Heinz Nußbaumer und Wilfried Stadler: "It's the values, stupid"

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Die beiden neuen FURCHE-Herausgeber, Heinz Nußbaumer und Wilfried Stadler, im Gespräch: über diese Zeitung, über Werte, Wirtschaft und Wahlergebnis-Interpretationen.

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Die beiden neuen FURCHE-Herausgeber, Heinz Nußbaumer und Wilfried Stadler, im Gespräch: über diese Zeitung, über Werte, Wirtschaft und Wahlergebnis-Interpretationen.

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DIE FURCHE: Sie haben nun die Herausgeberschaft der FURCHE übernommen: Was verbindet sich für Sie mit diesem Namen?

Heinz Nußbaumer: Mit FURCHE verbindet sich für mich die Erinnerung an große Persönlichkeiten im österreichischen Journalismus. Zunächst ist Friedrich Funder als Vorbildfigur zu nennen, dann Kurt Skalnik, Hubert Feichtlbauer und eine ganze Reihe anderer. Mit FURCHE verbindet sich ein Medium, das ich in den zehn Jahren meiner Arbeit in der Präsidentschaftskanzlei zu lesen hatte, wenn es um die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Grundpositionen und Werten ging. Mit FURCHE verbindet sich für mich Tiefgang, Christlichkeit - in einer Offenheit und Weite, wie sie mir, wie ich hoffe, im Laufe meines Lebens vor allem als außenpolitischer Journalist im Umgang mit vielen Religionen und Kulturen zugewachsen sind.

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Wilfried Stadler: Für mich ist DIE FURCHE zunächst einmal über viele Jahre ein Medium gewesen, dem ich vor allem als Leser begegnet bin. Es ist eine Publikation, die in einer Zeit der Kurzatmigkeit noch Raum für offene Diskussionen anbietet - in einer guten Mischung aus Weltoffenheit und Wertorientierung.

Seit einem Jahr gehöre ich dem Aufsichtsrat der FURCHE an. Seither hatte ich Gelegenheit, mich mit diesem Medium und den handelnden Personen näher auseinanderzusetzen. Ich war beeindruckt vom Erfolg der Neupositionierung der Zeitung im Zuge des Relaunches im vergangenen Jahr; und als ich erfahren habe, dass Heinz Nußbaumer Herausgeber werden soll, bin ich umso begeisterter der Einladung gefolgt, die Funktion des Aufsichtsratsvorsitzenden zu übernehmen.

Es verbindet mich auch viel mit der Person von Wolfgang Schmitz, meinem Vorgänger als Mitherausgeber und Aufsichtsratsvorsitzender, der dieses Blatt in schwierigen Jahren mit anderen vorangebracht hat. Ich sehe meine neue Aufgabe darin, im Sinne einer guten Zusammenarbeit zwischen Eigentümern, Aufsichtsrat, Geschäftsführung und Redaktion die Furche mit entsprechender wirtschaftlicher Erfahrung zu unterstützen.

DIE FURCHE: Wenn Sie die österreichische Medienlandschaft in den Blick nehmen, wo wären die Nischen, die die Furche besetzen müsste?

Nußbaumer: Zunächst einmal dort, wo schon bisher ihre Stärke war: mehr Nachdenklichkeit als andere, weniger Trivialisierung. Das Bedürfnis der Menschen nach Werten und nach Sinngebung ist größer, als so manche Medien heute vermuten. Viele finden sich in der Informationsflut unserer Tage nicht mehr zurecht und suchen nach Orientierung. Ihnen hier sozusagen Haltegriffe in einer überhängenden Wand zu bieten - nicht damit diese einfach übernommen werden, sondern um einen Denkprozess zu initiieren: das scheint mir die wesentlichste Aufgabe der FURCHE zu sein.

Stadler: Wahrheitssuche, Offenheit, Dialog, Unparteilichkeit: Die öffentlichen Auseinandersetzungen sind so oft geprägt von Vorverurteilungen; DIE FURCHE ist demgegenüber der Raum, in dem das Pro und Kontra und der Versuch, einer besseren Lösung auf die Spur zu kommen, Platz haben.

DIE FURCHE: Unser Blatt kommt aus einer Zeit, in der "katholische Publizistik" und ähnliches einen großen Klang gehabt haben. Heute, so sagt man, sind die Zeiten der Gesinnungspresse vorbei. Teilen Sie diesen Befund?

Nußbaumer: Wir haben in Österreich zwar die klassische Form der weltanschaulichen, ideologischen Medien weitgehend verloren. Dafür aber ist uns eine ganz andere Form von Gesinnungsjournalismus zugewachsen, die ich beklage: in dem Sinn, dass Journalisten glauben, ihre persönliche Meinung dem Leser in wertenden Attributen, in Titeln etc. möglichst unauffällig unterjubeln zu können. Die Trennung zwischen Meldung und Meinung ist ja weitgehend verloren gegangen. Von dieser Form des Gesinnungsjournalismus unterscheidet sich DIE FURCHE sehr deutlich. Von ihr weiß man, dass sie eine bestimmte Gesinnung hat, die sie auch nicht verheimlicht: eine christliche Grundhaltung, die sie ihren Lesern freilich nicht auf heimtückische Weise unterschieben will, sondern für die sie steht. Christlich nicht im Sinn von konfessioneller Enge, sondern im Sinne eines immer dialogischen, zuhörenden Wertebewusstseins.

