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Am 30. November geht "Graz 2003" zu Ende. Was bleibt von diesem Projekt? Wie geht es nach dem Kulturhauptstadt-Jahr weiter? von kurt wimmer

Das Jahr der Kulturhauptstadt "Graz 2003" begann mit einem Feuerwerk: Das knatterte und zischte, leuchtete, sprühte - und verglühte. Es war heiter, gar nicht sehr laut, saukalt und weit und breit keine Polizei.

Indes ist das Jahr fast vergangen, die Modelle der Insel des Vito Acconci, die nun in der Mur tümpelt, wurden zur Versteigerung angeboten, EU-Präsident Romano Prodi lobte Graz in der Kleinen Zeitung, der "Globe Award der British Guild of Travel Writers" wurde "Graz 2003" zugesprochen, und sogar Thomas Gottschalk war mit "Wetten dass..." da. 16 Millionen schauten zu, 11.000 Berichte kündeten von der Kulturhauptstadt, und endlich kennt man Graz auch in Grönland. In der Stadt selbst schwankt die Stimmung zwischen Euphorie und Missmut.

2004 - ein schwarzes Loch?

Wie es weiter geht, weiß niemand so genau, aber viele fürchten sich vor dem "Schwarzen Loch" 2004. Junge Kulturmacher schäumen, weil sie fürchten, dass für sie nun überhaupt kein Geld mehr da ist, und der "steirische herbst" wird wieder einmal in Frage gestellt.

Am Murufer knotzt dunkel, rund und merkwürdig faszinierend der "friendly alien": Graz hat nach mehr als 20 Jahren politischer Querelen endlich sein Kunsthaus. Und nie wäre es gebaut worden, wenn es dieses Jahr 2003 nicht gegeben hätte. Aber jetzt stehen hier zudem noch die List-Halle, die neue Stadthalle und das neue Literaturhaus... Dazu kommen die "alten Bestände" wie das Kulturzentrum bei den Minoriten, das renovierte "Forum Stadtpark", der Grazer Congress und anderes. Da fragt sich zum Beispiel ein noch immer agiler Akteur wie Emil Breisach (Ex-Intendant des ORF-Landesstudios und Präsident der "Akademie Graz"), ob sich hier nicht "eine beinharte Konkurrenzsituation" ankündige. Seines Wissens habe es keine Bedarfserhebung im Zusammenhang mit den Neubauten gegeben. Und im Einzugsgebiet von Graz gebe es keine größeren Städte - abgesehen von Leoben und Marburg.

Avantgarde im Museum

"Einbildung - das Wahrnehmen in der Kunst" hat Peter Pakesch, der Chef des neuen Kunsthauses, die erste Ausstellung genannt. Und unversehens wird man mit alten Bekannten konfrontiert. Zum Beispiel hängen da zwei Tafelbilder von Richard Kriesche. Sie sind 30 Jahre alt und wurden bisher in Graz nie ausgestellt. Kriesche ist indes 63 und Hofrat in der Kulturabteilung des Landes. Das konventionelle Tafelbild hat er längst als "Hängeware" abgeschrieben. Sein Metier ist Medienkunst, kombiniert mit Medientheorie.

Dies nur als kurzer Hinweis auf entscheidende Wandlungen: Die einstige Avantgarde hat es längst zur Museumsreife gebracht, und selbst das Motto von "Graz 2003", nämlich "Graz darf alles", wirkt postmodern, also banal überständig.

Die eigentliche Aufgabe der Kunst ist es immer gewesen, die Gesellschaft ständig mit anderen Möglichkeiten zu konfrontieren. "Kultur für alle" war zum Beispiel Mitte der siebziger Jahre die Parole. Gestärkt durch einen festen Glauben an die Wirkungskraft der verwalteten Kultur und überzeugt, dass kulturelle Entwicklungen Investitionen für die Zukunft sind, scheute zum Beispiel der Frankfurter Kulturdezernent Hilmar Hoffmann nicht einmal vor Visionen zurück. Er plädierte für den Bau von Museen und Büchereien, weil er für das Jahr 2000 mit drei Millionen Arbeitslosen, der 35-Stunden-Woche und der Tatsache rechnete, dass in einem Vierteljahrhundert ein Drittel der Bevölkerung älter als 65 Jahre sein werde. Er wollte die kulturelle Infrastruktur für die kommende Freizeitgesellschaft schaffen. Und das gelang ihm auch mit dem Frankfurter Museumsufer, das einen gewaltigen Sog und eine beachtliche Eigendynamik entwickelte.

Geld für ein solches Projekt war genug vorhanden, und hier wird ein weiterer Wandel spürbar: Heute ist Sparen angesagt.

Graz: Angst vor der Größe?

In Graz kommt dazu noch eine Besonderheit: Hier war es bisher nie möglich, die Stadt und das Land in einer wirklich zielbewussten kulturpolitischen Partnerschaft zu vereinen - so wie das in Linz seit Jahren vorbildhaft und mit beachtlichem Erfolg praktiziert wird. Im einstigen "Linz an der Tramway" sind die Bewohner stolz auf ihre Stadt, die mit Hilfe der "ars electronica" ihr Image völlig geändert hat: von der durch die VOEST geprägten Industriezentrale zu einem High-Tech-Zentrum.

