Halter auf der Alm und Schriftsteller

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Seit 30 Jahren verbringt der schriftsteller bodo Hell den Sommer als Halter und Käseproduzent auf der Grafenbergalm im Dachsteinmassiv.

In der literarischen Avantgarde Österreichs führt an Bodo Hell kein Weg vorbei. Auf der Grafenbergalm, östlich des Dachsteingipfels, ist dies zwischen Anfang Juli und Ende September ebenso. Ob man die Wege aus dem Ennstal wählt oder sich von der Viehbergalm im Kemetgebirge nähert – auf der Alm trifft man auf einen Literaten, dessen schneller Schritt und Gewandtheit im unwegsamen Gelände sogar manch jungem Bergfex die Grenzen aufzeigen.

Bereits das 31. Jahr in Folge verbringt der 1943 in Salzburg geborene Schriftsteller seine Sommer als „Halter“ auf der Grafenbergalm. Hell studierte am Salzburger Mozarteum Orgel und in Wien Film und Fernsehen, Philosophie, Germanistik und Geschichte, ehe er sich entschied, sich ganz dem Schreiben zu widmen. Ein Schlüsselerlebnis dafür war der Rauriser Literaturpreis, den er 1972 erhielt. „Ich war ja damals nicht mehr ganz jung, es war aber eine Möglichkeit, das als reale Sache anzusehn,“ blickt Bodo Hell auf seine Anfangsjahre als Schriftsteller zurück. Dass diese Entscheidung kein Fehler war, zeigen nicht nur sein umfangreiches Werk, sondern auch weitere Auszeichnungen. Fragt man den Autor nach einer literarischen Leitfigur, dann nennt er ohne zu zögern Friederike Mayröcker im Bereich der Prosa und Ernst Jandl als Lyriker. Hell sieht sich aber als „faktenorientierter“ Autor. Sein Ziel sei es, sorgfältig recherchierte Fakten in einen Prosazusammenhang zu bringen. Sein Zugang zum eigenen Schaffen hat sich bis heute nicht geändert. Es ist das Verweben von Fakten mit sehr differenzierten sprachlichen Methoden. Diese reichen von der Litanei bis zu ausgefeilten Parenthesen, in denen es von Klammerausdrücken nur so wimmelt.

Nicht nur jener Zauberort

Bodo Hell arbeitet gerne mit Wissenschaftern zusammen, die seine Themen aus einem anderen Blickwinkel beleuchten, aber auch mit Künstlern, die nicht nur illustrieren, sondern ihren eigenen Weg gehen. Wer aber glaubt, Bodo Hell könne seine Zeit auf der Alm zum ungestörten Schreiben nützen, irrt. Die Alm ist für ihn nicht nur jener Zauberort, der als Inspirationsquelle gesehen wird. „Das ist es zwar zu einem Teil, ich möchte aber nicht, dass es darauf reduziert wird. Es ist ursprünglich ein Wirtschaftsraum. Da muss man schon die Wahrnehmung der Verlieblichung und Verharmlosung korrigieren.“

Seine Arbeit als „Halter“ ist hart und umfangreich. Er ist für das Vieh verantwortlich, das ihm von den Bauern beim Almauftrieb übergeben wird. Selbst der kürzeste Weg zur Grafenbergalm ist keine Kleinigkeit. Aber die Mühe lohnt sich. Den Besucher erwartet ein großzügiger, hügeliger Almboden, von dem man ein paar Riesen des Dachsteinmassives sieht. Pferde, Kühe und Ziegen haben hier ihre Weide. Schaut man durch das Fenster der Hütte ins Innere, sieht man auf dem Tisch fein-säuberlich Ziegenkäse in großen und kleinen Formen angeordnet. Bodo Hell stellt den Käse selbst her – mit der ihm eigenen Ernsthaftigkeit und Liebe zur Qualität.

