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Zum 150. Todestag von Joseph von Eichendorff am 26. November.

Ewig's Träumen von den Fernen!" So beginnt schon ein Gedicht des 22-jährigen Joseph von Eichendorff, und dieses Träumen hat er in seiner Poesie genial einfach instrumentiert. Am erfolgreichsten wohl in seinem Roman "Aus dem Leben eines Taugenichts", der ein Italien imaginiert, das der Autor nie zu Gesicht bekam. Eine Reise dorthin konnte sich der Familienvater und preußische Beamte nicht leisten. "Ach wer da mitreisen könnte / In der prächtigen Sommernacht!" heißt es in seinem bekannten Gedicht "Sehnsucht", dessen Beginn lautet: "Es schienen so golden die Sterne, / Am Fenster ich einsam stand".

Aus dieser Fenster-Perspektive sind viele seiner Gedichte geschrieben: vom geschützten Innenraum aus richtet sich der Blick durch eine Schwelle oder ein Fenster auf die Traum- und Sehnsuchtslandschaft. Diese ist oft mehr stereotyp, ja geradezu formelhaft angedeutet als wirklich geschildert: Sterne, Nacht, Wald, Stille - Eichendorff kommt mit einem kleinen Vorrat an Wörtern und Situationen aus, und er braucht nur wenige Eigenschaftswörter. Dass seine Gedichte dennoch nicht schablonenhaft wirken, sondern ihre Leser ergreifen und involvieren, liegt gerade an diesen Leerstellen, die jeder mit seinen Bildern füllen kann.

Faszinierende Leerstellen

Möglich ist das gerade dadurch, weil sich Eichendorff mit den eigenen Bildern zurückgehalten hat. Aus seiner Poesie erfährt man gerade nicht, wer er war. Die faszinierend vielschichtige Biografie von Hartwig Schultz ist gerade deswegen so gelungen, weil sie Eichendorffs Leben weder in die Gedichte hinein interpretiert noch aus ihnen herauszulesen versucht. Sie beginnt mit Eichendorffs autobiografischen Schriften, allen voran der Schilderung der Geburt, die den Anfang von Goethes "Dichtung und Wahrheit" parodiert. Selbststilisierung war Eichendorffs Sache nicht, und so ist von seinen spät begonnenen autobiografischen Ansätzen nur Weniges fertig geworden. Daher erfährt man auch auf dieser Schiene nicht viel vom Menschen hinter dem Dichter.

Vieles hat erst die Forschung des 20. Jahrhunderts zutage gefördert: Vor allem die Details der desaströsen wirtschaftlichen Umstände, die Eichendorffs Vater Monate lang vor seinen Gläubigern fliehen ließen und die schließlich zur Zwangsversteigerung von Schloss Lubowitz nach dem Tod der Mutter im Jahr 1822 führten. Auf diesem in Schlesien (heute in Polen) gelegenen Familienbesitz wurde Eichendorff am 10. März 1788 geboren, hier verlebte er sorglose Kinderjahre eines Landadeligen, bevor er zur Schule nach Breslau und dann zum Studium nach Halle, Heidelberg und Wien ging. Das verlorene Lubowitz ist Angelpunkt der imaginierten Schlösser und Waldlandschaften in seinen Gedichten.

Das Schloss in Schlesien

15 Jahre war Eichendorff alt, als in den "Schlesischen Provinzblättern" sein erstes Gedicht erschien. Und etwa 22, als er mit "Waldgespräch" eines seiner abgründigsten poetischen Werke schuf. Vor Heine greift er die romantische Kunstsage von der Lorelay auf und "verlegt" sie in den Wald. Als Hexe erscheint sie dem von ihr "verzauberten" Mann aber erst, als sie sich von ihm nicht zur Braut machen lassen will. In ihrem Schlusswort paraphrasiert sie ironisch seine Eingangsworte: "Es ist schon spät, es ist schon kalt, / Kommst nimmermehr aus diesem Wald."