Stadler: Aus meiner Sicht ist der heutige liberale Wertekonsens, auf dem auch die europäische Einigung basiert, eine Art säkularisierter christlicher Wertekodex. DIE FURCHE ist hier von einem undogmatischen und überkonfessionellen Zugang zu den Themen gekennzeichnet, mit denen sie sich auseinandersetzt. Anders wäre sie für mich auch nicht interessant. Sie ist ein Medium, das versucht, die Ankerpunkte des gesellschaftlichen Vorankommens unter den jeweils gegenwärtigen Bedingungen immer wieder neu zu fixieren. Ich erlebe das im wirtschaftlichen Bereich, wo die Frage der Erneuerung unserer Wirtschaftsordnung ohne einen Rückbezug auf Wertethemen nicht mehr sinnvoll zu diskutieren ist. DIE FURCHE spannt über solche Themen einen sehr großen Bogen, sodass man sagen könnte: Wenn Ö1 gehört gehört, gehört DIE FURCHE gelesen.

DIE FURCHE: Apropos Wirtschaft: "It's the economy, stupid" (Auf die Wirtschaft kommt es an, Dummkopf; Anm.) - dieser schon überstrapazierte Clinton-Sager scheint so etwas wie die Signatur unserer Zeit zu sein. Für die einen ein realistischer oder gar optimistisch stimmender Befund, für andere ein bedrohliches Szenario ...

Stadler: Die Aussage stimmt in der Hinsicht, dass wir ohne die entsprechenden ökonomischen Erfolge ein sozial-marktwirtschaftliches Gefüge gar nicht aufrechterhalten können. Es steht die wirtschaftliche Wertschöpfung daher durchaus im Vordergrund. Aber möglicherweise würde Bill Clinton heute formulieren: "It's the values, stupid" (die Werte; Anm.). Denn es kommt sehr darauf an, wie man mit dieser Wertschöpfung - Stichwort: Nachhaltigkeit - umgeht.

Interessanterweise gibt es in Amerika momentan eine große Diskussion über Adam Smith, der ja Moraltheologe war und mit einer stark wertorientierten Haltung an die Erfindung dieses Wunderdings Markt und der "unsichtbaren Hand", die das Eigeninteresse vieler Einzelner zu einem vernünftigen Gesamtinteresse fügt, herangegangen ist.

Nußbaumer: Wir stehen im Moment vor einer spannenden Diskussion über die Frage: Was ist Gemeinwohl? Hier gibt es, aus Amerika kommend, eine Welle der Ethisierung des Marktlebens. Viele große Konzerne sind eben dabei, bestimmte ethische Grundstandards für sich selbst geltend zu machen. Wenn etwa General Electrics gerade Tausende seiner Manager losschickt, um sie Spielplätze und Kindergärten bauen zu lassen, um eine Art von Zivilgesellschaft mit sozialer Verantwortung zu spielen, dann hat das auch etwas mit einer Erkenntnis zu tun, die langsam um sich greift.

DIE FURCHE: Fritz Csoklich hat vor kurzem in einem Referat (Furche Nr. 50/02; Anm.) gemeint, das Ergebnis der Nationalratswahlen sei von den Katholiken, den Christen dieses Landes zu wenig auf seine längerfristige Bedeutung hin bedacht worden. Es gibt die Befürchtung einer Re-Katholisierung der Politik, wie sie am deutlichsten Elfriede Jelinek auf den Punkt gebracht hat: die "Schmuddelkinder", gemeint die FP, seien weg, jetzt sei das "Katholisch-Rechte unter sich". Csoklich hat versucht, das Ganze umzudrehen und gemeint, es wäre auch zu überlegen, ob dieses Wahlergebnis nicht für Christen einen Motivationsschub oder Impuls für neues Engagement über den Kirchenbinnenraum hinaus in Politik, Wirtschaft etc. bedeuten könnte. Wie sehen Sie das?

Nußbaumer: Ich halte es für eine Überinterpretation dieses Wahlergebnisses, wenn man es in eine weltanschaulich-konfessionelle Richtung drängen will. Das Ergebnis hat eine ganze Fülle von Gründen, da standen Fragen der Kompetenz, Reformfähigkeit, vielleicht auch Glaubwürdigkeit im Vordergrund. Ich glaube nicht, dass hier in irgendeiner Weise das Katholische wahlentscheidend war. Diese Phase österreichischer Innenpolitik haben wir glücklicherweise schon seit mindestens 20 Jahren überwunden.

Stadler: Ich halte es durchaus für ein Zeichen von Modernität, wenn Wertefragen wieder stärker diskutiert werden. Das gilt aber für alle Parteien ...

Nußbaumer: ... und ich möchte mit Nachdruck sagen: Das, was andere Parteien auch an internationaler Solidarität, Liberalität und Weltoffenheit mit hineingebracht haben, gehört genauso in diesen Grundkonsens unseres Landes über Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit; dies irgendwo zuzuordnen - weltanschaulich, religiös oder konfessionell -, um damit in eine parteipolitische Überholspur zu kommen, halte ich für längst überwunden und verfehlt.

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