Es gibt Abbildungen des Buddha, wo dieser ein, wie der Schriftsteller Hermann Hesse im Roman "Siddharta“ einprägsam beschrieb, "stilles, feines, tausendfältiges Lächeln“ zeigt. In den buddhistischen Traditionen wird der Buddha auch als "Arzt“ verehrt, der ein wirksames Heilmittel gegen das Leid und Ungenügen im menschlichen Dasein gefunden hat. Achtsamkeit wird im Kontext seiner Lehre seit mehr als zweieinhalbtausend Jahren praktiziert und gelehrt. Aber erst in den letzten Jahrzehnten werden die heilsamen Wirkungen dieser Geistesqualität auch wissenschaftlich erforscht - und dies mit steigendem Interesse.
Gerade in den letzten Jahren ist die Anzahl der wissenschaftlichen Publikationen zur Achtsamkeit exponentiell in die Höhe geschnellt, und im angloamerikanischen Raum wurde bereits das Feld der "kontemplativen Wissenschaft“ eröffnet. In der Medizin und Psychotherapie stieß das Thema auf besonders großes Interesse. Inwiefern kann das Lächeln des Buddha, losgelöst vom spirituellen Kontext, für konkrete therapeutische Anwendungen erschlossen werden?
Pionierarbeit für Achtsamkeit
Achtsamkeitsbasierte Therapieverfahren finden heute als komplementärmedizinische Anwendungen zunehmende Anerkennung. Wer Datenbanken klinischer Studien mit dem Suchbegriff "Achtsamkeit“ durchforstet, stößt auf eine Vielzahl unterschiedlichster Erkrankungen, Störungen und Patientengruppen, bei denen achtsamkeitsbasierte Verfahren positive Ergebnisse erbracht haben - vor allem im Hinblick auf eine bessere Stressbewältigung und Entspannungsfähigkeit, die Reduktion von Angst und Depressivität, einen besseren Umgang mit Schmerzsymptomen sowie eine Steigerung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität. Laut Andreas Remmel, ärztlicher Direktor des Psychosomatischen Zentrums Waldviertel (siehe auch Interview), kann Achtsamkeit in dreifacher Weise klinisch hilfreich sein: "Erstens als Grundhaltung und Einstellung von Ärzten und Therapeuten, zweitens als wirksames Verfahren zur Stressreduktion, und drittens als wichtige Voraussetzung und als Element psychotherapeutischer Verfahren und Interventionen.“
Die Entdeckung der Achtsamkeit im therapeutischen Feld geht maßgeblich zurück auf die Pionierarbeit des US-amerikanischen Molekularbiologen Jon Kabat-Zinn, der in den 1970er-Jahren an der Medizinischen Hochschule der Universität Massachusetts ein Programm zur "achtsamkeitsbasierten Stressreduktion“ (MBSR) entwickelt hat. Damals begannen buddhistische Meditationsformen in den USA Fuß zu fassen. Kabat-Zinn, der selbst langjährige Erfahrungen mit Yoga und buddhistischer Meditation gesammelt hatte, wollte die psychophysisch heilsamen Wirkungen der Achtsamkeit in einem ganz anderen Kontext einfließen lassen, und zwar dort, wo er besonders großen Bedarf danach verortete: bei Patienten im Krankenhaus. Als er die Krankenhausadministration in Massachusetts davon überzeugen konnte, Schmerzpatienten ergänzend zur regulären Behandlung auch ein Achtsamkeitstraining anzubieten, wurde der Grundstein für die erste "Klinik für Stressreduktion“ gelegt - und in weiterer Folge auch für den aktuellen "Achtsamkeitsboom“.
Mitgefühl statt Selbstkritik
Ausgehend vom MBSR-Programm kombinierten Wissenschafter das Achtsamkeitstraining mit Methoden der Verhaltenstherapie, um in der Langzeitbetreuung depressiver Patienten Rückfälle zu verhindern. Die Wirksamkeit dieser "achtsamkeitsbasierten kognitiven Therapie“ (MBCT) konnte bei den am meisten gefährdeten Patienten unter Beweis gestellt werden, betont das Zentrum für Achtsamkeit der Universität Oxford im Internet. Derzeit werden weitere Anwendungen von MBCT untersucht, und mittlerweile setzt auch eine Vielzahl weiterer Therapieprogramme auf das Prinzip Achtsamkeit: etwa die achtsamkeitsbasierte Rückfallprävention (MBRP) für Suchterkrankungen, die dialektisch-behaviorale Therapie (DBT) für Borderline-Störungen oder das MB-EAT-Programm für Essstörungen (MB-EAT).
Achtsamkeit kann therapeutische Prozesse generell erleichtern: Aus der Psychotherapie-Forschung ist bekannt, dass die therapeutische Wirksamkeit weniger auf spezifische Techniken, sondern viel stärker auf die Person des Behandlers, das heißt seine Präsenz, Klarheit und Zugewandtheit, zurückzuführen ist. Bei den Patienten wiederum können implizite Qualitäten der Achtsamkeit wie Akzeptanz und Selbstachtung wesentlich dazu beitragen, eine heilsamere Einstellung zu chronischen Krankheiten zu finden.
"Im klinischen Verständnis von Achtsamkeit ist die Betonung von Selbst-Mitgefühl sehr hilfreich“, erläutert Remmel. "Menschen lernen, ihre oft enorm selbstkritische Haltung durch eine wohlwollendere Einstellung zu sich selbst und anderen zu ersetzen.“ Durch Achtsamkeitstraining entsteht die Fähigkeit, von quälenden Grübeleien und Emotionen Abstand zu nehmen. Zugleich können die Patienten erfahren, dass sie dem Krankheitserleben nicht machtlos ausgesetzt sind.
Aktuelle Herausforderungen
"Achtsamkeit kann bewirken, dass die Betroffenen ihre Leidenszustände als grundsätzlich veränderbare und sich verändernde Phänomene erkennen. Und sie können lernen, Einschränkungen zu akzeptieren, die unabänderlich sind, und diese dennoch in ihr Leben zu integrieren“, so Remmel.
Die Verbreitung achtsamkeitsbasierter Therapien geht aber auch einher mit Herausforderungen, die bislang wenig zur Sprache kommen. Dazu zählen Fragen der Ausbildung und Qualitätssicherung ebenso wie die Vorsicht vor einer von wirtschaftlichen Interessen geleiteten Vereinnahmung des Begriffs. Noch grundlegender ist die notwendige Reflexion der säkularen und transkulturellen Übersetzungen von Achtsamkeit. Denn im Kontext der buddhistischen Weisheitslehre ist "rechte Achtsamkeit“ kein isoliertes geistiges Phänomen, sondern eines von acht Gliedern eines integralen "Achtfachen Pfades“, die wechselseitig aufeinander bezogen sind - und insofern nur über ihr Zusammenwirken verständlich werden.
Die Weiterentwicklung achtsamkeitsbasierter Anwendungen in Medizin und Psychotherapie bedarf somit vielseitiger Kompetenzen: Besonders hilfreich ist die Expertise jener Personen, die sowohl mit der klinisch-therapeutischen Praxis als auch mit dem tiefgründigen Lächeln des Buddha vertraut sind.