Dieses Gedicht weiß wahrscheinlich mehr vom epochentypischen Frauenbild und auch von Eichendorffs Verhältnis zum Eros als er selbst. Domestizierung zur Braut oder Dämonisierung als Hexe - in diese Alternative scheint er Frauen gedrängt zu haben, vor allem, als er in Wien neben seiner Verlobung Parallelbeziehungen unterhielt. Spuren dieser Verhältnisse finden sich, soweit sie nicht später von seinem Sohn Hermann getilgt wurden, in seinen Tagebüchern. Diese sind freilich, nicht zuletzt aufgrund der vielen Einsprengsel der damaligen Studentensprache, kaum ohne Kommentar zu lesen und nur in der sechsbändigen Gesamtausgabe zugänglich. Die Biografie ihres Mitherausgebers Hartwig Schultz hat diese Tagebücher ebenso im Blick wie die Forschungsliteratur, aber auch den Kontext der Zeit und besticht immer wieder auch mit Werkinterpretationen.

Veronika Beci, eine allzu versierte Biografin, die ihre Bücher nahezu im Jahresrhythmus vorlegt und gelegentlich in den Tonfall einer munteren Plaudertasche verfällt, hat eine vergleichsweise simple Eichendorff-Biografie vorgelegt, aus der man zum Beispiel erfährt, dass der Dichter als Kind von den Seinen Seppl genannt wurde oder wann er vermutlich seine erste sexuelle Begegnung hatte: als Sechzehnjähriger; ziemlich früh für einen so aufrechten Katholiken, aber wie gesagt: Frau Beci kann da ja nur vermuten.

Eichendorff war der einzige deutsche Romantiker katholischer Herkunft und hat das vor allem im Alter auch reflektiert. Politisch kann man an Eichendorffs Katholizismus kritisieren, was am konservativen Katholizismus bis heute irritiert: Der Verweis auf Gott ersetzt politische Analysen, die Ursachen sozialer Probleme werden nicht erkannt - man sehe sich nur Eichendorffs Blick auf die Unterschicht an. Zudem ist er - was seine eigene Lebensgeschichte wie die gesellschaftliche Entwicklung betrifft - an der "guten alten Zeit" orientiert. Und doch: Gerade Karl Gutzkow, ein Vertreter der revolutionär gesinnten Jungdeutschen, hat ihm attestiert: "Von allen alten guten Zeiten, die die Leute im Munde führen, ist Eichendorff's vielleicht die unschuldigste."

Poetischer Katholizismus

Poetisch vermag sein Katholizismus schon deshalb zu faszinieren, weil er keine unbedarften Kirchengesänge oder dürren Tugendromane gebiert, sondern sehr "weltliche" Gebete mit einer subtil eingesetzten Natursymbolik. Und vielleicht ist ja der Katholizismus nie mehr so poetisch gewesen wie bei Eichendorf.

Auch sein berühmtestes Gedicht hat er unter die geistlichen Lieder eingereiht: "Mondnacht". Dieses Gedicht, das als eines der schönsten in deutscher Sprache gilt und für Thomas Mann "die Perle der Perlen" war, hängt am seidenen Faden des Konjunktivs seiner ersten Strophe: "Es war als hätt' der Himmel / Die Erde still geküßt … Plump und kitschig wäre es, diese Vereinigung im Indikativ Realität werden zu lassen, und Adorno hat dem Dichter für diesen Konjunktiv zurecht "metaphysischen Takt" bescheinigt. Der Indikativ setzt erst mit der zweiten Strophe ein, die ein einfaches Naturbild schildert ("Die Luft ging durch die Felder / Die Ähren wogten sacht …"), das geradezu banal wäre ohne den Rahmen, in den es gespannt ist.

