Herausragend, aber absturzgefährdet
Zum Dossier. Der österreichische Film ist besser als sein Ruf. Auf Cineasten-Festivals räumten zuletzt"Nordrand" und "Die Siebtelbauern" Preise ab. Die Stoffe werden internationaler, die Regisseure jünger, die Infrastruktur hat sich verbessert. Doch die finanzielle Lage ist katastrophal: Da ist Österreich Schlußlicht in Europa.
Zum Dossier. Der österreichische Film ist besser als sein Ruf. Auf Cineasten-Festivals räumten zuletzt"Nordrand" und "Die Siebtelbauern" Preise ab. Die Stoffe werden internationaler, die Regisseure jünger, die Infrastruktur hat sich verbessert. Doch die finanzielle Lage ist katastrophal: Da ist Österreich Schlußlicht in Europa.
Der österreichische Film, das darf getrost gesagt werden, ist besser als sein Ruf. Das hat er im vergangenen Jahr bewiesen, als Streifen wie Barbara Alberts "Nordrand" (siehe Interview Seite 16), Ruth Beckermanns "Ein flüchtiger Zug nach dem Orient" und Kommerzielleres wie Harald Sicheritz' "Wanted" in den Kinos oder auf international bedeutenden Festivals reüssierten. Wenn am 27. März in Graz bei der sechsten Diagonale, dem Festival des österreichischen Films, die Projektoren zu surren beginnen, soll erneut unter Beweis gestellt werden, wie kräftig die Lebenszeichen der hiesigen Filmbranche sind. "Langsam vollzieht sich in der Branche ein Generationenwechsel. Ich bin überzeugt, in den nächsten Jahren kommt es mit all den jungen Filmemachern zu einem regelrechten Boom. Es herrscht Aufbruchstimmung", frohlockt Diagonale-Intendant Constantin Wulff.
Alles neu in Österreichs Filmlandschaft? Mitnichten. Denn bei genauerem Hinsehen entpuppt sich der "Boom" als zerplatzte Seifenblase. Es stimmt zwar, daß durch die Teilnahme an Festivals in Venedig oder Berlin die heimische Filmbranche zumindest künstlerische Erfolge feiern konnte. Es stimmt auch, daß die Qualität der wenigen Filme, die Jahr für Jahr nur durch öffentliche Förderungen realisiert werden können, international mithalten. Aber leider stimmt auch, daß es nach wie vor zu wenig Geld in Österreich gibt, um von einer funktionierenden Filmbranche zu sprechen. Derzeit haben wir eben nur ein "Brancherl".
Aber das Krankjammern hilft bekanntlich nichts. Optimismus ist angesagt. Eben erst hat sich der Wiener Film Fonds (WFF) eine neue Auswahlkommission und neue Vergaberichtlinien der Fördermittel verpaßt. Auf diesen Relaunch ist Wiens Kulturstadtrat Peter Marboe stolz: "Die Jury ist frei von politischen Einflüssen. Das ist ein Neuanfang für Österreichs zweitgrößten Filmfonds, der dazu beitragen wird, daß die Filmstadt Wien in europäischen Maßstäben erfolgreich sein wird". Der WFF hat zudem sein Budget von jährlich 70 Millionen Schilling auf 110 Millionen aufgestockt. "Dieses Budget ist bis 2002 gesichert", freut sich WFF-Boss Peter Zawrel.
Große Erfolge, aber ...
Der größte heimische Fördertopf des Österreichischen Filminstituts (ÖFI) hat allerdings ordentlich zu kämpfen. ÖFI-Geschäftsführer Gerhard Schedl: "Wir hatten 1999 ein Fördervolumen von 184 Millionen Schilling, davon kamen 169 Millionen vom Bund". Für heuer wurde das Budget von der neuen Regierung um 40 Prozent auf 102 Millionen gekürzt. "Das zerstört die mühsam aufgebaute Struktur der heimischen Filmwirtschaft", warnt Schedl. Auch der Verband Österreichischer Filmproduzenten wandte sich in einem offenen Brief entrüstet an Bundeskanzler Schüssel: "In ihrer Regierungserklärung ist 'Film' als Schwerpunkt enthalten. Lassen Sie bitte Ihrem Programm Taten folgen." Österreich sei europaweites Schlußlicht in Sachen budgetärer Ausstattung. Gerade der heimische Film sei dazu geeignet, "unsere Kultur und unser Land" auch vor fremde Augen zu transportieren, heißt es. Und: "Geben Sie uns eine Chance, Ihre Regierung an Ihren Taten zu messen".
Dennoch läßt sich ÖFI-Chef Schedl nicht verdrießen: "Das Filmschaffen ist ja nicht aufs Kino begrenzt. Der TV-Film ist in Wahrheit das beste Geschäft". Tatsächlich werden in Österreich jährlich dreimal so viele TV-Movies gedreht wie Kinofilme. Nach den Zahlen der Austrian Film Commission (AFC) wurden 1998 lediglich 14 Kinolangfilme produziert. Zum Vergleich: In den Kinos liefen im selben Jahr 132 Filme aus den USA, 24 deutsche und 25 französische Streifen.