Die Machtstrukturen zwischen den Almbauern sind oft ebenso hart wie die Lebensbedingungen bei Wind und Wetter. „Da musst du schon früh aufstehen, auf deiner Alm, weil die so frei daliegt, oben auf dem Stein (Dachstein), dort kommt die Sonne eher herauf und geht später unter als drunten im Tal, das bringt also einen längeren Arbeitstag mit sich“ (ein alter Ennstaler Bauer aus „Tracht : Pflicht“, Verlag Droschl).

Spricht man als „Einheimischer“ mit Bodo Hell über die Gegend, also über den Dachstein, verfällt man in Demut, weil seine Kenntnisse bis in die kleinsten Details reichen. Er ist ein völlig uneitler, angenehmer Gesprächspartner. Ein Interview wird zu einem Austausch von Sympathie und Wissen. Bei Bodo Hell stimmen die Ausdrücke, die Wörter. Es ist alles genau recherchiert und meistens auch selbst erlebt. Er ist ein Kenner, was das Almleben betrifft. Pflanzen und ihre Wirkung, Gesteinsformen, Flurnamen, handwerkliche Fähigkeiten, die heute keiner mehr kennt – sie alle sind dem sprachverliebten „Halter“ geläufig und manche seiner Schriften können für den Bergwanderer lebensrettend sein, weil sie mit Irrmeinungen aufräumen, die zu Unrecht als gute Ratschläge überliefert wurden. Typisch für seinen Zugang ist auch dabei die Verbindung zwischen einem historischen, persönlichen Schicksal und gültiger naturwissenschaftlicher Erkenntnis.

Von Heilpflanzen bis zu den Nothelfern

Unter dem Titel „Einschlägige Erfahrung“ schreibt er in seinem 2003 erschienenen Buch „Tracht : Pflicht“: „ – gedacht sei der weiland Michelbäuerin Maria Holzer, die am 30.8.1940, einige hundert Meter abwärts am Kampel auf der Rückkehr vom Schweinefüttern, einen eisernen Eimer in der Hand, vom Blitz getroffen wurde

wenn ich von einem Gewitter im Freien überrascht werde, ist es am besten, ich knie mich in einiger Entfernung von Bäumen, Sendemasten, Kirchtürmen, Häusern, Felsen etc. hin und beuge mich nach vorn über, um mich im Vergleich mit der Umgebung möglichst klein zu machen, oder ich flüchte, so in der Nähe vorhanden, in eine sogenannte Unterstandshütte

Eichen soll man weichen/vor Fichten soll man flüchten/ auch Weiden soll man meiden/doch Buchen soll man suchen/auch Linden soll man finden: eine lebensgefährliche Regel, denn es gibt keine blitzschützenden Baumarten.“

Seit Erscheinen dieses Buches hat Bodo Hell zahlreiche literarische Projekte abgeschlossen. In seinem Buch „Herbe Garbe, Weiberkittel“ beschreibt Hell die Wirkungen der Almpflanzen und die Hintergründe ihrer Namensgebung. Durch die Zusammenarbeit mit einer Volkskundlerin und einem Pharmakognosten, einem Spezialisten, der sich mit den Inhaltsstoffen von Heilpflanzen beschäftigt, hat es auch einen wissenschaftlichen Anspruch. Bodo Hell ist es darin einmal mehr gelungen, zusätzlich das umfangreiche Wissen der alten Sennerinnen zu recherchieren und einzubauen. Hells bei Droschl erschienenes Buch „Nothelfer“ zeugt von seinem Wissen über die 14 Nothelferinnen und Nothelfer, die in den meisten österreichischen Kirchen präsent sind und die er mit Hilfe verschiedenster literarischer Formen, etwa Merksprüche, Lieder, Litaneien, Redewendungen oder detailreiche Leidensgeschichten, vorstellt. Es wäre nicht Bodo Hell, hätte er dazu nicht auch Geschichten erfunden.

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