Aber auch in Graz ist nun etwas entstanden, das in einen Aufbruch münden könnte. Wolfgang Lorenz hat als Intendant von "Graz 2003" sehr früh auf das Thema "Nachhaltigkeit" gedrängt, das jetzt tatsächlich entdeckt wird. Der ORF-Stratege fürchtet zwar, dass die Stadt plötzlich "Angst vor der Größe" habe, aber was immer er unter Größe versteht, unterschätzen sollte er weder die Grazer noch das hiesige Kulturpotenzial. Es war ja kein Neuland, das er beackerte.

Also wie geht's weiter? Zunächst einmal haben die Kulturpolitiker sicher keine Zeit für Visionen, selbst wenn sie solche hätten. Im Land wird die Frau Landeshauptmann als Kulturchefin zunächst Krisenfeuerwehr spielen, um die Schulden des "steirischen herbstes" zu berappen. Der hat jetzt mit der List-Halle zwar die lang ersehnte Spielstätte, vor allem für Musik und Musiktheater - allerdings mit Dauerkosten, die offenbar unterschätzt wurden. Waltraud Klasnic will zahlen, fordert aber Strukturreformen. Finanzstadtrat Wolfgang Riedler (SPÖ) hat die Absicht bekundet, bei der Kultur und beim Sozialen nicht zu sparen. Im Vorjahr standen in Graz rund 8,3 Millionen Euro für Kultur (ohne die Vereinigten Bühnen) zur Verfügung, eine Summe in ähnlicher Höhe soll es auch im diesjährigen Budget geben. Nur am Rande: Der "herbst" verfügte in diesem Jahr über das höchste Budget seit seiner Gründung: 5,5 Millionen Euro. 1,5 Millionen kamen vom Land, eine Million von der Stadt Graz und 600.000 vom Bund. Den Rest steuerten Koproduzenten bei. "Graz 2003" war immerhin mit 700.000 Euro vertreten.

Das fehlende Geld

So weit das Geld. Was die Inhalte einer künftigen Kulturpolitik anlangt, herrscht eher noch Ratlosigkeit. Als ein Schwerpunkt könnte sich aber doch herauskristallisieren, dass Graz sich noch stärker als Zentrum Südosteuropas präsentiert. Hier hat Markus Jaroschka, Herausgeber der Literaturzeitschrift Lichtungen, neue Wege gewiesen. Was als literarische Begegnung mit Autorinnen und Autoren in Städten unserer unmittelbaren Nachbarn begann, wuchs sich im Rahmen von "Graz 2003" zum internationalen Projekt "Translokal" aus: Literaten aus 25 europäischen Städten schrieben Beiträge für die Lichtungen und kamen zu Lesungen nach Graz. Den Abschluss bildete ein großes internationales zweitägiges Literaturfest in der Kulturhauptstadt.

Kulturstadtrat Christian Buchmann (ÖVP) sucht indes den Dialog mit den zahlreichen Gruppen von Kulturschaffenden, deren Interessen schwer unter einen Hut zu bringen sind. Der Kunstverein "rotor" (Leiterin Margarethe Makovec) arbeitet zum Beispiel mit anderen Kulturschaffenden an "Leitlinien für den Kulturstandort Graz", und Klaus Schrefler von der Gruppe "The Syndicate" plädiert für einen langfristigen Dialogprozess. Er will sich nicht damit abfinden, "dass Kultur nur ein Rad am Wagen einer Gesellschaft ist, der führerlos in eine Zeit rollt, die man gemeinhin als die eigene Zukunft bezeichnet". Emil Breisach wiederum grübelt, wie man so etwas wie einen "Kulturentwicklungsfonds" auf die Beine stellen könnte, um Geldmittel aufzutreiben.

Kein Zurück zu Graz 2002

Da taucht dann natürlich auch wieder die Frage auf, wie gefährlich denn das Sponsoring von Kultur durch die Wirtschaft eigentlich werden könnte, wenn zum Beispiel die Tourismus-Industrie zu bestimmen beginnt, was Kultur zu sein habe. Hilmar Hoffmann hat sich da noch leicht getan mit einer Antwort: "Sponsoring ist die Petersilie im Maul des Karpfen", postulierte er. Für den Karpfen blieb selbstverständlich die öffentliche Hand zuständig.

Mit "Lichtfluss und Schlagschatten" als Schlussveranstaltung geht das Kulturjahr zu Ende. Ein Lichterspiel mit Straßensperren. Und das alles am ersten Einkaufssamstag im Advent. Den Grazern soll, notfalls per Verkehrskollaps, ein Licht aufgehen: Graz darf alles - nur nicht das Graz von 2002 werden.

Der Autor war Chefredakteur der "Kleinen Zeitung" und lebt als freier Journalist in Graz.

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