"Happy-Aging statt Anti-Aging“

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Immer mehr ältere Menschen erkranken psychisch, aber nur wenige von ihnen werden psychotherapeutisch behandelt. Worunter alte Menschen leiden und wie ihnen geholfen werden kann.

Das Alter stellt die menschliche Psyche vor große Herausforderungen. Die Wiener Psychotherapeutin Johanna Franz beobachtet, dass immer mehr ältere Menschen zur Psychotherapie kommen.

Die Furche: Unter welchen psychischen Krankheiten leiden ältere Menschen?

Johanna Franz: Vor allem an Depressionen und Angststörungen. Etwa ein Drittel der Geriatrie-Patienten sind davon betroffen. Etwa die Hälfte von ihnen erfährt eine diagnostische Abklärung. Weniger als zehn Prozent der älteren Menschen mit psychischen Problemen erhalten eine nicht medikamentöse Therapie bzw. eine Psychotherapie. Dabei bräuchten gerade sie Gesprächspartner, um ihre Ängste äußern zu können.

Die Furche: Warum erkranken viele Menschen gerade im höheren Alter psychisch?

Franz: Das Alter bringt viele Veränderungen mit sich, sowohl im körperlichen Bereich als auch im sozialen Umfeld. Der Alterungsprozess beeinflusst das Selbstbild und das Erleben des eigenen Selbstwertes. Wenn Menschen spüren, dass ihre Leistungsfähigkeit nachlässt, sie immer stärker körperlich eingeschränkt sind, vielleicht sogar abhängig werden, ist das keine einfache Situation.

Die Furche: Heute sind ältere Menschen nicht mehr in die Großfamilie integriert, sondern leben oft allein oder im Pflegeheim.

Franz: Aus der neurobiologischen Forschung weiß man: Isolierung schwächt das Immunsystem. Das beste Medikament ist ein wohlwollendes Gegenüber. Ältere Menschen müssen sich von vielem verabschieden: den täglichen Kontakten am Arbeitsplatz, der körperlichen Unversehrtheit. Sie verlieren Eltern, Partner und Freunde durch den Tod, oft wohnen Kinder weit weg.

Die Furche: Im Jahr 2030 werden 67 Prozent der Bevölkerung über 60 sein. Andererseits bleiben die Leute immer länger jung.

Franz: Dass die Pension zunehmend später eintritt, ist in diesem Zusammenhang positiv zu bewerten. Denn ein befriedigendes Berufsfeld bietet dem Menschen Bestätigung. Pensionisten sind - sofern nicht alleinstehend - plötzlich ständig mit dem Partner konfrontiert. Diese Situation birgt viel Konfliktpotential, aber auch Chancen. Immerhin dauern Ehen heutzutage im Schnitt doppelt so lange wie noch vor 100 Jahren.

Die Furche: Wie reagieren Medizin und Psychologie auf den demografischen Wandel?

Franz: Es gibt bereits eine Geronto-Psychosomatik sowie Institute für Altersforschung. In der Schweiz entsteht gerade eine Facharztausbildung für Geriatrie. Aber Psychotherapie ist in der Geriatrie noch nicht etabliert. Die Furche: Wie unterscheidet sich bei älteren Menschen der Krankheitsverlauf?

Franz: Im Alter entwickeln sich psychische Krankheiten schleichender. Oft verstecken sich psychische Symptome hinter körperlichen Beschwerden. Die Patienten kommen nicht gleich mit einer massiven Depression in die Praxen, sondern klagen etwa über Gelenksprobleme oder Stoffwechselstörungen. Im Alter nimmt auch das Suizidrisiko zu.

Die Furche: Welche Erfahrungen haben Sie mit älteren Klienten gemacht?

Franz: Jene, die in die Psychotherapie kommen, sind sehr motiviert. Sie wollen noch etwas mit ihren verbleibenden Jahren anfangen. Gerade "jüngere Alte“ haben weniger Vorbehalte gegenüber der Psychotherapie. Wenn Leute selbst wollen, verbessert sich ihre Situation immer. Ältere Menschen haben Erfahrung im Umgang mit Krisen, können auf Bewältigungsstrategien zurückgreifen. Oft brauchen sie nur eine Ermutigung. Manchmal verlieben sich ältere Menschen während der Therapie, blühen auf, gehen wieder raus. Eine 70-jährige Klientin von mir hat ihre erste große Liebe gefunden.

Die Furche: Wozu raten Sie Angehörigen älterer Menschen, denen es nicht gut geht?

Franz: Sie sollen zuhören und Verständnis zeigen, anstatt Anweisungen oder Ratschläge zu geben. Bei Ängsten und Depressionen kann nur eine Therapie helfen. Vielen fällt es sehr schwer, den Verfall und die Schwäche der eigenen Eltern mitanzusehen.

Die Furche: Warum tut sich unsere Gesellschaft so schwer mit dem Alter?

Franz: Vielen ist die Konfrontation mit dem Alter unangenehm, weil sie an ihre eigene begrenzte Lebenszeit erinnert werden. Wir sollten uns trennen von einem "Defizit-Modell“ des Alters. Die Hirnforschung zeigt: Lernen findet lebenslang statt, aber dazu braucht es ein Gegenüber, einen Dialog, wie das auch beim kindlichen Lernen der Fall ist. Anti-Aging ist die falsche Politik. Happy-Aging müsste die Devise lauten.

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