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Nun kommt Michael Hanekes Film "Liebe“ in die heimischen Kinos. Das altersweise Opus des Weltregisseurs aus Österreich hat es in sich: Empathie, zarte Töne, aber doch auch Chronik einer Unerbittlichkeit. Und die unnachahmliche Performance zweier alter Schauspieler.

Wir wissen, dass es so kommen wird. Natürlich kann das Schicksal früher zuschlagen und einen viel früher aus dem Leben reißen. Aber auch wenn man mit diesen Unwägbarkeiten des Lebens umzugehen gelernt hat, bleibt die Perspektive des Altwerdens. Des langsam Verlöschens. Des Hinübergehens nach Wer-weiß-wohin. Das ist kein Spaziergang, birgt Verwundungen des eigenen Ichs und desjenigen der anderen. Sterben ist die Gratwanderung zwischen Einsamkeit und Erlösung. Zwischen Bitternis und der Erinnerung an das, was war und was getragen hat. Sterben ist Ende, gewiss. Aber war da nicht auch einmal so etwas wie Liebe?

Der 70-jährige Michael Haneke, Österreichs Weltstar hinter der Filmkamera, beschenkt sich und sein Publikum mit einem Film, der so ganz anders als das zu sein scheint, was der Unerbittliche bislang abgeliefert hat. Liebe. Empathie. Zarte Töne. Eine Lebens-Elegie: All das ist in "Liebe“, dem Cannes-Gewinner 2012, hinein verpackt.

Das größte Thema der Existenz

Was Sie schon immer über Haneke wussten - vergessen Sie es: Die filmische Vivisektion von Opfern menschlicher Gewalt - etwa in "Funny Games“ (1997 und als US-Remake 2007) ging bei diesem Regisseur über jedes Maß hinaus. Die unzulässige Überschreitung des Zeigbaren schien als Markenzeichen des Filmemachers zu taugen.

Als sich Haneke nach solchen Exzessen dann auf die destruktive Seite der (protestantischen) Religiosität verlegte ("Das weiße Band“, 2008), reichte es bekanntlich zum ersten Mal für die Goldene Palme in Cannes. Doch wer - wie auch der Rezensent - glaubte, Haneke sei da im Zenit seiner Filmkunst angekommen, ahnte noch nicht, wie weit dieser Regisseur noch gehen konnte. Es kommt also "Liebe“ - und Haneke wächst noch einmal über sich hinaus. Und - kein Widerspruch dazu - er lässt sein Publikum einmal mehr allein, diesmal mit der Frage nach dem Ende.

In "Liebe“ wagt er sich vor allem an das größte Thema der Existenz: Es ist sicher kein Zufall, dass es der altersweise Haneke und nicht der Zyniker ist, der sich dessen annimmt. Abgesehen davon, dass auch "Liebe“ erneut ein Haneke’sches Vexierbild darstellt, das - je nach Betrachtungsweise - die Deutungsmöglichkeiten offenhält: War es nur ein Traum oder ein Alptraum? Ist die endgültige Vergänglichkeit nun Wirklichkeit, oder ist das Beschäftigen mit der Möglichkeit der endgültigen Vergänglichkeit die Voraussetzung, die noch verbleibende Zeit intensiv zu nutzen? Haneke ist und bleibt ein Meister, sich der Komplizenschaft des Publikums zu versichern.

Die Komplizenschaft des Publikums

Was aber eben bei "Funny Games“ völlig inakzeptabel war (als Zuschauer gezwungen zu werden, sich voyeuristisch an der Ausrottung einer Familie zu beteiligen), wird in "Liebe“ zur filmischen wie zur humanen Tat: Die Liebe, dieser Urgrund des Menschseins, bewährt sich nicht an den Sonnentagen des Lebens, sondern an den Rändern der Existenz und erst Recht im Angesicht des Todes. Das ist beileibe nichts Neues, sondern gar der Grundtenor aller Kunst. Aber es bedarf auch des beständigen künstlerischen Ringens und Anlaufs, um das alte Thema je aktuell werden zu lassen.

