Hart, einzelgängerisch, stoisch, Mörder

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Dem amerikanischen Traum von Selbstbestimmung und Freiheit und dem Mythos vom amerikanischen Wesen widmet sich T. C. Boyle in seinem gerade erschienenen Roman "Hart auf hart".

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Dem amerikanischen Traum von Selbstbestimmung und Freiheit und dem Mythos vom amerikanischen Wesen widmet sich T. C. Boyle in seinem gerade erschienenen Roman "Hart auf hart".

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Hufschmiedin Sara, unterwegs in ihrem eigenen Auto auf der kalifornischen Route 20. Sie hat ihren Sicherheitsgurt nicht angelegt und fährt ohne gültiges Nummernschild, denn immerhin ist sie "keine Untertanin, sie war eine souveräne Bürgerin, in Amerika geboren und aufgewachsen, und sie würde weder jetzt noch sonst irgendwann eine unrechtmäßige Autorität akzeptieren." Es kommt, wie es kommen muss: Die Polizei hält sie an, sie wird nach Führerschein, Zulassung und Versicherungsschein gefragt. "Ich habe keinen Vertrag mit Ihnen", sagt sie - und das wird ihr noch viel Ärger einbringen.

Saras Satz "Ich habe keinen Vertrag mit Ihnen" wirkt auf den ersten Blick ebenso verblüffend wie "cool", denn immerhin kennt man auch hierzulande Ärger auf Systeme und Zwänge, hat Erfahrungen mit Einschränkungen persönlicher Freiheit aufgrund staatlicher Gesetze. Bei näherem Hinsehen ist Saras Verhalten dann doch nicht so cool. Man kann diese und andere, ähnliche Szenen des neuen Romans von T. Coraghessan Boyle, "Hart auf hart", gar nicht lesen, ohne an die US-amerikanische Debatte um das Gesundheitssystem und Krankenversicherung für alle zu denken. Boyle selbst enthält sich jeder Wertung - er erzählt.

Aussteigerin Sara verkörpert die zugespitzte, nicht mehr ganz harmlose Variante des amerikanischen Traums von Selbstbestimmung, dessen Kampf um den eigenen Kopf bekanntlich selbst vor dem Helm nicht Halt macht. Denn einen erwachsenen amerikanischen Bürger zu verpflichten, einen Motorradhelm zu tragen, das geht manchen US-Bundesstaaten zu weit. So zugespitzt ist diese Figur der vierzigjährigen Sara dann also doch nicht, sondern ziemlich der Realität entnommen. Sie möge sich doch etwas anpassen, redet ihre Freundin auf sie ein, doch Sara sympathisiert sogar mit radikalen und gewalttätigen Elementen. Jemanden töten würde sie für ihre Überzeugung allerdings wohl nicht.

Ganz anders als der fünfzehn Jahre jüngere Adam, der Sohn des ehemaligen Schuldirektors Sten. Adam hat zwar weniger ideologische Überzeugung, dafür umso mehr die Geschichten über John Colter inhaliert. Um das Leben dieses 1774 geborenen und 1813 in Missouri gestorbenen Trappers ranken sich zahlreiche Legenden, die größte und wirksamste (und auch literarisierte) ist jene, die Colters Flucht vor den Blackfoot-Indianern erzählt: Tage lang habe er sich nur vom Wald ernährt, 500 km war er unterwegs. So ein Held will auch Adam sein. Sara, die ihn sexuell, aber auch mütterlich umsorgt, kann ihn nicht halten. Adam streift durch die Wälder, wo er sich einen Bunker gebaut hat und bald auf alles schießt, was Mensch ist. Denn der Andere ist ein Alien. Und er ist Colter.

Die Wut explodiert

Sara, die zunächst dachte, sie könnte sich mit Adam verbünden gegen den Rest der reglementierten Welt, merkt erst spät, dass diesem Jungen weder durch Suppe noch durch ihr Bett geholfen wird. Adam treibt keine Ideologie an, sondern eine innere Wut, der seine Eltern seit Jahren ohnmächtig gegenüberstehen. Dann nehmen sie ihm auch noch das, wo er annähernd zuhause war: das Haus der verstorbenen Großmutter. Da explodiert die Wut in ihm.

Das blutige Ende ist absehbar und trotzdem liest man weiter, weil es nicht nur um diesen Plot geht, sondern um eine Gesellschaft und darum, was sich vielleicht am besten mit jenem Motto von D. H. Lawrence (1885-1930) zusammenfassen lässt, das T. C. Boyle an den Anfang seines Romans gestellt hat: "Die amerikanische Seele ist ihrem Wesen nach hart, einzelgängerisch, stoisch und ein Mörder. Sie ist noch nicht geschmolzen". Zum Mythos der Selbstbestimmung gehört das Recht auf Waffen -die dann und wann von Heckenschützen verwendet werden. Auch das ist amerikanische Wirklichkeit.

Nicht alle Romane, die Boyle zuletzt vorgelegt hat, waren überzeugend, doch "Hart auf hart", der auf Deutsch sogar vor dem amerikanischen Original erschienen ist, beweist, dass auch gut erzählte und leicht lesbare Romane nicht banal sein müssen -und dass ein Ende mit Golfplatz und Art-déco-Servietten noch lange kein Happy End ist.

Der erste Teil - "Puerto Limón" - könnte auch als Erzählung für sich stehen. Carolee ist mit ihrem Mann Sten, dem pensionierten Schuldirekter, auf einem Kreuzfahrtschiff unterwegs. In Costa Rica kommt es bei einem Landausflug zu einem bewaffneten Überfall - Handys, Geld und Schmuck werden den geschockten Touristen abgenommen. Der Vietnamveteran Sten aber hat plötzlich einen der Täter im Griff. Wie Boyle erzählt, dass dieser Costa Ricaner auf einmal tot ist und was danach kommt, das reißt jene Abgründe auf, die Boyle schon in seinem großartigen Roman "América" (1995) gezeigt hat, einem Roman, der leider bisher auch nichts an Aktualität eingebüßt hat.

Hart auf Hart

Roman von T. C. Boyle. Übers. von Dirk van Gunsteren.

Hanser 2015.395 S., geb., € 13,60

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