Hans Haselböck, der Vater

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Ein Porträt zum 80. Geburtstag des Organisten von seinem Sohn Martin Haselböck

Meine Söhne spielen auch Klavier, leider …“, soll ein bekannter Musiker über seinen Nachwuchs gesagt haben. Diese Abqualifikation war mir zu meinem Glück erspart geblieben, obwohl ich den für mich völlig logischen aber durchaus nicht originellen Entschluss gefasst hatte, die Orgel, das Instrument meines Vaters, auch zum Zentrum meines eigenen Musizierens zu machen.

Eigentlich hatte es an dieser Entscheidung seit einem Erweckungserlebnis durch die Musik Bachs im Alter von ungefähr acht Jahren nicht den geringsten Zweifel gegeben. Dennoch erschien mir der Weg meiner musikalischen Entwicklung gleichzeitig glasklar vorgezeichnet und auf seltsame Weise verschüttet: Das Vorbild war gegenwärtig und fast übermächtig: noch immer als beeindruckend im Gedächtnis die Kindheitserinnerungen an mystisch große Kirchenräume, in denen vom Vater wahre Klangtürme errichtet werden. Gespräche über Orgeldisposition und Orgelplanung waren alltäglich, obwohl auf geradezu vorbildliche Weise versucht wurde, Diskussionen und Anspannung des Berufs vom Familienalltag fernzuhalten.

Der Vater: Vom Vorbild …

Sorgfältig geplant wurde die musikalische Ausbildung der Kinder, wobei auch hier die familiäre Arbeitsteilung beibehalten wurde: die Animation, das Hintreiben der übe-faulen Kinder zum Instrument oblag der Mutter, während der Vater nie Lehrer, sondern eben Vorbild war.

Für den Heranwachsenden wurde das Vorbild bisweilen zum Reibebaum: Ja, man spielte Orgel, aber ganz anders, andere Werke und auch ohne die feste Bindung an Liturgie und Kirche, die für den Vater Zentrum des Musizierens war. Ja, man selbst oder auch der eigene Lehrer hatten durchaus andere Ansichten zur Interpretation eines bestimmten Werks, was dazu führen konnte, dass man noch am Abend nach einem Konzert zum Rapport befohlen wurde, um zu hören, dass man diese oder jene Toccata einfach nicht so spielen könne. Es dauerte doch einige Zeit, um zu verstehen, dass man das eigene Musizieren durchaus als Synthese dieser so divergierenden Meinungen gestalten konnte.

Nach der Matura riet der Lehrer zur ausschließlichen Konzentration auf die Musik, der Vater jedoch zu einem Zweitstudium an der Universität: Es wäre doch klar, dass man allein von der Musik nicht leben könne. Erst nach einigen Semestern des Studiums verstand ich, dass ich auch hier wieder der Ansicht des Vaters gefolgt war: Ein vollständiger Musiker könne eben nicht ohne einen universellen Geisteshorizont auskommen.

In einer Orgelwelt, deren österreichische Hauptvertreter sich in Stil- und Interpretationsfragen durch ein fast manichäisches Schwarz-Weiß-Denken auszeichneten, erschien mir mein Vater als Meister des besonnen abwägenden Urteils. Bewundert habe ich immer seine Fähigkeit, unterschiedlichste Stile in ihren eigenen Rahmen zu beurteilen, ohne ausgrenzen, abwerten oder beleidigen zu müssen. Noch heute sehe ich ihn als den geradezu idealen Juror: stilistische Phänomene in historische Abläufe einordnen zu können, in logischer Konsequenz Verknüpfungen herzustellen, Urteile in klare Worte zu fassen, ohne zu verstören und zu verletzen – diesen Fähigkeiten habe ich selbst immer nachgestrebt.

Das erste Dokument des gemeinsamen Musizierens mit dem Vater ist eine – inzwischen längst vergriffene – LP, die an den beiden Orgeln der Stiftskirche Ossiach aufgenommen wurde. Viele Jahre hindurch wurde gemeinsam konzertiert: Musik für zwei Orgeln, für Orgel und Cembalo, für Orgel zu vier Händen. Neue Stücke entstanden für das gemeinsame Spiel, beeindruckende Orgelanlagen in italienischen, spanischen, deutschen und österreichischen Kirchen wurden zum Klingen gebracht. Gemeinsame Improvisationen, Werke, die für ganz spezielle Räume und Gelegenheiten komponiert wurden, bildeten schöne Höhepunkte.

… zum Konzert-Partner

Heute lehre ich an jenem Hochschulinstitut, das von ihm mit aufgebaut und geprägt wurde, das er mit Erreichen der Altersgrenze ruhig und formlos verlassen hat und an dessen Entwicklung er bloß als interessierter Gast noch immer Anteil nimmt. Unser musikalischer Weg hat sich in unterschiedliche Wege entwickelt: Für ihn bleibt die Aufgabe des Kirchenmusikers, das musikalische Gestalten der Liturgie, das eigentliche, zentrale Anliegen, für mich hat die Arbeit als Dirigent und Konzertorganist die Kirchenmusik weitgehend zurückgedrängt.

Im Rückblick erscheint alles so einfach: die optimale Förderung der Kinder im Hinführen zur Musik, das Zulassen der ganz persönlichen Entwicklung der nächsten Generation, auch wenn deren Meinungen durchaus den eigenen widersprechen. Die strenge Kritik an der Arbeit, aber auch die neidlose Unterstützung der künstlerischen Entwicklung. Dass dies durchaus nicht selbstverständlich ist, zeigen die Probleme zahlreicher Künstlerkinder, die diese Förderung nicht erfahren durften. Ich konnte von dieser uneingeschränkten Unterstützung durch den Vater unendlich profitieren: Dafür werde ich immer dankbar sein.

Der Autor konzertiert weltweit als Orgelvirtuose wie als Dirigent.

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