"Heraus aus diesen Biotopen!“

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Ursula Struppes Lebensthema ist es, Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen: als langjährige Leiterin der "Theologischen Kurse“, als Engagierte beim "Dialog für Österreich“, als Sprecherin von "Land der Menschen“ - und heute als Integrationschefin des "Roten Wien“.

Irgendwo in Wien wird wohl gerade gesudert: Ältere Herrschaften werden sich über lautstarke Kids echauffieren, "echte Wiener“ über Eingewanderte empören und Passanten über Hundstrümmerln stolpern. Es werden Menschen aufeinanderprallen, die zwar in derselben Gasse, aber dennoch in verschiedenen Welten leben.

Seit etwa acht Wochen haben sie freilich auch die Möglichkeit, im Rahmen des Großprojektes "Wiener Charta“ konstruktiv miteinander ins Gespräch zu kommen und ihre eigenen Vorstellungen von einem gelungenen Zusammenleben in der Großstadt zu definieren. "Bisher haben rund 1500 Leute an über 100 Charta-Gesprächen teilgenommen“, freut sich Ursula Struppe im Wiener Rathauspark nahe ihrem Büro. Marktstandler am Großgrünmarkt hätten ebenso lebhaft diskutiert wie Jugendliche der Hanssonsiedlung oder Bewohnerinnen des Pensionistenwohnhauses Margareten.

Als Leiterin der Wiener Magistratsabteilung 17 für Integration und Diversität ist Struppe für die Umsetzung des Projekts "Wiener Charta“ zuständig, das sich nicht als Kampagne der Stadt, sondern als gemeinsam erarbeitete Selbstverpflichtung aller Wienerinnen und Wiener versteht. In der ersten Phase wurden deshalb vorerst jene "heiße Eisen“ gesammelt, die der Bevölkerung unter den Nägeln brennen. Die eingegangenen 1848 Vorschläge wurden in drei Bereiche gruppiert: "Miteinander auskommen“ (Verhalten und Umgangsformen), "Nicht immer dasselbe“ (Zusammenleben zwischen Menschen unterschiedlicher Generationen und Kulturen) sowie "Aufgeräumt wohlfühlen“ (Sauberkeit).

Reden wir darüber!

Bis 14. Oktober sollen diese Bereiche nun in moderierten Charta-Gesprächen von zehn bis 20 Teilnehmenden besprochen werden. Die knapp 300 Partnerorganisationen der "Wiener Charta“ - von der KPÖ Margareten über die Erzdiözese Wien und die Islamische Glaubensgemeinschaften bis zu McDonald’s - haben sich verpflichtet, für ihre Mitarbeiter oder Mitglieder solche Gespräche zu veranstalten; doch auch Einzelpersonen haben diese Möglichkeit. Spätestens bis Ende November soll dann die "Wiener Charta“ stehen. "Der Text allein ist nett, lebt aber erst durch die Gespräche zwischen den Menschen“, ist sich Ursula Struppe bewusst. "In einer pluralen Großstadt gibt es eben Spannungen - und über die müssen wir reden.“

Wo immer sich die 54-Jährige bisher engagiert hat - stets war sie als Mediatorin und Gesprächsanbahnerin aktiv: "Wagt doch einen Blick über den Tellerrand!“, will sie den Leuten sagen. "Verlasst eure geschützten Biotope! Sprecht nicht immer nur mit Euresgleichen, sondern einmal mit dem Fremden in eurer Nachbarschaft!“ Sie selbst hat jedenfalls das Eintauchen in fremde Welten stets lustvoll praktiziert: 1958 in eine liberal-bürgerliche Wiener Unternehmerfamilie hineingeboren, beginnt sie als 14-Jährige mit einer freikirchlichen Gruppe zu sympathisieren. "Für meine Eltern war das shocking“, erzählt sie süffisant. "Drogen hätten sie einordnen können. Aber dieses Engagement war einfach nur schräg.“ Mit 17 Jahren geht sie ein Jahr in die USA und wird in einer prononciert demokratischen Familie erstmals politisiert. Statt das Trockenfrüchte-Import-Geschäft ihrer Mutter zu übernehmen, beginnt sie anschließend das Studium der katholischen Theologie und promoviert über "Die Herrlichkeit Jahwes in der Priesterschrift“. Schließlich übernimmt sie 1984 die Leitung der "Theologischen Kurse“ der katholischen Kirche Österreichs.

Jahrelang übt sie diese Funktion begeistert aus - und reibt sich doch immer mehr am Reformstau der Kirche, den sie durch ihr Engagement im Gesprächsprozess "Dialog für Österreich“ aufzubrechen versucht. Die Wende kommt während des ausländerfeindlichen Wahlkampfs 1999, als eine bunte Gruppe um Barbara Coudenhove-Calergi und Helmut Schüller die Initiative "Land der Menschen“ gründet, deren Sprecherin Ursula Struppe wird. "Ich habe damals dem Herrn Kardinal gesagt, dass ich gern für ein halbes Jahr freigestellt werden würde - und er hat gesagt: Das finde ich wunderbar, Frau Doktor. Tun Sie das!“, erinnert sie sich. Ein Jahr später verabschiedet sie sich endgültig von der Kirche und wechselt zur Stadt Wien, wo sie für Integrationsstadträtin Renate Brauner arbeitet. Und als 2004 die neue Magistratsabteilung 17 für Integration und Diversität eingerichtet wird, beruft man die Theologin an die Spitze.

Dass Zeitungen damals ihren Jobwechsel mit Phrasen wie "vom Kreuz zu Marx“ kommentierten, findet sie bis heute amüsant - aber unzutreffend: "Ich habe das nie als Bruch, sondern als Kontinuität wahrgenommen“, erklärt sie. Gesprächsanbahnerin sei sie schließlich dort wie hier gewesen. Doch trägt die ständige Aufforderung zum Dialog irgendwann auch Früchte? "Ich erlebe oft, dass sich etwas bewegt“, antwortet Ursula Struppe im Rathauspark: Wenn ihr etwa ein Mann euphorisch davon berichtet, dass seine multikulturelle Hausgemeinschaft seit einem Grillfest vor zwei Jahren bis heute lebendig sei; oder wenn sich eine Teilnehmerin eines "Mama lernt Deutsch“-Kurses überschwänglich bei ihr bedankt. "Es ist also nicht so, dass ich gegen Windmühlen kämpfen würde“, meint die Frau, die sich selbst als "Ermöglicherin“ betrachtet. "Außerdem sind Gespräche alternativenlos.“

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