Herzworte sprechen, nicht Schlagworte

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Vor 50 Jahren wurde Reinhold Stecher zum Priester geweiht. Eine kleine Hommage an den Innsbrucker Altbischof.

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Vor 50 Jahren wurde Reinhold Stecher zum Priester geweiht. Eine kleine Hommage an den Innsbrucker Altbischof.

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Er könnte, und daran glauben in Tirol viele Menschen, in angemessener Zeit ein zweiter Franz König werden." So endete eine Würdigung Stechers in den Salzburger Nachrichten, kurz nachdem sein Nachfolger als Bischof von Innsbruck bekanntgegeben worden war. Was die einen erhoffen, befürchten andere. Aber Reinhold Stecher, das Original, läßt sich nicht in Klischees pressen. Er ist auf solche Prognosen und Prophezeiungen im Konjunktiv auch nicht angewiesen.

Daß er das Format dazu hätte, den Status des "elder churchman" einzunehmen, steht für die meisten ohnehin außer Frage. Er selber hat den Vergleich mit dem Kardinal heftig von sich gewiesen. Das "Erdbeben", das sein Brief zur vatikanischen "Instruktion über die Mitarbeit von Laien am priesterlichen Dienst" ausgelöst hat, wird es ihm schwer machen: Denn seit Mitte Dezember kursiert der Brief auch im Internet und löst dort heftige Debatten aus. Aber wie sagte Stecher doch selbst: er wolle nicht als "mutiger Pensionist" auftreten, weswegen seine Überlegungen noch vor der Weihe seines Nachfolgers an ausgewählte Adressaten ging.

Daß einer Bischof ist, setzt voraus, daß er Priester ist. Dazu wurde Stecher vor fünfzig Jahren, drei Tage vor seinem 26. Geburtstag, geweiht. Man schrieb den 19. Dezember 1947. Goldene Priesterjubiläen sind heute zwar, ganz im Gegensatz zu Priesterweihen, an der Tagesordnung. Aber ausgemacht war die Sache keineswegs, denn bekannterweise waren die politischen Verhältnisse in Stechers Jugend mehr als unsicher: Priester werden zu wollen war ein gewagtes Unternehmen. Zumal in seiner Heimat, hatte es sich Gauleiter Franz Hofer doch in den Kopf gesetzt, Hitler zum 50. Geburtstag (1939) ein "juden- und klosterfreies Tirol" zu übergeben.

Die Vorsehung Gottes lief anders. Kurz vor Weihnachten 1947 wurde Stecher von Bischof Paulus Rusch zum Priester geweiht. 1939 war er ins Priesterseminar eingetreten. Es war nach St. Michael bei Matrei am Brenner verlegt worden, dann in Kammern und Stuben der Bauern von Schöfens und im Navistal, stets auf der Flucht vor der Gestapo. Ein Studium unter provisorischen Umständen. 1941 organisierte der 19jährige eine Protestwallfahrt nach Maria Waldrast, am Fuße der Serles. Das war illegal. Stecher wurde verhaftet und für drei Monate ins Polizeigefängnis gesteckt. Dort war schon Otto Neururer eingesessen. Der im Mai 1940 im KZ Buchenwald zu Tode gequälte Pfarrer von Götzens war Stechers Katechet gewesen und hatte ihn zur Erstkommunion geführt, woran Stecher anläßlich der 1996 erfolgten Seligsprechung Neururers bewegt erinnerte.

Stechers Zellennachbarn: ein Posträuber und ein Totschläger. Er erfährt, daß er auf einer Transportliste fürs KZ steht. Die Mutter bewirkt schließlich seine Entlassung. Um ihn aus dem Visier der Gestapo zu nehmen, schickt ihn der Bischof nach Beuron, auf einen Choralkurs: "Es ist der Tausch mit einer wunderbaren, fast unwirklichen Welt." Aber dann heißt es: "Ab in die Wehrmacht!" Stecher empfindet die Einberufung als Schutz vor Schlimmerem.

Murmansk an der Eismeerfront und die Schlacht am Ilmensee, bei minus 52 Grad, werden zu prägenden Erfahrungen. Umgeben von 30.000 Toten überlebt Stecher - als einer von 60 seines Bataillons. An einem Karfreitagmorgen wird er von einer Infanteriekugel am Arm getroffen; sie rettet ihm das Leben. Später legt Stecher zu Fuß Tausende Kilometer durch Norwegen zurück, wo er interniert wird. Diese Strapazen haben ihn ausdauernd gemacht.

Die Kriegszeit läßt ihn dann so manche Maßnahmen im Collegium Canisianum, dem Priesterseminar der Jesuiten, leichter durchstehen, in das er im Herbst 1945 kommt. Er ist, nach endlosen Kriegsjahren (ein Bruder kehrt nicht zurück), froh um ein eigenes Bett und um feste Mahlzeiten. Die Hausvorschriften müssen seiner Generation kindisch erscheinen; aber Stecher hat schon anderes überlebt. Warum also nicht kleinliche Bestimmungen eines ängstlichen Hausvorstands? Verbürgt ist ohnehin, daß er schon damals mit Humor nehmen konnte, woraus andere eine todernste Sache machten.

Stecher hat, vielleicht liegt darin sein "Erfolgsgeheimnis", immer vermitteln können, daß er gerne Priester ist, Seelsorger mit Leib und Seele: als Buben-Präfekt im Studieninternat Paulinum ebenso wie als Religionslehrer, als Professor an der Pädagogischen Akademie genauso wie als Bischof. Man nimmt ihm ab, daß er seine Berufswahl nie bereut hat, daß er in diese Entscheidung hineingewachsen ist.

Daß er sein Ohr am Puls der Zeit hat und auch sein Herz, hat ihn stets davor bewahrt, Fragen von heute mit Antworten von gestern zu begegnen, ohne deswegen Traditionen aufzugeben, die ihm wichtig sind. "Herzworte", schreibt er in seinem Buch "Geleise ins Morgen": "nicht Schlagworte sind gefragt."

Man kann Reinhold Stecher Rosenkranz betend auf einem Klettersteig antreffen oder versunken in einer Kirche sitzend oder ihm in der Krypta der Jesuitenkirche begegnen, bei seinen Lehrern, zum Beispiel am Grab Karl Rahners. Solche Orte sind ihm zur geistig-geistlichen Tankstelle geworden. Er dichtet, schrift-stellert (sic!), predigt wortgewaltig, malt und karikiert. Eines ist sicher: Er bleibt uns erhalten. Zum Beispiel auf einem (vom Verlag Tyrolia produzierten) Kalender mit eigenen Aquarellen: "Mit Bischof Stecher durch das Jahr 1998" (siehe dazu Furche 33/97). Ad multos annos!

Der Autor ist Jesuit und lebt in Innsbruck.

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