Heißer Vergangenheitsbrei

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Werner Thuswaldner schrieb den Roman einer zögerlichen Annäherung an familiäre Tabus.

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Werner Thuswaldner schrieb den Roman einer zögerlichen Annäherung an familiäre Tabus.

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Österreichische Politik- und Medienszene. Ein Historiker, der auch literarische und politische Artikel verfasst, erhält von einem Hamburger Magazin einen Auftrag. Dieser Auftrag, ein Feuilleton, einen Essay, eine Analyse zu schreiben, bringt ihn aus dem Gleichgewicht. Der Ich-Erzähler, dessen literarische Tätigkeit nie genau definiert wird, soll über das Phänomen, die Hintergründe und Protagonisten des "Pittersbergs" schreiben. Der "Pittersberg" ist eine Chiffre für einen Ort, an dem sich regelmäßig Veteranen des Zweiten Weltkrieges, aber auch Angehörige schwer belasteter Gruppierungen aus der NS-Zeit, zu ihren sentimental-nostalgischen und männerbündlerischen Ritualen treffen. Assoziationen mit den in Kärnten regelmäßig abgehaltenen Veteranentreffen sind nicht zufällig, sondern naheliegend und erwünscht.

Der Ich-Erzähler überlegt kurz, ob er diesen Artikel schreiben soll, nimmt den Auftrag dann aber doch an, zumal er selbst - wie auch seine Familie - in die Geschichte dieses Berges auf schmerzlichste Weise involviert ist. Und so beschreibt der Autor - während er seine Recherchen zum Pittersberg-Phänomen schildert - auch die Wiederentdeckung der persönlichen Verwobenheit in die leidvolle Geschichte der letzten 80 Jahre dieses Landes, ja, auch dieses Staates.

Sein Vater war Offizier in der Donaumonarchie und hat noch vom Kaiser selbst eine hohe Auszeichnung für das "Aufhalten der Brussilow-Offensive" erhalten. Die Jahre nach 1918 waren für diesen Vater wegen des "verlorenen Paradieses" von Enttäuschung geprägt. Er lebte von Architekturarbeiten, die ihn auch nach Kärnten führten, wo er zum eigentlichen Erfinder des Pittersbergs wurde, indem er zwei bei Grabungen aufgefundene Hufeisen zu türkischen Hufeisen stilisierte, die angeblich beweisen, dass die Türken auf ihren Eroberungszügen auch hierher gekommen sind und dass der Pittersberg Schauplatz eines heldenhaften Abwehrkampfes gegen die Horden aus dem Osten gewesen sei. Diese zum Spaß erfundene Legende wird zur Grundlage für den Pittersberg-Mythos und das Veteranen-Ritual.

Die Hauptfigur zieht verschiedene Bekannte hinzu und bekommt die kuriosesten Ratschläge, wie man den Bundesdeutschen mit einem gesalzenen Artikel über die Gefahr, die von den Leuten des Pittersbergs der Demokratie in Europa drohe, Angst machen könnte. Zugleich beginnt eine skurrile Adelige auf eigene Faust mit Recherchen, weil sie die legendären Leistungen des Adels für die Freiheit des christlichen Abendlandes herausstellen möchte.

Die Untersuchungen des Ich-Erzählers und der geschäftig um ihn herumschwirrenden diversen an der Sache Interessierten zeitigen keine oder wenige konkrete Ergebnisse. Die Art, wie sie mit der Vergangenheit umgehen, ist das eigentliche Thema des Buches. Die Bedrohungen, die direkt und indirekt immer wieder im Raum stehen, werden nie wirklich greifbar. Durch diese Entmaterialisierung bekommen sie dann und wann den Charakter besonders subtiler Gewalt, die nicht zum Ausbruch kommt. Dann und wann schlägt der Verdacht durch, hier werde überhaupt niemand bedroht, das Ganze spiele sich im Kopf des Protagonisten ab, der tief sitzende Ressentiments gegen seinen älteren Bruder Sebastian hat. Von dem wiederum wird immer wieder erzählt, wie gefährlich er in der Nazizeit als Schüler einer Eliteschule für alle rund um ihn gewesen sei. Konkretes erfährt man nicht, das macht die Angelegenheit besonders tiefgründig.

