Hinreißend kraftvoll, anrührend

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Die Wiener Festwochen eröffneten mit einer so packenden wie bewegenden, vor allem außergewöhnlichen Produktion von Glucks Oper "Orfeo ed Euridice“.

Bejun Mehta war ein hinreißender, alle seine Emotionen packend in die Waagschale werfender Orfeo. Ein Wiener Sängerknabe, Laurenz Sartena, gab dem Amor die entsprechende Kontur, die Chorpartien (Einstudierung: Jordi Casals und Ottokar Prochazka) waren beim Arnold Schonberg Chor bestens aufgehoben. Jérémie Rhorer bot am Pult des ihm ideal folgenden, mustergültig phrasierenden und konzise artikulierenden B’Rock - Baroque Orchestra Ghent seine mit Abstand überzeugendste Leistung in Wien. Er führte Solisten, Chor und Orchester zu einer an Spannung nie erlahmenden Aufführung von Christoph Willibald Glucks hier in der seiner italienischen Version gebotenen Azione teatrale "Orfeo ed Euridice“.

Wäre es eine der üblichen Aufführungen gewesen, müsste man auch Christiane Kargs Euridice in den höchsten Tönen loben. Was man auch darf, wenngleich sie in dieser Szenerie dieser Figur nur die Stimme lieh, als Person bloß andeutungsweise sichtbar wurde. Wie liest man doch bei Gluck: "Diese Werke (neben "Orfeo“ sind noch die beiden anderen Reformopern "Alceste“ und "Paride“ angesprochen) sind angefüllt mit glücklichen Situationen, schrecklichen und pathetischen Zügen, die dem Komponisten das Mittel in die Hand geben, große Leidenschaften darzustellen und eine kraftvolle und anrührende Musik zu schaffen.“

Kraftvoll und anrührend, das war diese Eröffnungspremiere der Wiener Festwochen im Museumsquartier, eine Koproduktion mit La Monnaie/De Munt, Brüssel, im wahrsten Wortsinn. "Theater ist ein Appell an das Publikum, und die Tragödie ist die höchste Form davon, da sie es vermag, den Zuschauer direkt anzusprechen“, formulierte der stets für ungewohnte Wege bekannte italienische Regisseur Romeo Castellucci sein künstlerisches Credo. Besser ließe sich auch sein faszinierender Regieansatz nicht definieren.

Blick ins Krankenzimmer

Die Geschichte von einer erst nach Umwegen zur Erfüllung findenden Liebe, wie sie in Glucks Oper so anrührend und unmittelbar bewegend geschildert wird, hat Romeo Castellucci zu weit mehr als einer Nacherzählung der Handlung inspiriert. Weil er den Mythos des nach Euridice suchenden Orpheus mit dem menschlichen Bild eines Komas gleichsetzt, lässt er Glucks meisterhafte Musik vor der Lebensgeschichte eines seit einigen Jahren in einer Wiener Krankenanstalt im Koma liegenden Mädchens spielen.

Karin Anna Giselbrecht ist damit der eigentliche Star, besser: das Ereignis dieses außerordentlichen Abends. Da bedarf es als Bühnenarchitektur nur einer Leinwand, um ihre berührende Lebensgeschichte, die nach menschlichem Ermessen so vielversprechend begonnen hat, zu projizieren. Tänzerin wollte die Hochbegabte werden, ehe ein genetisch bedingter Herzstillstand sie ins Wachkoma fallen ließ, wie man hautnah erleben konnte. Während Orfeo, dem hier als einzige Requisiten nur ein Sessel und ein Mikrophon zur Verfügung stehen, sein verzweifeltes Suchen nach seiner innigst Geliebten, die er in Wahrheit schon verloren glaubt, herzzerreißend besang, wurde man durch die regennassen Straßen Wiens - die Produktion wurde in Echtzeit gezeigt - in jenes Zimmer der Geriatrieanstalt am Wienerwald geführt, in dem Giselbrecht nunmehr betreut wird. Sie, der Musik immer viel bedeutet hat, die als Vierjährige ihre erste Ballettaufführung in der Oper miterlebt hat, lag mit Kopfhörern im Bett und verfolgte, wie man den höchst einfühlsamen Einstellungen entnehmen konnte, diese Aufführung mit.

Ob Orfeo und Euridice je zusammenkommen werden, sich ihre Liebe erfüllen wird, ihre Sehnsucht gestillt werden kann? Auch dafür hat die Regie eine Antwort: in einer anderen Welt, hier als eine Art Garten Eden dargestellt, für deren Eintritt es des Todes bedarf. Ein Bild, zu dem sich Castellucci durch einen Satz des amerikanischen Dichters Kurt Vonnegut anregen ließ: Ohne Tanz mit dem Tod gäbe es keine Kunst. Ein fulminanter Auftakt des neuen Festwochen-Intendanten Markus Hinterhäuser.

Orfeo ed Euridice

Museumsquartier

16.,18. Mai

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