"Ohne die TV-Anstalten ist heute kein Kinofilm mehr finanzierbar", meint Gerhard Schedl und räumt gleich mit einer weiteren Illusion auf: "Kein österreichischer Kinofilm kann jemals Gewinn machen". Nicht einmal "Hinterholz 8", der Erfolgsfilm von Harald Sicheritz kam ins Plus. Der Film mit Lachnummer Roland Düringer brachte es in den heimischen Kinos zwar auf bisher nie dagewesene 670.000 Zuschauer, und auch die Videoauswertung lief gut; gebracht hat der Film aber nur das Image, daß auch österreichische Filme Publikumserfolge werden können. In Europa, so Schedl, sei das Kino eben nicht gewinnorientiert. "Die Amerikaner sind die professionelleren Kapitalisten. Hierzulande gibt es nur dilletierende Kapitalisten", meint Schedl.
... es fehlt an Geld Bei der bevorstehenden Diagonale in Graz gibt man sich zuversichtlich. Zur Eröffnung am 27. März wird "The Punishment" von Goran Rebic gezeigt, der schon in Berlin gelaufen ist. Weitere Highlights sind Michael Kreihsls "Die Heimkehr der Jäger" und Diego Donnhofers "The Virgin", ebenfalls bereits zu Berliner Festival-Ehren gelangt. "In Österreichs Kinos weht ein frischer, junger Wind", meint Intendant Wulff. Co-Intendantin Christine Dollhofer stößt nach: "Die cineastischen Vorbilder für die neue Regie-Generation kommen aus Frankreich". Bei der Diagonale verschließt man sich auch nicht dem Kommerzkino. Die oft zitierte Diskrepanz zwischen Kunst und Kommerz existiert für Dollhofer nicht: "Das Auseinanderdividieren von Kunst und Kommerz ist kontraproduktiv. Beides hat seine Berechtigung".
Die zunehmende Internationalität von österreichischen Filmen wird in Graz begrüßt. "Unsere Filmer machen keine Filme mehr, die hermetisch abgeriegelt sind und nur in Österreich verstanden werden", freut sich Wulff. Dennoch fehle es nach wie vor an Geld. "Die Branche braucht mehr Input, um richtig boomen zu können. Vor allem vom ORF erwarte ich mir größere Unterstützung. Denn der ORF hat noch nicht erkannt, wieviel Potential im Filmschaffen liegt. In Österreich rangiert der Film leider hinter allen anderen Kulturgütern".
Beim ORF selbst ist man davon überzeugt, genug für den heimischen Film zu leisten. Im Vorjahr wurden, nach Auskunft der ORF-Pressestelle, 16 Kinoprojekte mit insgesamt 73 Millionen Schilling unterstützt. Insgesamt hätte der ORF im Vorjahr rund 942 Millionen Schilling in die österreichische Filmwirtschaft investiert. Dazu zählen vorwiegend Auftragsproduktionen. So wurden etwa 130 TV-Dokumentationen produziert. Im heurigen Jahr soll die Höhe dieser Förderung weitgehend konstant bleiben.
Zumindest eines kann gesagt werden: dem österreichischen Film fehlt es nicht mehr an Selbstvertrauen. Gestärkt durch internationale Preise und Auszeichnungen, sorgt der frische Wind in der Branche für Optimismus. Das "Stiefkind" Film wird allerorts (zumindest verbal) zur Chefsache erklärt. Man hat erkannt, daß die Unterhaltungsindustrie eine der wachstumsstärksten Branchen im 21. Jahrhundert sein wird. Schließlich gilt es, daß Rund-um-die-Uhr-Programm der unzähligen TV-Stationen mit neuem, frischem Programm zu füllen. Daß dabei freilich oft die Qualität auf der Strecke bleibt, zeigen viele der deutschen TV-Movies. Dort werden heuer allein vom Privaten Sat1 40 (!) Produktionen realisiert. Die Kinoleinwand erobern diese Werke nie.
In Österreich findet ein Aufbruch statt. Die Infrastruktur wird verbessert, die Stoffe werden internationaler, die Regisseure jünger. Gerhard Schedl vom ÖFI: "Nichts gegen die Kunst, aber heimische Filme wie 'Kaliber Deluxe', die multiplextauglich sind, können erfolgreich sein. Es ist nicht mehr so, daß man allein den heiligen Gral verteidigt und nur Kunst machen kann". Wenigstens findet Schedl noch ein tröstendes Argument für alle, die mit euphorischen Meldungen über die Branche noch vorsichtig sind: "Sagen wir so: dem österreichischen Film geht es genau so schlecht wie dem Film in ganz Europa". Wahrlich beruhigend.
Der Autor ist Herausgeber der Filmzeitschrift"Celluloid", die ab Juni vierteljährlich erscheinen wird.
Interview Barbara Albert 17.2.2000, Cafe Stein, Wien"Das wichtigste ist Mut" Mit ihrem Debütfilm "Nordrand" hat die 30jährige Wienerin Barbara Albert im Vorjahr internationale Erfolge feiern können. Im Furche-Interview spricht sie über die Schwierigkeiten der heimischen Filmbranche.
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