissenschaftlicher Autor (beziehungsweise seine Institution) bezahlt dafür, dass er bei einem Fachmagazin publizieren darf. Damit kann der Verlag seine Kosten decken. Die Qualitätskontrolle mittels Gutachterverfahren kommt natürlich auch bei Open Access zur Anwendung. Der publizierte Artikel steht dann kostenfrei für jeden Interessierten im Internet zur Verfügung. Dass dieses Modell funktioniert, beweist etwa die Public Library of Science (PLoS), die derzeit sieben angesehene Open-Access-Magazine verlegt. Viele Fördereinrichtungen wie der heimische FWF, die deutsche DFG, aber auch wissenschaftliche Gesellschaften und Universitäten bekennen sich klar zum Open-Access-Gedanken. Sie übernehmen oft sogar die Kosten, die einem Autor bei der Publikation in Open-Access-Journalen entstehen.

Dieses Bekenntnis zu einer offenen, freien Wissenschaft beschäftigt in den USA derzeit das Repräsentantenhaus. Hintergrund: Die amerikanische Gesundheitsbehörde National Institutes of Health (NIH) fordert von Wissenschaftlern, dass von ihr finanzierte Forschungsarbeiten auf der öffentlichen Datenbank PubMed zugänglich gemacht werden. Dagegen läuft der von Lobbyisten der eingesessenen Verlage unterstützte Gesetzesentwurf "Research Works Act“ Sturm, der diese Praktik wieder aufheben soll. Pikanterweise soll eine Politikerin, die sich für das Gesetz besonders stark macht, in der Vergangenheit Spendengelder von Elsevier erhalten haben.

Transparente Preispolitik

Ein Publikationswesen nach der Logik des Open Access muss nicht notwendig billiger sein als das klassische Subskriptionsmodell. Im Gegenteil: Publikationsstarke Universitäten könnten sogar mit höheren Kosten rechnen. Andererseits ist die Preispolitik der Open-Access-Verlage im Unterschied zu Elsevier & Co. transparent, gibt Falk Reckling zu bedenken. "Das ermöglicht einen Wettbewerb der Journale, der den Preis senken könnte.“

So oder so: Befürworter des offenen Publizierens betonen den Wert von Wissen als öffentlichem, frei zugänglichem Gut, dessen Generierung der Steuerzahler erst ermöglicht hat.

Von heute auf morgen ändern wird sich das Verlagswesen wohl nicht. Vor allem junge Wissenschaftler sind darauf angewiesen, bei renommierten Fachmagazinen der großen Verlage zu veröffentlichen. "Aber wenn etablierte Wissenschaftler symbolisch vorangehen und sich für Open Access stark machen, könnte das etwas bewirken“, glaubt Michael Nentwich. Dies würde die Bedeutung der Open-Access-Journale in der Scientific Community stärken und langfristig dazu führen, dass wissenschaftliche Erkenntnisse nicht nur finanzstarken Universitäten, sondern grundsätzlich jedem Menschen zur Verfügung stehen. Dies wäre wesentliche Voraussetzung für eine Wissenschaft, die das Attribut "frei“ zu recht trägt.

Plagiate - Schattenseite der Wissenschaft

In dieser aktuellen Anthologie des LIT-Verlags beleuchten 14 Aufsätze das Phänomen akademischen Gedankenklaus in den unterschiedlichen Kontexten von Geschichte, Kultur und Gesellschaft. So führt Remigius Bunia das Plagiieren auf eine unselige Vermischung wissenschaftlicher Reputation und ökonomischen Vorteils zurück.

Abschreiben - auch in China

Zu Wort kommt auch der österreichische "Plagiatjäger“ Stefan Weber, der in gewohnter Unbarmherzigkeit die Diskrepanz zwischen dem theoretischen Anspruch an wissenschaftliche Redlichkeit und der gelebten Praxis des Vertuschens seitens der betroffenen Institutionen aufzeigt. Mit der besonders kniffligen Problematik von Plagiaten in Mathematik, bzw. Rechtswissenschaft beschäftigt sich jeweils ein Beitrag. Unbedingt empfehlenswert auch der Artikel über akademische Plagiate in China. Anspruchsvolle Lektüre, aber ein Muss für Freunde differenzierter Betrachtungen. (r. l.)

Plagiate - Gefahr für die Wissenschaft

Eine internationale Bestandsaufnahme

Von Thomas Rommel (Hg.), LIT-Verlag 2012

296 Seiten, br., e 29,90

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