Heikle Kühltherapie für die Atmosphäre

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Als letzter Ausweg beim Klimaschutz wird das "Geoengineering" diskutiert. Eine Option wäre ein Schutzschirm in der Erdatmosphäre, um die Sonneneinstrahlung zu reduzieren. Die Technologie ist extrem unsicher -aber ist es nötig, diese Idee dennoch zu verfolgen?

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Als letzter Ausweg beim Klimaschutz wird das "Geoengineering" diskutiert. Eine Option wäre ein Schutzschirm in der Erdatmosphäre, um die Sonneneinstrahlung zu reduzieren. Die Technologie ist extrem unsicher -aber ist es nötig, diese Idee dennoch zu verfolgen?

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Die Idee lieferte 1991 der Ausbruch des Vulkans Pinatubo auf den Philippinen. Die dabei in die Stratosphäre eingebrachten Schwefelpartikel sorgten nicht nur für spektakuläre Sonnenuntergänge, sondern ließen für einige Jahre auch den globalen Temperaturanstieg um ein halbes Grad einknicken. Warum nicht, wie vom Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen vorgeschlagen, diesen Effekt durch das Einbringen von künstlichen Teilchen in die Erdatmosphäre nachahmen und so das Klimaproblem kurieren?

Zu solchen Überlegungen motiviert das derzeitige Verständnis der Klimaforschung. Könnten wir schon morgen weltweit die Nutzung von fossiler Energie einstellen, dann würden noch über Jahrzehnte die globalen Temperaturen und der Meeresspiegel ansteigen. Soll bis 2100 die globale Erderwärmung auf zwei Grad beschränkt werden, dann reicht sogar der Ausstieg aus fossiler Energie nicht mehr aus. Gesucht wird deshalb nach so etwas wie einer Minustechnik, die unter der Bezeichnung "Geoengineering" firmiert. Dafür gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten.

Historisches Warnsignal

Die erste Option versucht tatsächlich, die Bilanz der Treibhausgase negativ werden zu lassen. Das erfordert, diese Gase, die etwa bei der Stahl-oder Zementproduktion anfallen, einzufangen und irgendwie zu verstauen: entweder in riesigen unterirdischen Speichern oder sogar in neuen Werkstoffen. Solche Versuche laufen. Allerdings sind sie von einer Realisierbarkeit, geschweige großtechnischen Umsetzung, weit entfernt.

Die zweite Option schlägt vor, in die Strahlungsbilanz der Erde einzugreifen. In der Erdatmosphäre soll gleichsam ein Schirm aufgespannt werden, damit weniger Sonnenstrahlen die Erdoberfläche erreichen und somit den Treibhauseffekt dämpfen. Das wäre durch Einbringung von Partikeln in die Erdatmosphäre grundsätzlich möglich. Ein solches solares Geoengineering ist aber nicht nur mit hohen Unsicherheiten und Risiken verbunden, es schafft auch eine Vielfalt neuer Probleme.

Die technische Umsetzung von solarem Geoengineering könnte durch Flugzeuge erfolgen, die in der Stratosphäre Schwefel verbrennen. Damit würde eine Reduktion der Sonneneinstrahlung erreicht werden, jedoch auf Kosten von möglichen Nebeneffekten, die von einer Schädigung der Ozonschicht bis zur radikalen Veränderung bei den Niederschlägen reichen können.

Wegen der Kurzlebigkeit der ausgesetzten Teilchen müsste diese Prozedur laufend fortgesetzt werden, möglicherweise über hunderte von Jahren. Die Nebeneffekte eines solchen Eingriffs in die Atmosphäre sind derzeit noch nicht abschätzbar -bedürften aber einer intensiven Forschungsanstrengung, will man eine Ablehnung nicht nur durch mangelndes Verstehen begründen. Erste Modellsimulationen deuten aber darauf hin, dass solares Geoengineering in Asien, Afrika und Südamerika zu schweren Dürrephänomenen führen und die Ernährung von Milliarden von Menschen beeinträchtigen könnte. Ein historisches Warnsignal ist der Ausbruch des Vulkans Tambora in Indonesien im Jahr 1815. Die damit verbundenen globalen Klimaveränderungen führten zur schlimmsten Hungersnot des 19. Jahrhunderts. Könnte die Aussicht auf solares Geoengineering zu fahrlässigem Verhalten in der Klimapolitik bei der Vermeidung von Treibhausgasen verleiten? Widmet etwa die Besatzung eines Schiffes der Navigation weniger Aufmerksamkeit, weil es im Fall einer Kollision ohnehin Rettungsboote gibt? Vermutlich wird die Schiffsführung wegen der vorhandenen Rettungsboote nicht beeinträchtigt, weil die Schiffsbesatzung die Folgen des Fehlverhaltens selbst zu tragen hätte. Im Falle der Klimapolitik könnte es bei den Verantwortlichen für klimarelevante Entscheidungen in Unternehmungen und Politik sehr wohl zu einer Ignoranz von Klimafolgen kommen.

