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Vier Ausstellungen zur Ästhetik der Alltagskultur.

Spätestens seit der durchaus missverständlichen Äußerung vom Künstlerschamanen Josef Beuys, dass alle Menschen Künstler seien, bröckelt so manche gewohnte Begrifflichkeit mehr und mehr ab. Die feine Unterscheidung zwischen Kultur als eine allgemeine gestalterische Tätigkeit des Menschen und Kunst als eine spezifische Ausführung durch ein mehr oder minder vorhandenes Genie wurde nicht zuletzt durch die Künstlergenies selbst desavouiert. Längst bieten sie dem Kunstmarkt nicht mehr ausschließlich die Erhabenheit wertvoll ausgeführter Kunstwerke an; und längst haben Alltagsgegenstände mit ihrem besonderen Design die Schwellen der Museen überschritten. Man mag das gut oder schlecht finden, man mag dennoch oder gerade deswegen genaue begriffliche Klarheit einfordern - den "neuen" Blick auf den Wert von Objekten der Alltagskultur kann und soll man allemal wagen. Vier aktuelle Ausstellungen bieten dazu hervorragende Gelegenheit.

Das Historische Museum der Stadt Wien zeigt den fotografischen Blick von Petra Rainer auf die Lebenswelt von Kaufleuten, die in ihren zumeist um die hundert Jahre alten und in Familienbesitz befindlichen Geschäften ein Mosaiksteinchen traditioneller Wiener Kultur repräsentieren. Sie haben sich ihren Nischenplatz erobert, der Hutsalon, die Milchfrau, der Wirkwarenhändler, der Juwelier, die Knopfkönigin oder auch die Greißlerei. Sie kennen ihre Kundschaft, haben ihr Sortiment und ihre Dienstleistungen auf diese abgestimmt und wissen auch von deren Problemen. Leopoldine Höllriegl, 79-jährige Kauffrau für Haushaltswaren meint: "Wir Kaufleute sind wie Schwämme, wir saugen alles auf. Meistens kann man gar nichts tun. Aber reden tut uns Menschen wohl." Viele alte Gesichter begegnen auf diesen Fotografien, und bei den Adressangaben zahlreicher Geschäfte findet man "Bereits geschlossen" vermerkt. Ein traditionell-melancholischer Blick, geschaffen in und für Wien.

Blick in Lebenswelten

Im Wiener Volkskundemuseum steht alles auf Messers Schneide. Eine Zusammenstellung der im Museum befindlichen Sammelstücke, ergänzt mit einigen Leihgaben, bietet in einer wunderbar präsentierten Schau einen Überblick über Aussehen und Verwendung unterschiedlichster Messer seit der Steinzeit. Dicke und dünne, lange und kurze, gerade und krumme, und noch andere Formen sind hier versammelt. Dennoch fällt auf, dass sich sehr bald die Grundform dessen, was man sich unter dem Begriff Messer vorstellt, herausgebildet hat und spätere Entwicklungen hier nur mehr marginal eingriffen. Aber eben auch für das Messer gilt, dass alles, was es immer schon gab, immer schon etwas anders war.

Das Messer wird in dieser Ausstellung als Gebrauchsgegenstand und nicht als Waffe unter die Lupe genommen - auch wenn man an einem Objekt die Gradwanderung erkennt: ein normales Küchenmesser wurde zum Mordinstrument. Insgesamt begegnet das Messer als Universalwerkzeug, als Standeszeichen, als Tischgerät, als Andenken, als Zaubermittel, als Tauschutensil, als Nationalsymbol, vor allem aber als ein Objekt mit unzähligen gestalterischen Möglichkeiten.

Ganz anderen Objekten wendet sich Vladimir Arkhipov in seinem "Museum der selbstgemachten Dinge" zu. Es sind samt und sonders nützliche Gegenstände für die Alltagsarbeit, die von Menschen aus verwertbaren Resten zusammengebaut wurden. Als funktional überzeugende Artefakte, die den Mangel des nachkommunistischen Russland dokumentieren, zeigen sie aber auch eine eigenwillige Ästhetik, wie sie uns die Hochkultur - etwa in der arte povera - bereits vorgestellt hatte, wenn auch nur künstlich. Arkhipov sammelt die alte Schallplatte als Blumentopf-Untersatz, das Verkehrsschild als Schneeschieber, den Fußabstreifer aus Bierstöpseln, den Kübel aus einem alten Reifenschlauch und - ganz anti-dadaistisch - die Antenne aus dem alten Fahrrad. Neben dieser künstlerischen Tätigkeit des Sammelns und Auswählens dokumentiert Arkhipov auch die Entstehungsgeschichten der jeweiligen Objekte. Diese Einzelstücke überzeugen in ihrer Funktionalität und in ihrer visuellen Einzigartigkeit, als Sammlung erhalten sie den Status von Kulturkonserven, die eine "Archäologie des Alltags" vor Augen führen.

Archäologie des Alltags

Die Galerie der Sammler schließlich bietet einen etwas anderen Blick auf die kommunistische Zeit Osteuropas und Russlands. Beginnend mit der Oktoberrevolution wird anhand von "Reliquien" und Devotionalien, vor allem rund um die Person Lenins, aufgezeigt, wie die "rote Propagandamaschinerie" den neuen Menschen erziehen wollte. Anhand von Plakaten, Zeitungsausschnitten und Gegenständen aus dem Leben in den Jugendverbänden und in den Gewerkschaften, die vor allem als Hüter der Arbeitsnormen fungierten, wird der pseudoreligiöse Charakter dieser Inszenierungen dargestellt. Natürlich wirkt diese Propaganda ob unseres Wissens um die damit verbundenen Gräueltaten abstoßend, umso erschreckender trifft uns dann die ästhetische Überzeugungskraft dieser Objekte. Gut, dass man dann auch auf die Persiflage Lenins mit Rock-and-Roll-Schmalzlocke trifft.

Hutsalon Susi & Milchfrau Rosa

Wiener Verkaufskultur fotografiert von Petra Rainer, Historisches Museum der Stadt Wien, Karlsplatz, Di-So: 9-18 Uhr bis 28. September

Petra Rainer, En Détail. Alte Wiener Läden, Wien 2002, e 28,-

Messerscharf

Reflexionen über einen Alltagsgegenstand Museum für Volkskunde, 1080 Wien Laudongasse 15-19, Di-So: 10-17 Uhr

bis 31. Jänner 2004

Franz Grieshofer, Kathrin Pallestrang (Hgg.), Messerscharf. Reflexionen über einen Alltagsgegenstand, Wien 2003

e 15,-

Notwehr

Russische Alltagshilfen aus der Sammlung Vladimir Arkhipov, Factory Kunsthalle Krems, Steiner Landstraße 3, täglich 12-16 Uhr, bis 21. September

Hartwig Knack (Hg.), Russische Alltagshilfen aus der Sammlung Vladimir Arkhipov, Krems 2003, e13,-

Blicket nach Moskau!

Realsozialistische Devotionalien und das Ende des Sowjetkommunismus, Galerie der Sammler im Österreichischen Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum, Vogelsangg. 36, Mo-Do 9-18, Fr 9-14 Uhr

während der Wiener Schulferien und an Feiertagen geschlossen

bis 13. Februar 2004

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