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Abschieben: das heißt wegschieben, hinausschieben aus dem Rahmen und dem Blickfeld unserer Gesellschaft. Das klingt banal, hat aber entsetzliche praktische Folgen.

Unter all den Unworten der vergangenen Jahre sticht "Abschieben" besonders hervor. Es verspricht Problemlösung und schafft doch nur neue Probleme. Abgeschoben werden sollen Flüchtlinge von EU-Staat zu EU-Staat, bis sie sich wieder an einer EU-Außengrenze finden. Als im Meer Aufgesammelte sollen sie an Afrikas Küsten ausgeladen werden. Diskutiert werden Vorschläge, EU-Auffanglager in Nordafrika zu errichten -dabei haben diese Länder ihre Freiheit von europäischen Kolonialmächten gerade erst erreicht und wollen alles andere als deren Rückkehr. Im Gespräch sind gar "abgeschlossene Dörfer" in Afrika.

Abschieben: das heißt wegschieben, hinausschieben aus dem Rahmen und dem Blickfeld unserer Gesellschaft. Das klingt banal, hat aber entsetzliche praktische Folgen. Der beschämende EU-Abschiebehandel wird begleitet einerseits von erschreckender Empathielosigkeit und alarmierender Verrohung der Sprache. Es ist kaum mehr erträglich und sollte auch nicht ertragen werden, wie inzwischen bedenkenlos oder auch absichtlich abwertend über Menschen auf der Flucht gesprochen wird. Andererseits wird er assistiert von medialen Inszenierungen wie dem nun ausgerufenen Wettkampf zwischen Merkel und Seehofer, bei dem jeden Tag gefragt wird: Wer gewinnt? Als stünden wir in der Kampfarena.

Zwei Gesichter der Demokratien

Die Geschichte der modernen Demokratien habe zwei Gesichter, räumt der kamerunische Historiker Achille Mbembe mit dem Mythos auf, wir wären moralisch ach so integer. Die Tagseite zeigt zivilisatorische Entwicklung von Gesellschaften in Richtung Gleichheit, Freiheit und Solidarität - noch nicht erreicht, aber momentan (noch) Thema. Die Nachtseite verbirgt die Sklaven auf der Plantage. Demokratie und Plantage gingen Hand in Hand, Ausbeutung und Unterdrückung der einen ermöglichten Entwicklung der anderen. Vielleicht, mutmaßt Mbembe, haben vorgeblich friedliche Gemeinschaften immer schon irgendwo sichtbar oder unsichtbar ihre Sklaven oder Fremde ausgestoßen, ihnen den Anspruch auf die Rechte der eigenen Leute und diesbezüglich das Menschsein abgesprochen und sie womöglich sogar als überflüssig bezeichnet. Es sieht leider ganz danach aus.

Populistische Fokussierung

In den nächsten 40 Jahren werden aber vielleicht bis zu einer Milliarde Menschen zu "Displaced Persons", die nirgendwo hingehören und die auf keinen Ort legitimen Anspruch haben. Das stellte jedenfalls der französische Migrationsexperte Michel Agier fest. "Nach der Globalisierung der Kapital-,Waren-und Kommunikationsströme beginnt nun die Zeit der Globalisierung der Menschheit." Diese Bewegungen werden à la longue durch keine wo auch immer errichteten Grenzen aufgehalten und auch im Inneren einzelner Staaten stattfinden. Die populistische ausschließliche Fokussierung auf Grenzsicherung (samt der mit ihr einhergehenden Sortierung von Menschen) ist daher auch grob fahrlässig. Nicht einmal die zynischsten Abschreckungsmaßnahmen, wie sie etwa die USA praktizierten, als sie barbarisch Flüchtlinge von ihren Kindern trennten, werden Menschen davon abhalten, wenn sie Hunger haben und es nur irgendwie schaffen, sich in Bewegung zu setzen in der Hoffnung auf ein besseres Leben.

Es braucht globale Antworten. Die hört man kaum im Diskurs verantwortlicher Politiker. Integration müsste gewollt und engagiert gefördert werden, statt sie als gescheitert abzutun. Die Phrase "Hilfe vor Ort" wird mantraartig wiederholt und dabei immer hohler. Weder folgen konkrete Worte noch Taten, ganz im Gegenteil. Stichwort Entwicklungshilfe. Unterstützung der NGOs "vor Ort". Klimawandel. Ökonomie, die nach dem kolonialen Prinzip der Ausbeutung bluten lässt. Die Migrationsbewegungen entstanden nicht über Nacht, geschlafen wurde schon viel zu lange. Höchste Zeit aufzuwachen. Guten Morgen, EU!

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