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Nach dem Terroranschlag auf das Rote Kreuz in Bagdad verlassen die Helfer das Land. Die Kluft zwischen Westen und Irak wächst - der Terror hat sein Ziel erreicht.

Das Rote Kreuz ist auf der ganzen Welt so bekannt wie Coca-Cola - und so wie bei der Limonade weiß auch beim Roten Kreuz jeder Mensch sofort, was sich hinter diesem Zeichen verbirgt: Schutz, Hilfe, Rettung und all das unparteilich, unabhängig, neutral. So hat der Genfer Geschäftsmann Henry Dunant sein Internationales Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) vor bald 150 Jahren gegründet, so gilt es trotz vereinzelter Missbräuche bis heute, immer und überall.

Leider stimmt dieses Prinzip nicht mehr: Am Montag dieser Woche ist das Rote Kreuz im Irak ins Fadenkreuz von Terroristen geraten: Der Sprengstoff kommt an diesem Tag mit dem Krankenwagen, ein Selbstmordattentäter bringt das zur Waffe umfunktionierte Rettungsfahrzeug vor der Zentrale des Roten Kreuzes in Bagdad zur Explosion, zwölf Menschen, darunter zwei IKRK-Mitarbeiter, sterben, Dutzende werden verletzt - und noch haben sich Qualm und Staub der Detonation nicht verzogen, steht eines schon mit Sicherheit fest: Terroristen kennen keine Neutralität.

"Wer tut so was?", fragt eine Rot-Kreuz-Mitarbeiterin den Fernsehreporter, der sie am Unglücksort interviewt. "Wir machen nichts anderes, als den Irakern zu helfen.Wem nützt so etwas?"

Solche Fragen stellte niemand am Tag vor dem Anschlag auf das Rote Kreuz, als der US-Vize-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz nur knapp einer Raketenattacke entkommen konnte. Warum? Weil der Anschlag auf einen der Architekten des Irak-Krieges verständlich ist: Wolfowitz ist parteiisch; Wolfowitz verkörpert die US-Besatzungsmacht; Wolfowitz ist für viele im Irak und der ganzen muslimischen Welt der Feind. Der Angriff auf Wolfowitz ist nicht entschuldbar, aber er ist nachvollziehbar, er ist logisch. Ein Bombenattentat gerichtet gegen neutrale Helfer ist das alles nicht. So etwas versteht nur, wer die Logik des Terrors versteht, und diese Logik heißt Chaos.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Hilfsorganisation im Irak sind geschockt. Schon vor dem Anschlag auf das Rote Kreuz waren wegen der prekären Sicherheitslage nicht mehr viele Helfer im Land, jetzt werden es noch weniger werden. Korrespondenten berichten, dass die Stimmung in Bagdad, die zuerst rein anti-amerikanisch gewesen ist, sich jetzt gegen alle Ausländer richtet. Die Attentate gelten allem, was mit dem Westen identifiziert wird. Neben den internationalen Helfern werden deshalb auch zunehmend ausländische Journalisten zur Zielscheibe gemacht.

"Ausländer raus aus dem Irak", lautet die Botschaft der Terroristen, und die Hilfsorganisationen kommen in eine Zwangslage, da sie sowohl ihren Mitarbeitern als auch den hilfsbedürftigen Menschen im Irak gegenüber verpflichtet sind. Einen Ausweg aus dem Dilemma bietet der Rückgriff auf einheimische Helfer und irakische Hilfsorganisationen. Das muss nicht schlecht sein, kann den Weg von der Hilfe zur Selbsthilfe beschleunigen - andererseits fehlt es nach wie vor an einer funktionierenden irakischen Administration, Klüngelwirtschaft und aus der Saddam-Ära herübergerettete Machtverhältnisse dauern an. Da bräuchte es dringend Hilfe von außen, die nicht nur in der Aufmachung eines schwer bewaffneten US-Soldaten vor den Irakern steht.

Der Angriff auf das Rote Kreuz in Bagdad ist der Terrorfront aber auch noch auf andere Weise nützlich: Gegen internationale Helfer gerichtete Bomben vergrößern die emotionale Kluft zwischen dem Westen und dem Irak. Man braucht sich nur in die Lage von Spendensammlern für den Irak zu versetzen. Wie sollen die für Hilfe werben, wenn ihnen die Tür vor der Nase mit dem Killerargument zugeschlagen wird: "Die Iraker töten doch sogar jene, die ihnen helfen!"

Solidarität so schon schwer genug, wenn Bombenbastler sie torpedieren, wird sie nahezu unmöglich gemacht. Und trotzdem: Wer den Irak sich selbst überlässt, gibt die ganze Region und mehr auf. Es nützt jetzt auch nichts, mit dem anklagenden Finger auf die zu zeigen, die den Krieg angezettelt haben. Der Irak darf kein gescheiterter Staat werden. 24 Millionen Iraker haben ein Recht darauf, dass in einer Cola-Dose Limonade ist - und, um vieles wichtiger: dass weiterhin hinter dem Roten Kreuz Hilfe, Schutz und Rettung auf sie wartet.

wolfgang.machreich@furche.at

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