Darüber, wie weit das wirklich durchgehalten wird, kann man geteilter Meinung sein. Die Recherchen führen zu keinen Enthüllungen, die Ängste und jahrelang aufgestauten Aggressionen zu keinem Zusammenstoß mit dem gehassten Bruder. Gerade das kann man aber als echte Metapher unserer österreichischen Gesellschaft verstehen. Insofern nämlich, als immer wieder Fragen gestellt werden, deren Beantwortung man dann aber selbst sofort mit allen Mitteln verhindert, weil man Angst davor hat, die Dinge könnten einmal beim Namen genannt werden. Und dann könnte es ja durchaus sein, dass auch dem Fragenden nahestehende Menschen plötzlich als Mitläufer oder sogar Mittäter dastehen. Da belässt man lieber alles in der Verdrängung und im Vergessen.

Gewiss wollte der Autor auch ein aktuelles Buch schreiben. Die Leitfigur der Männer vom Pittersberg, der Mann, der mit seiner abgestandenen Jugendlichkeit und seinem Populismus seine Partei auf den zweiten Platz und das Land - wie sich bald zeigte - in die internationale politische Isolierung brachte, kommt selbstverständlich auch vor. Ein Buch über ihn ist es allerdings nicht. Er taucht kurz als Interviewpartner einer Reporterin auf, die prinzipiell die Popularität einer öffentlichen Person zum Anlass nimmt, dieselbe, so lange ihre Popularität anhält, zu interviewen, herzuzeigen, zu Dingen zu veranlassen, die quotensteigernd sind.

Hier ist eine Journalistin am Werk, die selbst durchaus der political correctness entspricht, dabei aber tatsächlich jenen Journalismus verkörpert, dem jedes Mittel recht ist, wenn es eine g'schmackige Geschichte verspricht. Dass ein Teil der hiesigen Medienlandschaft sehr massiv dazu beigetragen hat, die Voraussetzungen für seine Erfolge zu schaffen, lässt sich aus diesen Passagen unschwer heraus hören. Klar gesagt wird es nicht. Dennoch befriedigt diese Unklarheit mehr als der gottlob nicht vorgenommene Versuch, das Land in Gute und Böse zu teilen. Dass die Bösen auch gut sein können, mag beruhigen. Dass die Guten auch oft böse sind, ist schon schwerer zu ertragen, wird aber wohltuenderweise nicht ausgespart.

Ein Buch, das kaum nacherzählbar und dennoch als politischer Roman keinen literarischen Moden verpflichtet ist. Ein konventioneller Roman über einen Intellektuellen, der ein Looser ist, ein Verlierer, wie momentan die Intellektuellen insgesamt in diesem Land, zumindest in der Literatur. Allerdings drängt sich der Verdacht auf, der antinazistische Standpunkt des Ich-Erzählers könnte einfach dem Wunsch entspringen, die Vergangenheit seiner eigenen Familie, die ziemlich belastet war, zumindest für sich selbst zu kompensieren. Das wäre freilich ein etwas zu schwaches Fundament für seine Gesinnung, kann aber durchaus auf die Literatur eines Teiles der zeitgenössischen Autoren zutreffen, wenn sie Familiengespenster attackieren, die andere Familien nicht haben.

Der Pittersberg wird nicht zum Neuschwanstein der Ewiggestrigen. Der Ich-Erzähler darf mit der Ungewissheit weiterleben, die ihm offenbar lieber ist als die volle, wahrscheinlich bittere Wahrheit.

Pittersberg. Roman von Werner Thuswaldner Albrecht Knaus Verlag, München 2000. 192 Seiten, geb., öS 247,- / e 17,95

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