Die dritte Strophe erst spricht die Reaktion des Sprechers auf die Natur an: "Und meine Seele spannte / Weit ihre Flügel aus ..." Aber gerade bevor es kitschig wird, schwenkt das Gedicht wieder ein in die Möglichkeitsform: die Seele fliegt, "Als flöge sie nach Haus." Nach Haus, das ist bei Eichendorff ohne Zweifel der christliche Himmel, er sagt es nur nicht so aufdringlich konventionell. Und hat damit den alten Mythos der Vereinigung von Himmel und Erde, von Uranos und Gaia, der beim Anfang des Gedichtes Pate steht, in einen christlichen Kontext transponiert. Vieles überlagert sich in der genial kalkulierten Einfachheit (sie hat viele Vorstufen!) dieser drei Strophen.

Von Eichendorffs Reflexionen über den Katholizismus kann man eine auch noch in heutiger Terminologie formulieren: Kann Kunst sich der Elemente einer Religion beliebig bedienen, oder muss sie deren Bedeutung im ursprünglichen Kontext respektieren? "Nur derjenige kann ein Künstler sein, welcher eine eigene Religion, eine originelle Ansicht des Unendlichen hat", war Friedrich Schlegel überzeugt. Dagegen steht Eichendorffs Warnung vor Subjektivismus und poetischer Willkür: "Denn wer hochmütig oder schlau die ewigen Wahrheiten und Geheimnisse als beliebigen Dichtungsstoff zu überschauen vermeint, wer die Religion, die nicht dem Glauben, dem Verstande oder der Poesie allein, sondern allen dreien, dem ganzen Menschen angehört, bloß mit der Phantasie in ihren einzelnen Schönheiten willkürlich zusammenrafft, der wird zuletzt eben so gern an den griechischen Olymp, als an das Christentum glauben und eins mit dem andern verwechseln und versetzen, bis der ganze Himmel öde und leer wird."

Der Traum vom Anderssein

Wohlgemerkt: Der Rationalitätskritiker in katholischer Tradition, der Eichendorff nun einmal ist, argumentiert hier nicht, dass die Inhalte einer Religion unantastbar sind, sondern für ein Zusammenwirken von religiösem Glauben, rationalem Denken und poetischer Bildlichkeit. Wahrscheinlich kann sich heute kein Künstler, der religiöse Motive gestaltet, mehr an dieser Harmonie orientieren, aber eines fällt doch auf: Der traditionelle Eichendorff argumentiert überlegter und genauer als viele Glaubenshüter bis heute.

Eichendorffs Poesie "ist wie ein halbwacher Traum vom Anderssein" schrieb der DDR-Germanist Claus Träger 1980. Dieser Traum machte den "Taugenichts" ab 1826 zum großen Erfolg. Dennoch war Eichendorff gegen Ende seines Lebens fast vergessen. "Weißt Du, daß der Mann noch lebt?" schrieb Otto von Bismarck am 17. 3. 1851 entgeistert an seine Frau. Aber Politiker haben von den Poeten eben schon damals wenig gewusst.

Buchtipps:

JOSEPH VON EICHENDORFF.

Biographie. Von Hartwig Schultz.

Insel Verlag, Frankfurt am Main 2007. 364 S., geb., € 23,50

JOSEPH VON EICHENDORFF.

Biographie. Von Veronika Beci.

Artemis & Winkler/Patmos Verlag, Düsseldorf 2007. 220 S., geb., € 25,60

Werke von Joseph von Eichendorff

im Deutschen Klassiker Verlag:

SÄMTLICHE GEDICHTE. Hg v. Hartwig Schultz. 1290 S., brosch., € 18,50

AHNUNG UND GEGENWART.

Sämtliche Erzählungen I. 840 S., € 15,50

DICHTER UND IHRE GESELLEN.

Sämtliche Erzählungen II. 904 S.,€ 12,90

Beide hg. v. Wolfgang Frühwald und Brigitte Schillbach.

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