Man könnte meinen, einen Film einfach "Liebe“ zu nennen, wäre vermessen. Doch man stellt erstaunt fest, dass das im Titel hochtrabend klingende Unterfangen aufgeht. Die Goldene Palme in Cannes war kein Zufall, der Auslands-Oscar wäre es nicht minder. Man ahnt: Wie nie zuvor hätte sich Haneke auch diese Auszeichnung verdient. Wir werden sehen.

George und Anne sind ein Ehepaar in ihren Achtzigern. Die beiden pensionierten Musikpädagogen vermitteln viel von der Geborgenheit gemeinsamen Lebens. Einer trägt den anderen, wie es so schön heißt. Doch da schlägt das Leben zu: Anne hat kognitive Aussetzer, die Untersuchung der Halsschlagader lässt eine Operation ratsam erscheinen, doch Anne kehrt mit den Folgen eines Schlaganfalls aus dem Spital zurück. Ihre halbseitige Lähmung schreitet fort, sie verliert eine Körperfunktion nach der anderen, bis sie bettlägerig ist und gerade noch das Wort "schlimm“ oder etwas Ähnliches ausstoßen kann. Georges muss damit fertig werden, dass ihm seine Geliebte Schritt für Schritt entgleitet. Und Anne, die dieses Entgleiten bewusst miterlebt, kann sich nicht dagegen wehren. Dazu kommt Eva, die Tochter der beiden und ebenfalls Musikerin, die das fortschreitende Siechtum der Mutter nicht mitansehen kann und den Vater, der seine ganze schwindende Lebenskraft in die Pflege von Anne steckt, mit Vorwürfen quält.

Es ist und bleibt Liebe, was Haneke da zeigt. Und es ist die Liebe, die die normative Kraft des Faktischen hier in Frage stellt. Der Regisseur und Drehbuchautor betätigt sich einmal mehr als Chronist wie als nüchterner Beobachter dieses Verfalls. Aber man hat wohl bei Haneke noch nie so gesehen, wie er der im Filmtitel ausgesprochenen Möglichkeit namens Liebe eine Chance gibt.

Nochmals: Der Filmemacher überlässt dem Zuschauer die Deutung, ob das Gezeigte nur im Kopf (von George) oder in Wirklichkeit stattfindet. Und das ist gut so.

Jean-Louis Trintignant & Emmanuelle Riva

Der Film bringt so auf seine Weise die Debatten um ein Sterben in Würde ins Spiel und inkludiert auch Themen wie Sterbehilfe, ohne dabei eine klare Position zu vermitteln. Haneke selber hat sich ja in den Interviews zum Film (auch in der FURCHE, Nr. 21/2012) selbst nicht explizit festgelegt.

Zweifelsohne steht und fällt "Liebe“ aber mit der Besetzung. Hanekes Genius benötigte einmal mehr seine Entsprechung in den Darstellern. Dass in Cannes der Siegerfilm nicht ein weiteres Mal geehrt werden kann - etwa für die Schauspielleistungen - erwies sich als Wermutstropfen: Denn was Jean-Louis Trintignant als Georges und Emanuelle Riva als Anne da vorlegen, blieb im laufenden Filmjahr unerreicht. Die mimischen Nuancen, die sich der 81-jährige Trintignant bewahrt hat, sind ebenso sensationell wie die Performance der 85-jährigen Riva, die ja in der Rolle der nur mehr halb beweglichen und zunehmend sprechunfähigen Patientin wohl an die Grenzen ihrer Kräfte ging. Die beiden spielen sogar Hanekes Leibschauspielerin Isabelle Huppert an die Wand, die diesmal mit der Nebenrolle der Tochter Eva vorlieb nehmen muss.

Das Altwerden wie das Sterben mag zurzeit durchaus auch ein filmkünstlerisches Thema sein. Michael Haneke setzt dabei neue Maßstäbe. Weitere Steigerung scheint ausgeschlossen. Aber das haben wir ja bereits bei Hanekes vorletztem Opus - zu Unrecht, wie wir heute wissen - prognostiziert.

Liebe (Amour)

F/A/D 2012. Regie: Michael Haneke.

Mit Jean-Louis Trintignant, Emmanuelle Riva, Isabelle Huppert. Filmladen. 127 Min. Ab 21.9.

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