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Roths "Radetzkymarsch" und Schnitzlers "Zwischenspiel" als Auftakte am Semmering.

Die Festspiele Reichenau feiern Riesenerfolge mit ihren nostalgischen Zeitreisen in die Monarchie und sind seit Monaten ausverkauft. In Österreichs bedeutendstem "Sommerfrische"-Ort, am Semmering, macht Joseph Roths "Radetzkymarsch" im Südbahnhotel den Auftakt. Helmut Peschina, bewährter Dramatisierer ("Schachnovelle", "Die Wolfshaut"), hat den Roman szenisch eingerichtet und seinen Fokus auf die Brüchigkeit der Epoche gelegt. Fein reguliert Peschina die komplexe Verbindung zwischen individueller und gesellschaftlicher Identitätssuche. Das Abbild des habsburgischen Mythos, das im Bild des "Helden von Solferino" konkret gemacht ist, hat Peschina für das atmosphärisch einnehmende Ambiente des Südbahnhotels fein geschliffen. Gleichzeitig lässt seine Bearbeitung auch so viel Interpretationsraum, dass Assoziationen zur aktuellen Frage nach Nationalität Platz haben.

Helmut Wiesner, der Ende Juni nach 25 Jahren die "Gruppe 80" schließen musste (das Theaterarchiv befindet sich nun in der Handschriftensammlung der Wiener Stadt- und Landesbibliothek), zeigt sich als detailverliebter Realismus-Regisseur.

Michael Dangl spielt bei ihm den kaisertreuen Enkel des Solferino-Helden. Zwischen idealisierter Vergangenheit und Aufbruchstimmung fungiert er als Katalysator einer Gesellschaft. Dangls Trotta hat nur wenig von der anziehenden Adoleszenz dieser oszillierenden Roth-Figur. Gesättigt reizt ihn allein die Zuneigung verheirateter Damen (Ulrike Beimpold). Daneben besticht Rainer Frieb als Graf Chojnicky - Star des Untergangs. André Pohl (Regimentsarzt Demant) ist die heimliche Hauptfigur. Dem Ehrenkodex verpflichtet, kostet ihn ein Duell das Leben. In eleganter Subtilität vermittelt Pohl die Krise der Zeit.

Wiesners Stärke sind feine Bilder. In Momenten wird die Inszenierung auch erfrischend komisch: etwa wenn Trotta beflissen versucht, Katharina zu widerstehen, indem er sich ganz auf den Trinkvorgang eines ihm dargebotenen Wassers konzentriert. Dann erzählt das Glucksen seines Kehlkopfs, dass er der Attraktion seines Gegenübers längst ausgeliefert ist.

Einen Tag später hatte Arthur Schnitzlers Ehestudie "Zwischenspiel" im Theater Reichenau (hundert Jahre nach der Uraufführung) Premiere.

Schnitzlers psychologischer Blick bleibt ganz bei den inneren Konflikten. Fast drei Stunden plaudern Kapellmeister Amadeus Adams (Jürgen Maurer) und seine Frau, die Opernsängerin Cäcilie (Regina Fritsch) - die sich in Bernd Birkhahns Inszenierung nobel Amadé und Cecily nennen -, über das Experiment der offenen Ehe.

Als Künstlerpaar an lange Phasen der Trennung gewöhnt, einigen sie sich auf eine "Neue Ehe". Dies war auch der Arbeitstitel von Schnitzlers dramatischem Versuch, die eigene Ehe zu verstehen. In der Figur des Albertus (gut: Christoph Gareisen) findet er selbst ein ironisiertes Alter Ego.

Ansonsten bleibt die Inszenierung blass. Wozu die ganze Aufregung, wenn sich Maurers gekünstelter Amadé leidenschaftslos mit der unbegabten Soubrette Friederike (allzu grell: Stefanie Dvorak) vergnügt, und die Beziehung zu Cecily so vertraut ist wie die zwischen zwei Eissorten im Tiefkühlfach. Fritsch bleibt glücklicherweise bei der Klarheit der Figur. Sie brilliert in dieser Inszenierung, die trotz zeitloser Problematik künstlerisch von gestern daherkommt.

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