Hat die EU eine Seele?

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Immer wieder wird in Leitartikeln und Sonntagsreden beklagt, die EU "habe keine Seele". In der Tat empfinden viele von uns, insbesondere jene, die gegen den Beitritt stimmten, die EU als einen undurchsichtigen Popanz, der den Himmel über uns verdunkelt und uns mit polypenhaften Fangarmen mehr wegnimmt als er uns gibt - wir sind doch Nettozahler, oder?

Die Gründungsidee ist heute vielfach vergessen oder verdrängt. Es war nach dem furchtbaren Erleben zweier Kriege, daß weitblickende Staatsmänner wie Konrad Adenauer, Alcide De Gasperi und Robert Schuman, einen neuen Weg suchten, das Ausbrechen eines dritten Weltkrieges in Europa zu verhindern, nämlich durch Unterstellung der Produktion von Kohle und Stahl unter eine zwischenstaatliche Behörde. Einige Jahre später ging man einen Schritt weiter: Im Rahmen einer "Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft" sollten die Mitgliedsländer untereinander wirtschaftlich maximal verflochten werden - wieder nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel zur Sicherung des Friedens. Die EWG entwickelte sich zur EG und diese zur Europäischen Union.

Und heute? Kleinliche nationale Egoismen überwuchern zunehmend das Gemeinsame. Natürlich sind wir dafür, daß die EU die Macht haben sollte, jedem Mitgliedsland jene Umwelt- und Sozialstandards vorzuschreiben, die wir für richtig erachten; aber bei der Anonymität der Sparbücher soll uns die EU nichts dreinreden dürfen. Durch diese anhaltenden nationalen Egoismen ist bisher auch keine so wirksame "Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik" (GASP) zustandegekommen, daß sie die Tragödien am Balkan hätte - vielleicht - verhindern können.

Erkennen wir denn wirklich nicht, daß unserer Generation die Gnade zuteil wird, an der Verwirklichung des "Traums vom Reich", einer Friedensordnung für ganz Europa, mitwirken zu dürfen - seit der Kaiserkrönung des Jahres 800 der sehnsüchtige Wunsch der Menschen (nicht immer auch der Regierungen) dieses Kontinents?

Die EU kann nur so viel Seele haben, wie die Mitgliedsländer, und wie wir alle durch unsere Gesinnung und Überzeugung, ihr zugestehen.

Der Autor ist Exekutivsekretär der Europäischen Seniorenunion.

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