Spuren zur fossilen Industrie

Mit dem Hinweis auf die ultimative Rettungsmöglichkeit mit Eingriffen in die solare Strahlungsbilanz würde versucht werden, die Vernachlässigung einer konstruktiven Klimapolitik zu rechtfertigen, deren künftige Folgen von den dafür Verantwortlichen nicht mehr zu tragen wären. Solche Abwehrstrategien sind auch tatsächlich feststellbar. Die Spuren der Proponenten für ein solares Geoengineering führen zu Institutionen, die den Klimawandel leugnen und zur fossilen Industrie. Der Ölmulti ExxonMobil unterstützt seit Jahren Geoengineering. Es überrascht nicht, dass diese Technologie unter Präsident Obama auf Distanz gehalten wurde, in der Trump-Administration jedoch auf großes Wohlwollen stößt.

Nicht abschätzbar sind auch die politischen Folgen. Die Technologie des solaren Geoengineerings ist relativ einfach und billig und deshalb auch von kleineren Staaten durchführbar. Die Wirkungen betreffen aber die gesamte Staatengemeinschaft. Das wäre somit ein typischer Fall für die Notwendigkeit einer gemeinsamen Vorgangsweise aller Staaten. Wie schwer so etwas zu erreichen ist, demonstrieren die Erfahrungen der letzten zwei Jahrzehnte.

Vorsichtige Experimente

Die Bilanz zu solarem Geoengineering ist somit ernüchternd: Veränderungen der globalen Strahlenbilanz wären mit heutigem Stand des Wissens völlig unverantwortlich und lösen nicht das zugrunde liegende Problem. Was aber könnte getan werden? Zwei Strategien bieten sich an: Forschungsstrategien für negative Treibhausgasemissionen sind als neue Aufgabe wahrzunehmen. Dabei verdient aber die Unterstützung der natürlichen Kohlenstoffkreisläufe Priorität. Das betrifft die Vermehrung statt der Reduktion der Waldflächen; eine Landwirtschaft, die Humusschichten vertieft statt reduziert; und einen sorgfältigeren Umgang mit den Meeren. Solares Geoengineering ist hinsichtlich seiner Wirkungen und Nebenwirkungen besser zu verstehen: Dafür sind vorsichtige Experimente zur Mikrophysik der Aerosole erforderlich. Die Harvard University plant mit einem Ballon in 20 Kilometern Höhe zuerst Wasser, dann Kalkstein und schließlich Sulfate auszubringen.

Für die aktuelle Klimapolitik ist eine integrative Strategie zu empfehlen. Das bedeutet einen Abschied von vielen einäugigen Empfehlungen -von der alleinigen Fixierung auf erneuerbare Energie bis zu den Verlockungen, nur auf die Karte des Geoengineering zu setzen. Ebenso den Umgang mit Energie und den damit verbundenen Lebens- und Wirtschaftsstil auf den Prüfstand zu stellen. Schon jetzt sind ohne das Risiko von Geoengineering viele im besten Sinne attraktive Kurskorrekturen erkennbar. Gebäude werden zur neuen Infrastruktur für das Energiesystem, weil sie mehr Energie bereitstellen können als sie selbst beanspruchen. Aufgrund neuer Kommunikationstechnologien wird für Mobilität nicht mehr immer eine Verkehrsbewegung erforderlich sein. Die sich abzeichnende Roboterisierung der Produktion, die neuen Werkstoffe, sowie die Trends zu Lokalisierung und Digitalisierung haben das Potenzial, Energie weitaus produktiver zu verwenden. Dann wird es auch viel leichter, den verbleibenden Energiebedarf durch erneuerbare Energien abzudecken.

Der Autor ist Professor am Wegener Center für Klima und Globalen Wandel an der Univ. Graz

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